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Detektortest an CERN n_TOF für die Messung von neutroneninduzierter Emission von leichten Teilchen an Kohlenstoff

Kategorien:
  • Grundlagen der Metrologie
  • Abteilung 6
  • Jahresbericht-Nachricht
21.12.2022

Abbildung 1: Prototyp des aktuellen Versuchsaufbaus zur Messung von neutroneninduzierten Emissionsreaktionen geladener Teilchen an Kohlenstoff. Der Aufbau wurde in der Experimental Area 1 an n_TOF (CERN) installiert.

Zur Untersuchung von neutroneninduzierten Reaktionen an Kohlenstoff bei Energien über 100 MeV wird derzeit ein Detektoraufbau entwickelt. Das Ziel ist die Bestimmung der Energie und der Winkelverteilung der emittierten geladenen leichten Teilchen als Funktion der Neutronenenergie, um für medizinische Anwendungen relevante Daten zu erzeugen. Der Prototypaufbau wurde im Jahr 2022 an n_TOF, der Neutronenquelle des CERN, getestet. Basierend auf diesen Ergebnissen wird derzeit das endgültige Experiment geplant.

In der Strahlentherapie gegen Krebs können Sekundärneutronen mit Energien bis etwa 200 MeV (durch Protonenstrahlen) beziehungsweise 400 MeV (durch Kohlenstoffionenstrahlen) entstehen, wenn der Teilchenstrahl mit dem Behandlungskopf und dem Zielvolumen interagiert. Diese hochenergetischen Neutronen wiederum können beim Aufprall auf Gewebebestandteile (Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff) geladene Teilchen (Protonen, Deuteronen, Tritonen, Alphateilchen) erzeugen, die Schäden am gesunden Gewebe der Patienten verursachen. Im Laufe der Zeit können sich daraus Sekundärtumore entwickeln, was für junge Patienten besonders kritisch ist. Die zur Optimierung der Bestrahlungspläne erforderlichen Risikobewertungsberechnungen benötigen die Kenntnis der Wechselwirkungswahrscheinlichkeiten hochenergetischer Neutronen sowie der Energie- und Winkelverteilung der emittierten geladenen Teilchen. Aufgrund der geringen Wechselwirkungswahrscheinlichkeiten und der großen Energiebereiche ist die Messung dieser Reaktionen sehr herausfordernd und experimentelle Daten für Neutronen über 20 MeV sind kaum vorhanden. Auch die vorhandenen theoretischen Berechnungen auf Basis von Kernmodellen bedürfen noch einer experimentellen Validierung, insbesondere im Energiebereich zwischen 100 MeV und 200 MeV.

Aus diesen Gründen wurde in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz‑Zentrum Dresden‑Rossendorf (HZDR) und dem Centro de Ciências e Technologias Nucleares (C2TN) ein EU‑gefördertes Projekt initiiert, um einen Versuchsaufbau zur Messung der neutroneninduzierten Emission von geladenen Teilchen zu entwickeln. Ziel ist es, die Machbarkeit derartiger Messungen an der Neutronenflugzeitanlage n_TOF (CERN) zu untersuchen und in erster Linie Daten für die Protonentherapie zu gewinnen. Das Experiment konzentriert sich auf Neutronenreaktionen an Kohlenstoff im Energiebereich zwischen 100 MeV und 200 MeV und auf die Emission von Wasserstoff- und Heliumisotopen.

n_TOF ist die „weiße“ Neutronenquelle des CERN und die einzige Neutronenquelle in Europa, die Neutronen mit Energien über 100 MeV erzeugen kann. Bei n_TOF werden Neutronen durch Spallationsreaktionen von Protonen mit einer Energie von 20 GeV erzeugt, die auf ein massives Bleitarget auftreffen. Es werden Neutronen mit einer kontinuierlichen Energieverteilung produziert, die sich vom thermischen Punkt bis etwa 1 GeV erstreckt. Die Neutronen werden in zwei Experimentierbereiche geleitet, wo es möglich ist, verschiedene Proben zu bestrahlen und nukleare Wechselwirkungen zu untersuchen. Die wichtigste Herausforderung bei der Messung an einer Spallationsquelle ist der intensive Blitz hochenergetischer Photonen und relativistischer Teilchen, der sogenannte „Gammaflash“, der die Neutronenpulse begleitet. Für n_TOF entwickelte Teilchendetektoren und Versuchsaufbauten können daher nicht nur unter „Laborbedingungen“, sondern müssen auch vor Ort getestet werden.

Im Jahr 2022 (Mai und November) wurden an n_TOF zwei Teststrahlzeiten durchgeführt, um den in Abbildung 1 gezeigten Prototypen des experimentellen Aufbaus zu testen. Der Aufbau bestand aus einer Vakuumkammer mit einer Graphitprobe und vier Silizium‑Halbleiterdetektoren sowie zwei Szintillationsdetektoren, welche außerhalb der Kammer hinter dünnen Kaptonfenstern platziert worden waren. Die Probe und die Siliziumdioden wurden im Vakuum installiert, um den Energieverlust zwischen Ionenerzeugung und -detektion zu reduzieren, was für den Nachweis von Alphateilchen und niederenergetischen Ionen essentiell ist. Die Szintillatoren, die vor allem zum Nachweis von hochenergetischen Protonen und Deuteronen verwendet werden, wurden in Luft platziert, um die Verwendung herkömmlicher Photomultiplier, die nicht im Vakuum betrieben werden können, zur Signalauslese zu ermöglichen.

Der erste Detektortest im Mai 2022 war der Untersuchung der Wechselwirkung mit dem Gammaflash gewidmet. Die Erwartung war, dass dieser die größte Herausforderung darstellt, da bei früheren Messungen festgestellt wurde, dass der dynamische Bereich der an die Siliziumdetektoren angeschlossenen Vorverstärker teilweise ausgeschöpft wird, was zu einem Verlust gültiger Ereignisse aufgrund frühzeitiger Sättigung führen kann. Stattdessen wurde festgestellt, dass das eigentliche Problem nicht der Gammaflash an sich war, sondern eher die damit verbundenen elektromagnetischen Interferenzen. Diese Interferenzen, elektromagnetisches Rauschen im Radiofrequenzbereich, verursachten ein „Ringing“ (Oszillation) auf den ausgelesenen Signalen, was es sehr schwierig machte, teilcheninduzierte Signale von Rauschen zu trennen. Der zweite Test im November 2022 diente der Untersuchung von Lösungen zur Abschirmung von Detektoren und Elektronik vor dem hochfrequenten Rauschen. Die Ergebnisse waren ermutigend, denn trotz der schwierigen Messbedingungen konnten Protonen, Deuteronen und Alphateilchen, die von Polyethylen- und Kohlenstoffproben emittiert wurden, eindeutig identifiziert werden. Basierend auf diesen Ergebnissen wird beim INTC („ISOLDE and n_TOF Experiments Committee“) 2023 ein neuer Experimentantrag für eine Strahlzeit für das endgültige Experiment zu den neutroneninduzierten Reaktionen an Kohlenstoff bei hohen Energien eingereicht.

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 Opens local program for sending emailE. Pirovano, Fachbereich 6.4, Arbeitsgruppe 6.42

Opens local program for sending emailM. Dietz, Fachbereich 6.4, Arbeitsgruppe 6.42

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