
Nach dem Prinzip “see what you treat” soll die MR geführte Strahlentherapie eine Bildgebung des Tumors während der Bestrahlung ermöglichen. Hierzu werden Kombinationsgeräte entwickelt – sogenannte MR-Linacs –, welche aus einem Linearbeschleuniger (Linac) zur Bestrahlung und einem Magnetresonanztomographen (MRT) zur Bildgebung bestehen. Damit die Bildgebung im MRT gelingen kann, müssen die Atomkerne innerhalb des Patienten allerdings in spezielle Quantenzustände (Zeeman-Niveaus) angeregt werden und dies ist nur innerhalb eines starken magnetischen Feldes möglich. MR-Linacs arbeiten derzeit bei magnetischen Flussdichten von bis zu 1.5 T, so liefern sie hochaufgelöste Bilder aus dem Inneren des Patienten, auf welchen sich besonders Weichteile gut erkennen lassen.
Neben der genauen Kenntnis der Tumorposition ist auch die Strahlungsenergie, die die hochenergetischen Photonen auf das Tumorgewebe im Patienten übertragen, entscheidend für den Behandlungserfolg. Ähnlich wie bei Medikamenten verschreibt der Strahlentherapeut zur Behandlung von Tumoren die Bestrahlung mit einer ganz bestimmten Energiedosis. Die Strahlungsenergie der Photonen wird in mehreren Schritten auf das Gewebe übertragen: Zunächst wechselwirken die hochenergetischen Photonen mit der Elektronenhülle der Atome und lösen dabei einzelne Elektronen – die sogenannten Sekundärelektronen – aus dem Atom (Ionisation). Diese Sekundärelektronen bewegen sich dann weiter durch die Materie, lösen dabei chemische Reaktionen aus und zerstören Molekülbindungen (insbesondere auch von DNA-Molekülen), wodurch letztendlich die Tumorzellen irreparabel geschädigt und zerstört werden. Da Elektronen Ladungsträger sind, wird ihre Bewegung in magnetischen Feldern durch die Lorentzkraft beeinflusst, so dass sich die Bahnen der ausgelösten Sekundärelektronen in MR-Linacs im Vergleich zu herkömmlichen Bestrahlungen ohne Magnetfeld ändern.
Um sicherzustellen, dass klinische Linearbeschleuniger die richtige Energiedosis erzeugen, werden diese in regelmäßigen Abständen durch Messungen mit Ionisationskammern überprüft, doch hier tritt der Effekt besonders zu Tage. Denn anders als im Patienten, in welchem die Elektronen nur sehr kurze Strecken zurücklegen, sind Ionisationskammern mit Luft gefüllt, welche die Elektronen leicht durchdringen. Dies führt zu erheblichen Änderungen der Elektronenbahnen und dadurch zu einem stark veränderten Ansprechverhalten von Ionisationskammern. Zur Korrektur solcher Effekte wird der Einfluss von magnetischen Feldern auf das Ansprechverhalten von Strahlungsdetektoren an der PTB in Experimenten sowie in Computersimulationen quantifiziert.
Experimente an MR-Linacs sind sehr aufwändig, da für solche Messungen oft eine Referenzmessung ohne magnetisches Feld nötig ist, doch das Abschalten der supraleitenden Spulen an MR-Linacs ist nicht ohne weiteres möglich und in der Regel nicht mit dem klinischen Betrieb vereinbar. In der Metrological Electron Accelerator Facility der PTB (MELAF) stehen verschiedene Elektronenbeschleuniger mit Energien von bis zu 50 MeV sowie ein transportabler Elektromagnet zur Verfügung (siehe Abbildung 1). Durch eine kürzlich durchgeführte Modifikation des Magneten können damit nun typische Mess-Szenarien für variable magnetischen Flussdichten von bis zu 1.5 T realisiert werden. Zusätzlich werden mit der Hilfe von Hochleistungscomputern die zu erwartenden Effekte von theoretischer Seite durch Simulationsrechnungen untersucht. Durch die Verwendung hochaufgelöster Röntgenbilder verschiedener Ionisationskammern sowie genauer Berechnung der elektrischen Felder innerhalb dieser Detektoren konnte hierbei bereits eine Übereinstimmung von Messwerten und Simulationswerten von nur wenigen Promille erreicht werden.
Abb. 1: Versuchsaufbau: Bruker Magnet ER073 vor einem klinischen Linearbeschleuniger (links). Der zu untersuchende Detektor wird in einem Wasserphantom zwischen den Polschuhen platziert (rechts).
Im Experiment wurde eine Farmer-Ionisationskammer (PTW 30013) in einem 6 cm breiten Wasserphantom in einer wasseräquivalenten Tiefe von 10 cm positioniert. Das Phantom befand sich mittig zwischen den Polschuhen des Elektromagneten, bei einem Fokus-Oberflächen-Abstand (SSD) von 110 cm. Der Detektor wurde anschließend bei einer nominellen Beschleunigungsspannung von 6 MV unter dem Einfluss magnetischer Felder bestrahlt. Um Rückstreueffekte zu minimieren, wurden die Photonen hierfür auf eine Feldgröße von 4 x 10 cm2 im Isozentrum (Fokusabstand 100 cm) kollimiert. Die Orientierung zwischen Ionisationskammer, magnetischer Flussdichte und Strahlrichtung war dabei so gewählt, dass die Sekundärelektronen in Richtung des Kammerstieles abgelenkt wurden. Die Ergebnisse dieser Messungen sind zusammen mit den zugehörigen Simulationen in Abbildung 2 gezeigt. In dieser Orientierung ändert sich das Signal des Detektors um mehr als 6 %.
Abb. 2: Relatives Ansprechverhalten einer Ionisationskammer (PTW 30013) im magnetischen Feld.
Neben der Charakterisierung der Effekte auf Ionisationskammern werden in Zusammenarbeit mit verschiedenen internationalen Partner auch andere Verfahren der Dosismessung, wie z.B. Fricke-, Film- und Alanin-Dosimetrie, auf ihre Eignung untersucht.
Die Untersuchungen werden im Rahmen des EU-geförderten EMPIR Projekts „Metrology for MR guided radiotherpy“ durchgeführt, in dem die PTB mit den nationalen Metrologie-Instituten der Niederlande, Großbritanniens, Frankreichs sowie der Schweiz zusammenarbeitet. Von klinischer Seite beteiligen sich das Christie NHS Foundation Trust in Manchester, das deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg und das University Medical Center in Utrecht. Weiterhin fließen Arbeiten der Universität Manchester ein.
Nach den ersten erfolgreichen Experimenten sollen die Arbeiten fortgeführt werden um speziellere Fragen der Dosimetrie in Magnetfeldern zu untersuchen und somit Strahlentherapiekliniken bei der erfolgreichen Implementierung der neuen Technik zu unterstützen.