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Effiziente optische Charakterisierung von Effektpigmentlackierungen

04.01.2016

Um ihren Produkten ein besonders auffälliges Aussehen zu geben, greifen Hersteller häufig auf Spezialeffektlackierungen zurück. Dabei handelt es sich um Lackierungen, die Interferenzpigmente enthalten. Diese Pigmente bestehen aus dünnen Substratplättchen eines Materials niedriger Brechzahl, z.B. SiO2 mit lateralen Abmessungen von typischerweise einigen 10 µm bis 100 µm, die von einer oder mehreren Schichten eines Materials hoher Brechzahl wie z.B. TiO2 umgeben sind. Durch diese Strukturierung sind die Reflexionseigenschaften eines solchen einzelnen Pigment-Plättchens stark wellenlängen- und winkelabhängig. Bei zufälliger Winkelorientierung der Pigmente relativ zur Oberfläche des Lacks gibt es für jeden Einfallswinkel eine breite Verteilung von Ausfallswinkeln mit jeweils anderem Farbspektrum. Im Ergebnis zeigen solche Lacke einen Farbeindruck, der sich stark mit den Richtungen der Beleuchtung und der Beobachtung ändert, wie es in Abbildung 1 exemplarisch illustriert ist.

((Bild    4.24_Interferenz Viola Fantasy klein))

Abbildung 1 oben: Messgeometrien für Effektlackierungen nach dem Standard ASTM E2539-14 „Standard Test Method for Multiangle Color Measurement of Interference Pigments“. Bei einem Einfallswinkel von 45°(blaue Linie) bzw. 15° (rote Linie) wird die Reflektion unter Winkeln von 65°, 30°, 0°, -20°, -30° und -60° (blaue Punkte), bzw. 0° und -30° (rote Kreise) zur Normalen gemessen. Unten: Farbeindruck einer Lackierung mit Colorstream T20-01 Interferenzpigment in den ASTM E2539-14 Messgeometrien mit einer Halogenlampe als Lichtquelle.

Eine umfassende messtechnische Charakterisierung des Erscheinungsbildes erfordert einen sehr großen Messaufwand, da das Farbspektrum für jeden Beleuchtungswinkel und für jeden Beobachtungswinkel (Beobachtungswinkel in zwei räumlichen Winkeldimensionen!) gemessen werden muss. Dieser Aufwand ist in der  industriellen Anwendung nicht praktikabel. Ziel eines von der EU geförderten Forschungsprojekts [1] ist es deshalb, effizientere Methoden zur Charakterisierung solcher Effektpigmentlackierungen zu entwickeln. Dabei werden u.a. Ansätze verfolgt, die auf einer  phänomenologischen Parametrisierung der Winkelabhängigkeit beruhen und Vorhersagen durch Interpolation erreichen [2]. Allerdings ist dieser Ansatz nicht stringent physikalisch motiviert und daher ist die Anwendbarkeit auf beliebige Interferenzpigmente nicht validiert. Von der PTB wird im Rahmen dieses Projekts ein alternatives Verfahren verfolgt, das auf Basis eines physikalischen Modells der Farbentstehung mit einer stark reduzierten Zahl von ausgesuchten Messgeometrien auskommt und dennoch eine gute Beschreibung und Vorhersage des winkelabhängigen Farbeindrucks ermöglicht [3]. 

Ausgangspunkt der neuen Methode ist die Tatsache, dass  die Reflexion an einer planaren Mehrschichtstruktur wie einem Interferenzpigment spekular ist und nur durch den Einfallswinkel bestimmt ist. Unter Berücksichtigung der Lichtbrechung an der Lackoberfläche kann man daher einen Zusammenhang herstellen zwischen den Beleuchtungs- und Beobachtungsrichtungen (Bezugsfläche ist hier die Lackoberfläche) und den Lichteinfalls- bzw. Ausfallswinkeln derjenigen Pigment-Plättchen, welche die Strahlung in Beobachtungsrichtung hervorgerufen haben. Die in eine bestimmte Raumrichtung zu beobachtende Strahlung lässt sich als Summe der spekularen Reflexionen (inkl. Interferenzeffekt) der „richtig“ orientierten Pigment-Plättchen beschreiben.

Zur Modellierung der Strahldichte in Beobachtungsrichtung muss zunächst die Winkelabhängigkeit der spekularen Reflexion der Interferenzpigmente bestimmt werden. Dazu nutzt man Geometrien, bei denen sich nur der Einfallswinkel auf die Pigmente ändert (der Beobachtungswinkel muss entsprechend mitgeführt werden). Zusätzlich benötigt man Informationen über die Winkelverteilung der Pigmentorientierungen. Dafür wird die Messgeometrie so eingestellt, dass nur Pigmente mit einer gewissen Orientierung zur Lackoberfläche zum Messsignal beitragen, wobei der Einfallswinkel auf die Pigmente konstant bleibt. Um die Winkelverteilung der Pigmente über einen großen Bereich zu bestimmen, benötigt man entsprechend viele solcher Messgeometrien. Sofern die Pigmente rotationssymmetrisch im Lack verteilt sind, was in der Praxis die Regel darstellt, kann man nun die Farbe des Lacks unter beliebigen Beleuchtungs- und Beobachtungsrichtungen vorhersagen.

Das neue Verfahren erreicht im Vergleich zu phänomenologischen Modellen die gleiche oder sogar eine bessere Genauigkeit bei der Beschreibung und Vorhersage des winkelabhängigen Farbeindrucks und ist zudem allgemeiner einsetzbar. Durch geplante Verfeinerungen des physikalischen Modells (z.B. Berücksichtigung von  Streustrahlung) soll das Verfahren weiter verbessert werden.

(C. Strothkämper, FB 4.2, christian.strothkaemper(at)ptb.de)

 

Literatur:

 [1]       EMRP Projekt IND52 “Multidimensional reflectometry for industry” http://www.xdreflect.eu/. Das Projekt wird gemeinsam von den am EMRP-Programm teilnehmenden Staaten und der Europäischen Union gefördert  

 [2]       A. Ferrero, J. Campos, E. Perales, F. M. Martinez-Verdu, I. van der Lans, and E. Kirchner, Global color estimation of special-effect coatings from measurements by commercially available portable multiangle spectrophotometers, J. Opt. Soc. Am. A 32, 1–11 (2015)

 [3]       C. Strothkämper, K.-O. Hauer, and A. Höpe, How to Efficiently Characterize Special Effect Coatings, accepted in J. Opt. Soc. Am. A