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Experimentelle Ermittlung von Strahlungsqualitätskorrektionsfaktoren

30.03.2009

Zur Behandlung von Tumorerkrankungen werden in zunehmendem Maße moderne Methoden der Strahlentherapie, wie z.B. die intensitätsmodulierten Strahlentherapie (IMRT), die Cyberknife-Radiochirurgie oder die Tomotherapie, angewandt. Diese Methoden zeichnen sich dadurch aus, dass sehr tumorkonforme Dosisverteilungen erzeugt werden können (d.h. die im Patienten erzeugte Dosisverteilung entspricht sehr genau der Form des Tumors), wodurch unerwünschte Nebenwirkungen einer Bestrahlung minimiert werden. Um insbesondere das gesunde Gewebe zu schonen, ist es oft notwendig, sehr komplexe Dosisverteilungen mit steilen Gradienten zu erzeugen. Dies wird erreicht, indem eine große Anzahl kleiner, irregulär geformter Strahlungsfelder (mit Feldgrößen bis hinab zu 0,5 cm x 0,5 cm) aus verschiedenen Richtungen im Patienten so überlagert werden, dass die Form der erzeugten Dosisverteilung der Form des Tumors entspricht. Hierzu sind im Vorfeld komplexe Rechnungen zur Erstellung geeigneter Bestrahlungspläne notwendig, die im Zuge der Qualitätssicherung und des Patientenschutzes durch Dosismessungen verifiziert werden müssen.

Diese Verifikationsmessungen sind insofern problematisch, als sich die bei den modernen Formen der Strahlentherapie verwendeten kleinen und irregulären Photonen-Strahlungsfelder wesentlich von den in der konventionellen Strahlentherapie angewandten Strahlungsfeldern unterscheiden (z.B. unterschiedliche spektrale Fluenz der erzeugten Sekundärelektronen oder Störung des Sekundärelektronengleichgewichts). Die etablierten Messvorschriften zur Messung der Wasser-Energiedosis wie z.B. die deutsche Norm DIN 6800-2 [1] oder das internationale Dosimetrieprotokoll IAEA TRS-398 [2] sind deshalb in kleinen Photonenfeldern nicht ohne Weiteres anwendbar; insbesondere gelten viele der dort tabellierten physikalischen Daten (wie z.B. Bremsvermögensverhältnisse, Störungsfaktoren usw.) nicht in kleinen Strahlungsfeldern. Bislang existiert kein Dosimetrieprotokoll zur Messung der Wasser-Energiedosis in kleinen und irregulären Strahlungsfeldern mit einer Messunsicherheit, die der einer Dosismessung unter Referenzbedingungen (10 cm x 10 cm Strahlungsfeld) nahe kommt.

Um auch bei modernen Methoden der Strahlentherapie, d.h. in kleinen und irregulären Strahlungsfeldern, routinemäßig verlässliche Messungen der Wasser-Energiedosis durchführen zu können, werden in der PTB im Rahmen des von der EU geförderten ERANET-Plus Joint Research Projects T2.J07 "External Beam Cancer Therapy" [3] in Zusammenarbeit mit 8 weiteren nationalen Metrologieinstituten verschiedene Aspekte der Dosismessung in kleinen und irregulären Photonenstrahlungsfeldern untersucht.

Eines der Ziele diese Projektes ist die experimentelle Bestimmung von Strahlungsqualitätskorrektionsfaktoren, die bei der Messung der Wasser-Energiedosis mit Ionisationskammern benötigt werden.

Alle modernen Dosimetrieprotokolle (z.B. [1] und [2]) basieren auf der Verwendung von Ionisationsdosimetern, die zur Anzeige der Wasser-Energiedosis im 60Co-Strahlungsfeld kalibriert wurden. Wird ein solches Ionisationsdosimeter in einem Strahlungsfeld anderer Energie verwendet (z.B. in einem von einem medizinischen Linearbeschleuniger erzeugten Photonenfeld), so muss die dadurch bedingte Änderung des Ansprechvermögens durch den Strahlungsqualitätskorrektionsfaktor kQ korrigiert werden. Die Wasser-Energiedosis Dw ergibt sich nach

Dw = NMkQ          (1),

wobei N der im 60Co-Strahlungsfeld ermittelte Kalibrierfaktor und M die Anzeige des Ionisationsdosimeters ist, die bereits bezüglich aller anderen Einflussgrößen korrigiert wurde (s. [1][2]). Der Strahlungsqualitätskorrektionsfaktor kQ hängt sowohl von der Strahlungsqualität (d.h. von der Energie) der Photonenstrahlung als auch vom Aufbau und den Abmessungen der verwendeten Ionisationskammer ab. Für Dosismessungen unter Referenzbedingungen (d.h. im 10 cm x 10 cm Strahlungsfeld) sind in den Dosimetrieprotokollen Werte für den Strahlungsqualitätskorrektionsfaktor angegeben. Diese Werte wurden jedoch nicht experimentell ermittelt, sondern basieren auf Modellrechnungen und Monte-Carlo-Simulationen und liefern mit einer relativen Standard-Messunsicherheit von 1 % den Hauptbeitrag zur Gesamtunsicherheit der Dosismessung unter Referenzbedingungen. Für die Dosismessung in kleinen Strahlungsfeldern sind bislang keine verlässlichen Werte des Korrektionsfaktors kQ bekannt. Im Hinblick auf eine Verringerung der Messunsicherheit der Dosismessung - insbesondere in kleinen Strahlungsfeldern - werden deshalb experimentell bestimmte Strahlungsqualitätskorrektionsfaktoren mit einer deutlich geringeren Messunsicherheit benötigt.

Im Rahmen des bereits erwähnten Joint Research Projects "External Beam Cancer Therapy" [3] wurden im Fachbereich 6.2 "Dosimetrie für Strahlentherapie und Röntgendiagnostik" in vier hochenergetischen Photonenstrahlungsfeldern - zunächst unter Referenzbedingungen (d.h. im 10 cm x 10 cm Strahlungsfeld) - Strahlungsqualitätskorrektionsfaktoren experimentell bestimmt. Dazu wurde mit einem Wasser-Kalorimeter die Wasser-Energiedosis Dw in den hochenergetischen Photonenstrahlungsfeldern gemessen [4]. Anschließend wurden in denselben Strahlungsfeldern die Anzeigen M von mehreren Ionisationskammern verschiedener Typen bestimmt. Diese Ionisationskammern wurden zuvor im 60Co-Referenzstrahlungsfeld der PTB kalibriert. Aus der Kenntnis des Kalibrierfaktors N, der Anzeige M und der Wasser-Energiedosis Dw wurde dann unter Verwendung von Gleichung (1) der Korrektionsfaktor kQ für jede einzelne Ionisationskammer ermittelt.

Als Beispiel sind in der Abbildung 1 die experimentell bestimmten kQ-Werte für drei verschiedene Kammern des Typs NE2561 im Vergleich mit den im Dosimetrieprotokoll IAEA TRS-398 [2] angegebenen Werten des Korrektionsfaktors kQ dargestellt.

Abbildung: Experimentell bestimmte Werte des Strahlungsqualitätskorrektionsfaktors kQ für drei verschiedene Kammern des Typs NE2561 im Vergleich zu den im Dosimetrieprotokoll IAEA TRS-398 angegebenen Werten dieses Korrektionsfaktors (durchgezogene grüne Linie). Die gestrichelten Linien stellen die Standardmessunsicherheit der in IAEA TRS-398 angegebenen kQ-Werte dar. Die jeweils zu derselben Strahlungsqualität gehörenden kQ-Werte für verschiedene Kammern wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit leicht versetzt dargestellt.

Die Messungen zeigen, dass eine experimentelle Bestimmung von Strahlungsqualitätskorrektionsfaktoren mit einer relativen Standardmessunsicherheit von 0,25 % möglich ist. Diese Unsicherheit ist deutlich geringer als die Unsicherheit der in IAEA TRS-398 oder DIN 6800-2 angegebenen kQ-Werte, die 1 % beträgt. Weiterhin zeigt sich, dass die exemplarspezifische Variation der kQ-Werte für verschiedene Kammern desselben Typs nicht größer ist als die Messunsicherheit der experimentell bestimmten Werte - es ist daher sinnvoll, in Dosimetrieprotokollen kammertypspezifische Werte des Korrektionsfaktors kQ anzugeben (s. auch [5]).

Diese Messungen von Strahlungsqualitätskorrektionsfaktoren werden gegenwärtig in kleinen Photonestrahlungsfeldern fortgeführt. Ziel ist die Bestimmung von kQ-Werten unter Verwendung des Wasserkalorimeters in Photonefeldern der Feldgröße 3 cm x 3 cm mit einer relativen Standard-Messunsicherheit von 0,5 %.

Literatur

  1. DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN 6800-2: Dosismessverfahren nach der Sondenmethode für Photonen- und Elektronenstrahlung - Teil 2: Dosimetrie hochenergetischer Photonen- und Elektronenstrahlung mit Ionisationskammern. Berlin, März 2008

  2. International Atomic Energy Agency: Absorbed Dose Determination in External Beam Radiotherapy, Technical Reports Series No. 398, Vienna, 2000,
    www-pub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/TRS398_scr.pdf Siehe www.euramet.org/index.php

  3. Achim Krauss, Ralf-Peter Kapsch:
    Calorimetric determination of kQ factors for NE 2561 and NE 2571 ionization chambers in 5 cm x 5 cm and 10 cm x 10 cm radiotherapy beams of 8 MV and 16 MV photons.
    Phys. Med. Biol. 52 (2007), 6243-6259

  4. Ralf-Peter Kapsch, Christian Pychlau:
    Exemplarstreuung von kQ-Werten.
    Proceedings der 39. Jahrestagung der deutschen Gesellschaft für Medizinische Physik e.V. , ISBN 3-9809869-8-5, Berlin, 2008