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Messung des differentiellen Neutron-Deuteron Streuquerschnitts im Energiebereich von 100 keV bis 600 keV mit einem Rückstossprotonenproportionalzählrohr

08.07.2014

Neben der Nukleon-Nukleon-Streuung ist die Streuung eines Neutrons an einem Deuteron, d.h. an dem aus einem Neutron und einem Proton bestehenden Kern des schwereren Wasserstoffatoms 2H, einer der fundamentalen Prozesse in quantenmechanischen Wenigkörper-Systemen. Außerdem hat die Neutron-Deuteron-Streuung eine wichtige technische Bedeutung in mit Schwerwasser (2H2O) moderierten Kernreaktoren. Die Analyse von Experimenten an Schwerwasser-moderierten kritischen und subkritischen Reaktormodellen führte zu Änderungen der Winkelverteilungen der gestreuten Neutronen zwischen den Kerndatenbibliotheken ENDF/B-VI und ENDF/B-VII, mit denen aber nicht alle Messergebnisse erklärt werden konnten. Deshalb wurde der differentielle Wirkungsquerschnitt für die Neutron-Deuteron-Streuung in die von der Nuclear Energy Agency (NEA) der OECD betreuten, "High-Priority Request List" (HPRL) für Kerndatenmessungen aufgenommen. Trotz ihrer offensichtlichen technischen und wissenschaftlichen Bedeutung liegen für die Neutron-Deuteron-Streuung im Energiebereich unterhalb von 1 MeV nur relative wenige, teilweise inkonsistente Messungen aus den 1950er und 1960er Jahren vor. Deshalb sind neuere experimentelle Daten zur Klärung der aufgetretenen Fragen immer noch erforderlich.

Aus diesen Gründen wurde in einer Zusammenarbeit mit dem IRMM in Geel/Belgien eine erste Reihe von Messungen mit dem Proportionalzähler P2 der PTB durchgeführt. Statt der normalerweise als Zählgas für die Messung der Neutronenfluenz eingesetzten Mischung aus leichtem Wasserstoff (1H2) und Methan (C1H4) wurde für diese Messungen ein Gasgemisch aus schweren Wasserstoff (Deuterium, 2H2) und deuteriertem Methan (C2H4) verwendet. Dabei wird das Zählgas im Proportionalzähler sowohl als Streutarget als auch zum Nachweis der bei der Streuung von Neutronen an Deuterium entstehenden Rückstoßdeuteronen verwendet. Bei einem idealen Detektor würde die Impulshöhenverteilung direkt den differentiellen Streuquerschnitt im Schwerpunktsystem wiederspiegeln. In einem realen Detektor führen aber vor allem die endliche Impulshöhenauflösung und die sogenannten Randeffekte, d.h. die unvollständige Energiedeposition von Deuteronen am Rand des Zählvolumens, sowie der Untergrund parasitärer Photonen zu Verzerrungen der Impulshöhenerteilung. In einem neuen Experiment wurde der Photonenuntergrund durch elektronische Diskriminierung sowie durch Abschirmung möglichst weit unterdrückt. Die Randeffekte sowie der Beitrag von Kohlenstoffrückstoßkernen aus der Neutron-Kohlenstoff-Streuung wurden durch ein neues Monte-Carlo Simulationsprogramm möglichst gut modelliert.

Die Abbildung 1 zeigt oben die experimentelle Impulshöhenverteilung des Proportionalzählrohrs für eine Neutronenenergie von 498 keV sowie simulierte Impulshöhenverteilungen, die mit verschiedenen Datensätzen für den differentiellen Wirkungsquerschnitt berechnet wurden. Unten sind die verwendeten Daten für den differentiellen Wirkungsquerschnitt im Schwerpunksystem als Funktion des Streuwinkels des Neutrons im Schwerpunktsystem dargestellt.

Die Ergebnisse der neuen Messungen unterstützen die Daten aus der neueren Bibliothek ENDF/B-VII, während die Winkelverteilungen aus der japanischen Bibliothek JENDL 4 und aus der älteren Bibliothek ENDF/B-VI eine deutlich zu hohe Anisotropie bei großen Streuwinkeln zeigen.

Abbildung 1: Experimentelle (Histogramm) und simulierte (farbige Linien) Impulshöhenverteilungen für eine Neutronenenergie von 498 keV (oben) und die für die Simulation verwendeten differentiellen Wirkungsquerschnitte als Funktion des Neutronenstreuwinkels im Scherpunktsystem (unten)