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Überarbeitung des internationalen Dosimetrieprotokolls IAEA TRS-398

23.12.2020

Das internationale Dosimetrieprotokoll IAEA TRS‑398 für die Dosismessung in der externen Strahlentherapie wird derzeit unter aktiver Mitarbeit von Wissenschaftlern des Fachbereichs 6.2 der PTB überarbeitet. Die wesentlichen Ziele der Überarbeitung sind die Berücksichtigung jüngster Empfehlungen der ICRU zu fundamentalen dosimetrischen Konstanten, die Einbeziehung moderner Methoden der Strahlentherapie (FFF, scanned beam), die Bereitstellung harmonisierter, international akzeptierter Daten sowie die Berücksichtigung moderner dosimetrischer Methoden und Verfahren.

Eine wichtige Methode zur Behandlung von Krebserkrankungen ist die Strahlentherapie, bei der Tumorzellen mit hochenergetischer ionisierender Strahlung bestrahlt und vernichtet werden. Hierfür wird in den meisten Fällen hochenergetische Photonenstrahlung aus Linear­beschleunigern verwendet, für spezielle Behandlungen kommen auch andere Strahlungsarten, wie hochenergetische Elektronen, Protonen, Ionen oder Röntgenstrahlen zur Anwendung. Für den Heilerfolg strahlentherapeutischer Behandlungen ist dabei in jedem Falle eine genaue Bestimmung der Energiedosis, d.h. der im Tumor und dem umliegenden gesunden Gewebe deponierten Strahlungsenergie erforderlich [1].

Die Messung der Energiedosis, die in der Regel mit Ionisationskammern erfolgt, ist ein komplexer Prozess, der auf der Grundlage sogenannter Dosimetrieprotokolle (englisch: CoP) durchgeführt wird. In Dosimetrieprotokollen werden konkrete Handlungs­anweisungen (Messvorschriften) zusammen mit den erforderlichen Daten angegeben, so dass in Strahlentherapiekliniken die Energiedosis mit geringer Messunsicherheit rückführbar auf ein Primärnormal für diese Messgröße bestimmt werden kann. Während vor allem größere Länder nationale Dosimetrieprotokolle erarbeiten – in Deutschland z.B. die Norm DIN 6800‑2 oder in den USA und Kanada das Protokoll AAPM TG‑51 – benutzen viele kleinere Länder das von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) herausgegebene Dosimetrieprotokoll IAEA TRS-398 [2]. Dieses internationale Protokoll besitzt die Besonderheit, dass es alle oben genannten Strahlungsarten (Röntgenstrahlung, Photonen, Elektronen, Protonen und Ionen) umfasst, wohingegen viele nationale Protokolle oftmals nur eine Auswahl häufig angewandter Strahlungsarten (meistens Photonen und Elektronen) berücksichtigen.

Das Protokoll TRS‑398 wurde im Jahr 2000 veröffentlicht. Seitdem fanden zahlreiche neue Entwicklungen und Erkenntnisse Eingang in die Strahlentherapie und Dosimetrie, die eine Überarbeitung des Protokolls erforderlich machen. Die wichtigsten Gründe für eine Überarbeitung sind die folgenden:

a)  Neue, moderne Ionisationskammertypen sind kommerziell verfügbar, für deren Anwendung die erforderlichen Daten angegeben werden müssen. Im Gegenzug kann für einige der seit langem verwendeten Ionisationskammertypen die Anwendung als Referenzdosimeter nicht mehr empfohlen werden. Die Liste der für verschiedene Messaufgaben geeigneten Dosimetertypen muss daher aktualisiert und an moderne Erkenntnisse angepasst werden.

b)    Neue strahlentherapeutische Methoden, die vorwiegend bei Bestrahlung mit hochenergetischen Photonen, Protonen und Ionen angewendet werden, müssen berücksichtigt werden. Dazu gehören z.B. die Verwendung ausgleichsfilterfreier (englisch: flattening filter free – FFF) Photonenfelder oder die „scanned beam“-Technik bei der Bestrahlung mit Protonen oder Ionen.

c)    Die Empfehlungen der ICRU zu neuen oder geänderten Werten für fundamentale dosimetrische Konstanten müssen berücksichtigt werden [3].

d)    Mit modernen Monte‑Carlo‑Methoden zur Simulation des Strahlungstransports können dosimetrische Größen mit höherer Genauigkeit bestimmt werden als dies mit älteren Näherungsverfahren möglich war.

e)    Neue, in der wissenschaftlichen Fachliteratur publizierte Daten und Verfahren sollen berücksichtigt werden. Dies ist insbesondere für die Dosimetrie in Röntgenstrahlungsfeldern erforderlich, für die in IAEA TRS‑398 bisher nur sehr wenige Daten angegeben werden konnten.

Um diese Aspekte für die Dosimetrie in der Strahlentherapie zu berücksichtigen, koordiniert die IAEA derzeit ein mehrjähriges Projekt zur Überarbeitung des Code of Practice TRS-398. In der dazu gebildeten Kern‑Arbeitsgruppe (englisch: core working group) arbeiten Wissenschaftler des Fachbereichs 6.2 der PTB aktiv mit. Die Kern‑Arbeitsgruppe hat die Aufgabe, Messungen und Monte‑Carlo‑Simulationsrechnungen anderer Forschergruppen zur Bestimmung aktualisierter Daten zu koordinieren, die Ergebnisse dieser Untersuchungen zu analysieren, internationalen Konsens über die Daten und Methoden herzustellen und letztendlich den Text des Code of Practice TRS‑398 zu überarbeiten und zu aktualisieren. PTB‑Wissenschaftler sind dabei insbesondere an der Überarbeitung der Empfehlungen zur Dosimetrie in Röntgen­strahlungsfeldern und in hochenergetischen Photonenstrahlungsfeldern aus Beschleunigern federführend beteiligt. In die Überarbeitung fließen dabei auch viele Daten und Erkenntnisse zur Dosimetrie in der modernen Strahlentherapie ein, die in der PTB in den letzten Jahren gewonnen wurden (siehe zum Beispiel [4]).

Während bei der Dosimetrie in Röntgenstrahlungsfeldern sowohl der Formalismus als auch die Daten wesentliche Änderungen erfahren, ist für die Dosimetrie in hochenergetischen Photonenfeldern insbesondere die Bestimmung eines konsistenten, auf den Empfehlungen der ICRU basierenden Satzes von Korrektionsfaktoren für den Einfluss der Strahlungsqualität (kQ) erforderlich. Dazu wurden die von verschiedenen Forschergruppen mittels Monte‑Carlo‑Simulationsrechnungen ermittelten und experimentell bestimmten Werte des Korrektionsfaktors kQ für 23 verschiedene Ionisationskammertypen analysiert; insgesamt wurden dabei 725 Datenpunkte aus Simulationsrechnungen und 179 Datenpunkte aus Messungen berücksichtigt [5]. Für jeden Ionisationskammertyp wurden aus den Datenpunkten die Parameter a und b einer Anpassungsfunktion der Gestalt

mathematische Formel

bestimmt, so dass zukünftig für jeden Wert des Strahlungsqualitätsindex Q der zugehörige Korrektionsfaktor kQ einfach berechnet werden kann. Als Beispiel zeigt Abbildung 1 die einzelnen Datenpunkte und die daraus bestimmte Anpassungsfunktion für Ionisationskammern des Typs NE 2571.

 Diagramm

Abb. 1: Von verschiedenen Forschergruppen experimentell und durch Monte‑Carlo‑Simulationen bestimmte Strahlungsqualitäts‑Korrektionsfaktoren kQ für Ionisationskammern des Typs NE 2571. Die Daten wurden an eine Funktion der im Text angegebenen Gestalt angepasst (grüne Linie); der grün schattierte Bereich stellt die Messunsicherheit der mit der Anpassungsgleichung berechneten kQ-Werte dar.

 

Die Messunsicherheit der auf diese Weise bestimmten kQ-Werte ist deutlich geringer als die Messunsicherheit der in der vorherigen Version von TRS‑398 angegebenen Werte. Außerdem kann auf Grund der einheitlichen Vorgehensweise und der Berücksichtigung der aktuellen Empfehlungen der ICRU [3] davon ausgegangen werden, dass die für unterschiedliche Typen von Ionisationskammern bestimmten Korrektionsfaktoren untereinander konsistent sind.

Insgesamt wird die überarbeitete Version des Dosimetrieprotokolls TRS‑398 zu einer weiteren internationalen Harmonisierung und Erhöhung der Genauigkeit der Referenzdosimetrie in der Strahlentherapie und somit auch zu einer Verbesserung des Heilerfolges beitragen.

 

Literatur

[1]  D. van der Merwe et al.: Accuracy requirements and uncertainties in radiotherapy: a report of the International Atomic Energy Agency. http://dx.doi.org/10.1080/0284186X.2016.1246801

[2]  P. Andreo et al.: Absorbed Dose Determination in External Beam Radiotherapy – An International Code of Practice for Dosimetry Based on Standards of Absorbed Dose to Water. IAEA Technical Reports Series No. 398.
https://www-pub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/TRS398_scr.pdf

[3]  ICRU: Key data for ionizing-radiation dosimetry: measurement standards and applications. ICRU report 90. https://doi.org/10.1093/jicru/ndw043

[4]  A. Krauss & R.-P. Kapsch: Experimental determination of kQ factors for cylindrical ionization chambers in 10 cm × 10 cm and 3 cm × 3 cm photon beams from 4 MV to 25 MV.
http://dx.doi.org/10.1088/0031-9155/59/15/4227

[5]  P. Andreo et al.: Determination of consensus kQ values for megavoltage photon beams for the update of IAEA TRS-398. https://doi.org/10.1088/1361-6560/ab807b

 

Ansprechpartner:

Opens local program for sending emailR.-P. Kapsch, Fachbereich 6.2, Arbeitsgruppe 6.21

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