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Bottom-up-Ansatz zur rückführbaren Kalibrierung der Spitzengeometrie eines Tastschnitt-Profilometers als „Paper of the Year 2022“ ausgezeichnet

16.08.2023

Die Tastschnitt-Profilometrie ist eine weit verbreitete Technik zur Messung von Form, Kontur und Rauheit von Oberflächen. Die Geometrie einer Tastspitze ist ein wichtiger Einflussfaktor für Messungen, da das gemessene Profil das dilatierte Ergebnis von Oberflächenmerkmalen durch die Spitzengeometrie ist (Dilatation als morphologische Basisoperation). Somit bedingt die Spitzengeometrie eine Bandbreitengrenze des Profilometers bei Rauheitsmessungen und verzerrt die Messergebnisse bei der Form- und Konturmesstechnik. Um diesen Beitrag zu korrigieren, muss die Geometrie der Stiftspitze genau charakterisiert werden.

Um diese herausfordernden Probleme zu lösen, wurde kürzlich ein neuartiger Ansatz zur genauen und rückführbaren Kalibrierung der Tastspitzengeometrie entwickelt. Der Ansatz besteht aus mehreren Schritten, wie in Abbildung 1 dargestellt. Im ersten Schritt (S1) wird die Geometrie einer AFM-Spitze mit einem speziellen Linienbreitenstandard (IVPS100-PTB) kalibriert, dessen Geometrie rückführbar auf die Gitterkonstante von einkristallinem Silizium kalibriert ist. Im zweiten Schritt (S2) wird die zu kalibrierende Tastspitze anhand der kalibrierten AFM-Spitze in einem AFM gemessen, sodass ihre Spitzengeometrie genau bestimmt werden kann, nachdem der Beitrag der AFM-Spitzengeometrie aus dem gemessenen AFM-Bild korrigiert wurde. Nach der Kalibrierung kann die Tastspitze im dritten Schritt (S3) zur Messung von Mikrostrukturen und Oberflächen eingesetzt werden, wobei die Messergebnisse wiederum anhand der charakterisierten Tastspitzengeometrie korrigiert werden können. Auf diese Weise können die Geometrie der Tastspitze und ihre Messergebnisse mithilfe dieses Bottom-up-Ansatzes schließlich auf die Gitterkonstante von Silizium zurückgeführt werden.

Das Konzept wurde experimentell für einen kommerziellen Profiltaster vom Typ RFHTB-50 (Mahr) verifiziert. Der Tastspitzenradius wird mit 1,72 μm gemessen. Er ist deutlich kleiner als sein Nennwert von 2 μm, was auf die Notwendigkeit einer Kalibrierung hinweist. Die Anwendung der kalibrierten Tasterspitze wird bei der Messung von Mikrokugeln demonstriert. Für drei Kugeln mit Nennradien von 150 μm, 250 μm und 500 μm wurden ihre Radien mit 150,8596 μm, 248,9966 μm bzw. 499,9548 μm gemessen. Die Standardabweichung von fünf Wiederholungsmessungen erreicht 0,5 nm, 0,5 nm bzw. 0,6 nm für die drei Mikrokugeln, was auf eine hervorragende Wiederholbarkeit der Messungen des Messinstruments hinweist.

Im Vergleich zur Charakterisierungsmethode unter Verwendung von herkömmlichen Tastspitzennormalen bietet die neuartige Methode mehrere Vorteile:

  1. Sie vermeidet das Risiko einer Beschädigung an den scharfen Kanten herkömmlicher Spitzencharakterisierer
  2. Sie ist in der Lage, die 3D-Geometrie der Tastspitze direkt zu charakterisieren
  3. Sie vermeidet die Mehrdeutigkeit bei der Bestimmung von Profilsegmenten bei der Rekonstruktion der Spitzengeometrie
  4. Sie bietet die Möglichkeit, eine hohe Genauigkeit zu erreichen und ist direkt auf eine Naturkonstante zurückgeführt – die Gitterkonstante von kristallinem Silizium.

Abschließend schlagen wir vor, dass eine geeignete Methode zur Spitzencharakterisierung basierend auf den messtechnischen Anforderungen in der Praxis ausgewählt werden sollte. Für Anwendungen, bei denen die Messanforderungen gering sind, beispielsweise die Messunsicherheit des Spitzenradius im Bereich von Hunderten von nm oder sogar höher, kann die herkömmliche Charakterisierungsmethode, z.B. mittels einer Rasierklinge eine einfache und bequeme Lösung sein. Für Anwendungen, bei denen die erforderliche Messunsicherheit im Bereich von mehreren Zehn nm liegt, kann die vorgeschlagene Methode ohne den Kalibrierungsschritt der AFM-Spitzencharakterisierung angewendet werden. In einem solchen Fall kann die AFM-Spitze als unendlich scharf angesehen werden. Da der Radius bei einer neuen AFM-Spitze typischerweise einige nm und bei einer leicht abgenutzten Spitze 10 bis 20 nm beträgt, kann die Messabweichung als Teil der Messunsicherheit gut abgeschätzt werden. Da die AFM-Spitzencharakterisierung einen erheblichen Messaufwand erfordert, kann diese Vereinfachung den Anwendungsaufwand der vorgeschlagenen Methode erheblich reduzieren. Schließlich kann für Anwendungen, bei denen die beste Messgenauigkeit angestrebt wird, die vollständige Kalibrierungsstrategie angewendet werden, die im veröffentlichten Artikel sowie auch in Kürze in diesem Text beschrieben wird.

Die Veröffentlichung „Bottom-up Approach for Traceable Calibration of Tip Geometry of Stylus Profilometer“ wurde von der Zeitschrift „Surface Topography: Metrology and Properties“ als „Paper of the Year 2022“ ausgezeichnet (https://iopscience.iop.org/journal/2051-672X/page/Awards).

 

Diagramm zur Charakterisierung der Tastspitzengeometrie

Abbildung 1: Konzept der neuen Methodik zur Charakterisierung der Tastspitzengeometrie.

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