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Herstellung einer neuen Se-79-Standardprobe für die Beschleuniger-Massen-Spektrometrie (AMS)

Forschungsnachrichten der Abteilung 6

Die Nukleosynthese der Elemente, die schwerer als Eisen sind, findet hauptsächlich in Roten Riesen (AGB-Sternen) statt. Sie erfolgt fast vollständig durch den s-Prozess ("slow neutron capture process" - langsamer Neutroneneinfangprozess) und den r-Prozess ("rapid neutron capture process" - schneller Neutroneneinfangprozess). Der s-Prozess lässt sich weiter unterteilen in eine "schwache" Komponente (verantwortlich für Kerne bis A∼90) und eine "Haupt-"Komponente (für 90<A<209), die bei verschiedenen astrophysikalischen Szenarien bei unterschiedlichen Temperaturen und mit unterschiedlichen Neutronenexpositionen auftreten. Unter den beteiligten Kernen nehmen die langlebigen radioaktiven Isotope 63Ni (t½= 100,1 Jahre), 79Se (t½ ∼295000 Jahre), und 83Kr (t½ = 10,76 Jahre) eine Schlüsselrolle ein, da ihre β--Zerfallsrate vergleichbar mit der Neutroneneinfangrate ist. Die sich daraus ergebende Konkurrenz führt zu Verzweigungen im Nukleosynthesepfad des s-Prozesses.

Die Häufigkeiten von Isotopen an diesen Verzweigungspunkten können entweder für die Bestimmung der Neutronendichte oder der Temperatur im Stern während des s-Prozesses verwendet werden. Die starke Temperaturabhängigkeit der β-Zerfallsrate von 79Se [1] beruht auf der thermischen Besetzung tief liegender angeregter Zustände. Dadurch verringert sich die Halbwertszeit vom terrestrischen Wert von 295000 Jahren auf nur wenige Jahre bei Temperaturen des s-Prozesses von 5 MK. Aufgrund dieses Verhaltens kann 79Se als s-Prozess-Thermometer verwendet werden, und die Häufigkeit des reinen s-Isotops 80Kr kann für die Bestimmung der effektiven Temperatur verwendet werden. 63Ni und 85Kr weisen keine derartig starke Temperaturabhängigkeit auf und sind daher ideale Monitore für die Neutronendichte.

Während der letzten Jahre hat die AMS-Gruppe an der TU München das gas-filled analysing magnet system (GAMS) am MLL verwendet und den stellaren (n,γ)-Wirkungsquerschnitt von 62Ni und 78Se bei kT = 25 keV bestimmt. Die Messung von 79Se ist auch für die Nukleartechnik von Interesse, da es sich aufgrund seiner langen Halbwertszeit in abgebrannten Kernreaktor-Brennelementen anreichert. Die große Unsicherheit seiner Halbwertszeit (derzeit favorisierter Wert: 295000 Jahre) macht eine Bestimmung der 79Se-Menge über seine Radioaktivität sehr unsicher. AMS stellt eine der wenigen Möglichkeiten für die direkte Atomzählung dar. Da die Messungen jedoch immer relativ zu einer Referenz durchgeführt werden, ist die Herstellung dieser Standardproben ein kritischer Punkt.

Die früher verwendete 79Se-Standardprobe wurde mit thermischen Neutronen hergestellt und besaß eine Unsicherheit von 6 %, hauptsächlich aufgrund der Unsicherheit im thermischen Neutroneneinfang-Querschnitt von 0,43 ± 0,02 b [2]. Eine Alternative zur Herstellung einer 79Se-Standardprobe unabhängig vom thermischen Wirkungsquerschnitt ist die Reaktionskette 82Se(p,α) 79As(β-) 79Se. Diese Aktivierung wurde am Zyklotron der PTB durchgeführt. Die Probe bestand aus Al-Puder gemischt mit 82Se (Anreicherung 99,93 %) in der Stöchiometrie von 8,5:1. Da bisher keine experimentellen Daten vorlagen, wurde die Probe mit Protonen der Energie Ec.m = 18,625 MeV (siehe Abbildung 1) bestrahlt, nahe am maximalen (theoretischen) Wirkungsquerschnitt für die 82Se(p,α) 79As-Reaktion im Hauser-Feshbach-Code NON-SMOKER [3].

Abbildung 1: Aktivierungskammer an der PTB.

Zur Bestimmung des Wirkungsquerschnitts wurden sechs Kurzzeit-Aktivierungen zwischen 60 und 150 s durchgeführt. Der Zerfall des 79As kann daraufhin mittels γ-Spektrometrie gemessen werden (siehe Abbildung 2). Die Übergänge mit 365 keV, 432 keV und 879 keV wurden für die Analyse verwendet. Die Wirkungsquerschnitte, die aus den einzelnen Übergängen bestimmt wurden, weisen eine Unsicherheit von nur jeweils ∼1 % auf. Allerdings scheint es systematische Abweichungen zwischen den verschiedenen Übergängen zu geben, die bei 10 % liegen.

Abbildung 2: Zerfallsschema des 79As

Die vorläufigen Ergebnisse (mit rein statistischen Unsicherheiten) liegen bei 9,8(1) mb, 11,7(1) mb und 10,8(1) mb für die jeweiligen Übergänge 365 keV, 432 keV und 879 keV. Ursache für diese Abweichungen könnten die Unsicherheiten in den γ-Intensitäten sein, die vor mehr als 40 Jahren mit relativen Unsicherheiten von 5 % bestimmt wurden. Als gewichteten Mittelwert erhielten wir einen vorläufigen Wirkungsquerschnitt von 10,6(7) mb. Zusammen mit einer Protonenfluenz von insgesamt 1,2 x 1018 p führt dies zu einer Produktion von 2,3 x 1012 Atomen 79Se und einem 79Se/82Se-Verhältnis von 1,3 x 10-8.

Literatur

  1. K. Takahashi, K. Yokoi, At. Data Nucl. Data Tabl. 36 (1987) 375.
  2. S.F. Mughabghab, Atlas of Neutron Resonances- Resonance Parameters and Thermal Cross Sections Z = 1-100, 5th Edition, Elsevier (2006), ISBN 0444 52035X.
  3. T. Rauscher and F.-K. Thielemann, At. Data Nucl. Data Tables 75, (2000) 1.

Ansprechpartner:

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