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Primärthermometrie

Primärthermometrie wird mit einem Thermometer durchgeführt, das auf einem gut verstandenen physikalischen System basiert und für das die Zustandsgleichung, die die Beziehung zwischen der thermodynamischen Temperatur T und anderen unabhängigen Größen beschreibt, explizit ohne unbekannte oder signifikant temperaturabhängige Konstanten aufgeschrieben werden kann. Die Bestimmung genauer T‑Werte erfordert nicht nur die hochpräzise Messung der unabhängigen Größen, sondern auch das Verständnis des Systems derart, dass Abweichungen vom idealen Modell solide als Korrekturen angebracht werden können. In der „Mise en Practique“ (der „praktischen Anleitung“) des Kelvins, die mit der Neudefinition der Temperatureinheit im Mai 2019 in Kraft getreten ist, sind nun erstmals drei ausgesuchte Primärthermometer im Bereich der Berührungsthermometrie zur Darstellung der Einheit zugelassen. Das sind das akustische Gasthermometer, das Dielektrizitätskonstanten-Gasthermometer (DCGT) und das Rauschthermometer. Bei zweitgenanntem erhält man aus der Dielektrizitätskonstante ε und der elektrischen Polarisierbarkeit der Gasteilchen die Teilchenzahldichte. Durch Kombination mit der Zustandsgleichung bekommt man einen Zusammenhang zwischen dem Druck p und der Dielektrizitätskonstanten. Große Fortschritte bei der ab-initio-Berechnung der Polarisierbarkeit von Helium, deren relative Unsicherheit in den letzten Jahren deutlich unter 1 ∙ 10‑6 reduziert werden konnte, haben diese Methode konkurrenzfähig gemacht. Um ε zu messen wird das Messgas in geeignete Kondensatoren gefüllt. Bei der Messung werden Wertepaare des Drucks p und der Dielektrizitätskonstante ε bei festgehaltener Temperatur aufgenommen (Isothermenmessung). Aus dem linearen Anteil der Funktion von ε(p), der das Verhalten des idealen Gases beschreibt, wird schließlich T ermittelt. Diese Methode ist neben der akustischen Gasthermometrie momentan die genaueste primärthermometrische Methode im Bereich um und unterhalb 0°C (273.15 K) (siehe Bestimmung der Boltzmann-Konstante), und wird von der PTB hinunter bis zirka 2 K betrieben.

Darüber hinaus bietet die Rauschthermometrie Potential für primärthermometrische Messungen im Tief- und Hochtemperaturbereich. Man kann die Temperatur eines Objektes auch aus der statistischen Bewegung der Ladungsträger in einem ohmschen Widerstand ableiten, die eine Rauschspannung erzeugt (weißes Rauschen). Diese Rauschthermometrie wird schon seit vielen Jahren angewandt. Sie bestimmt mit Hilfe der Nyquist-Formel die Temperatur aus dem mittleren Quadrat der Rauschspannung. Erfolgreich wird diese Methode schon an der PTB schon im Bereich unterhalb der 1 K angewendet, und nun wird im Rahmen eines groß angelegten Projektes auch versucht, die Methode für den Temperaturbereich oberhalb 300 K in der PTB nutzbar zu machen. Der Charme der Methode besteht unter anderem darin, dass das Messsignal mit steigender Temperatur zunimmt und somit bei 1000 K geringere relative Unsicherheiten verspricht als die Dielektrizitätskonstanten-Gasthermometrie.