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Virtuelle Experimente zur Vermessung von Synchrotronspiegeln

28.12.2011

Abstract
In Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum Berlin (BESSY-II)  wurden zur Untersuchung eines Messverfahrens für Synchrotronspiegel virtuelle Experimente durchgeführt. In dem simulierten Experiment wird ein kompaktes Interferometer mittels einer 4 Achsen Bewegungseinheit über den Prüfling geführt. Dabei werden  mehrere tausend Subtopographien aufgenommen. Mittels eines speziellen Stitchingverfahrens wird aus den gemessenen Subtopographien die Prüflingsform rekonstruiert. Die Einflüsse von Positionierabweichungen, Interferometerfehlern sowie Kalibrierabweichungen der Maschinengeometrie werden mittels virtueller Experimente untersucht. Der Synchrotron-Fokussierspiegel hat eine Länge von 30 cm, eine Breite von 4 cm, eine Höhenvariation von 5 mm sowie eine maximale Krümmung von 44 mm-1. Mithilfe der virtuellen Experimente konnte eine Rekonstruktionsgenauigkeit von 100 nm ermittelt werden.

Einleitung
Interferometrische Messverfahren werden standardmäßig für Prüflinge mit geringen Abweichungen (wenige Mikrometer) von Planflächen oder Sphären eingesetzt. In beiden Fällen sind Messunsicherheiten weit unterhalb von 10 Nanometern oder sogar unterhalb von einem Nanometer möglich [1]. Die erreichbare relative Messunsicherheit beträgt in beiden Fällen etwa 10-3-10-4. Im Falle einer sphärischen Grundform wird jedoch nur die Sphärizität, also die Abweichung der Prüflingsform von einer bestangepassten Sphäre bestimmt. Wird zusätzlich der Radius des Prüflings mit bestimmt, sind die erreichbaren Messunsicherheiten deutlich größer und abhängig von der Höhendifferenz des Prüflings.
Optische Messtechniken werden aufgrund ihres kontaktlosen Messprinzips oft eingesetzt. Für Flächen mit großen Höhendifferenzen können vollflächig messende Interferometer nicht eingesetzt werden, da die großen Prüflingsteigungen zu hohe Streifendichten zur Folge hätten. Um auch solche Prüflinge interferometrisch vermessen zu können, werden sogenannte Stitching - Methoden eigesetzt. Dabei wird die lokale Topographie in vielen kleinen, sich überlappenden Subaperturen gemessen und die Gesamttopographie aus diesen rekonstruiert. Gewöhnliche Stitchingverfahren kombinieren lediglich wenige Dutzend Subtopographien und erlauben es nicht, den sphärischen Anteil des Prüflings zu bestimmen. Das im Folgenden dargestellte Messverfahren [2] kombiniert mehrere tausend Subtopographien und erlaubt im Gegensatz zu herkömmlichen Stitchingverfahren auch die Bestimmung des absoluten Prüflingsradius.
Messprinzip


Abb. 1. Simuliertes Messsystem

Das simulierte Messsystem basiert auf einer kommerziellen 4-Achsen -Koordinatenmessmaschine. Der Prüfling (violett in Abb. 1) befindet sich auf einem y-Tisch mit 400 mm Verfahrweite. Das kompakte Interferometer (Apertur 3 mm,  100x100 Pixel) kann in x-Richtung (800 mm Verfahrweite) und in z-Richtung (200 mm Verfahrweite) bewegt werden sowie um die x-Achse rotiert werden.
Der Prüfling ist ein Ausschnitt aus einem Rotationsellipsoiden, wobei die Grundform annähernd als zylindrisch angenommen werden kann (Abb. 2). Zu der Designfunktion des Prüflings wurden noch typische Formabweichungen von Synchrotronspiegeln hinzuaddiert.


Abb. 2. Abbildung eines typischen Synchrotron - Fokussierspiegels.

Das Interferometer besitzt eine plane Referenzfläche, um auch den Radius des Prüflings bestimmen zu können. Um die Streifendichte im Interferometer gering zu halten, muss das Interferometer in jeder Messposition möglichst senkrecht auf den Prüfling gerichtet werden. Da der Prüfling annähernd zylinderförmig ist, reicht eine Rotationsachse hierfür aus. Gängige interferometrische Messtechniken bestimmen nicht den Absolutabstand zwischen Referenzfläche und Prüflingsfläche, sondern lediglich den Abstand Modulo der halben Laserwellenlänge. Durch den Einsatz mehrerer Wellenlängen kann das Eindeutigkeitsintervall von Interferometern bis in den cm Bereich gesteigert werden. In dem vorgestellten Verfahren muss diese Mehrwellenlängeninterferometrie für mindestens eine Subtopographie angewendet werden, um den Absolutabstand tz (vergl. Abb. 3) zwischen Topographie und der Interferometerreferenzfläche zu bestimmen. Diese Absolutmessung erfolgt in der ersten aufgenommen Subtopgraphie. Alle anderen Messungen erfolgen im konventionellen Einwellenlängenbetrieb.  
 

Abb. 3. Skizze zum simulierten Stitchingverfahren.

Die Lage des in Abb. 3 dargestellten φ-Rotationsachsen-Systems ist durch die Steuerungsparameter (x, y, und z) der Translationsachsen bekannt. Der Vektor tIF -φmuss vor der Messung kalibriert werden, um alle aufgenommen Subtopographien vom Rotationsachsen-System in das Interferometer-System umrechnen zu können. Der Prüfling wird dann mithilfe des 4-Achsen-Bewegungsystems so relativ zu dem Interferometer verfahren, dass jeder Bereich des Prüflings mit dem kompakten Interferometer gemessen wird. Der Überlapp zwischen benachbarten Subtopographien beträgt 1 mm.
Der Abstand tz der aufgenommenen Subtopographien ist nur für die erste, im Mehrwellenlängenmodus aufgenommene Subtopographie bekannt. Für alle folgenden Subtopographien ist dieser Abstand unbekannt und muss rechnerisch ermittelt werden: Ausgehend von den x-, y-, z- und φ-Werten der Bewegungsachsen (und dem Kalibrationswert von tIF -φ) kann die zweite Subtopographie in das Koordinatensystem der zuerst aufgenommen Mehrwellenlängen-Subtopographie transformiert werden. In diesem Koordinatensystem kann nun aus dem Überlappbereich der beiden Topographien der unbekannte Parameter  tz der zweiten Topographie bestimmt werden.
Anschließend wird die zweite Subtopographie um den ermittelten Wert  tz verschoben und formt zusammen mit der ersten Topographie die bis dahin ermittelte Gesamttopographie. Daran werden dann sukzessive alle folgenden Subtopographien wie beschrieben angefügt. Die Verkippung zwischen benachbarten Subtopographien wurde nicht mit kompensiert, um das Aufschaukeln kleiner systematischer Interferometerabweichungen zu großen globalen Topographieabweichungen zu verhindern [3].
Zusätzlich zu dem Stitchingverfahren wurde eine zweite Messmethode simuliert die direkt die Genauigkeit des Bewegungssystems wiederspiegelt. Bei dieser wird davon ausgegangen, dass jede Subtopographie mit dem aufwendigen Mehrwellenlängeverfahren vermessen wurde. Nach der Messung werden alle Subtopographien lediglich in ein gemeinsames Koordinatensystem transformiert. Dieses Verfahren, im Folgenden als direktes Rekonstruktionsverfahren bezeichnet, spiegelt somit direkt die Genauigkeit der Bewegungseinheit wider.   

Simulationsverfahren
Um die erreichbare Genauigkeit der beiden Messverfahren sowie den Einfluss einzelner Parameter auf das Messergebnis zu untersuchen, wurde die gesamte Bewegungseinheit dreidimensional im Computer nachgebildet. Für jede Achse wurden realistische, auf Messungen realer Achsen basierende Positionierabweichungen in alle 3 Raumrichtungen und Verkippungsabweichungen um alle 3 Achsen angenommen. Dabei wurde die relative Lage der einzelnen Achsen korrekt berücksichtigt, so dass beispielsweise eine Rollabweichung der x-Achse zu einer Positionsabweichung in y-Richtung des Interferometers führt. Für die Simulation wurde zwischen zufälligen und systematischen Abweichungen der Bewegungsachsen unterschieden. Desweiteren wurden zufällige und systematische Interferometerabweichungen ebenso berücksichtigt wie Kalibrierabweichungen des bereits erwähnten Vektors tIF -φ.
Aus den simulierten Subtopographien wurde dann mit dem beschriebenen Rekonstruktionsverfahren die Gesamttopographie berechnet. Für die Rekonstruktion wurden die Sollpositionen der Achsen verwendet, nicht die tatsächlichen durch Positionierabweichungen veränderten Positionen, da bei realen Messungen die tatsächlich vorliegenden Positionierabweichungen in der Regel ebenfalls nicht bekannt sind. Die rekonstruierte Topographie wurde anschließend solange relativ zu der simulierten Topographie verschoben und rotiert, bis die  quadratische Differenz minimal war. Diese minimale quadratische Differenz (rms) dient als Qualitätsmerkamal für die Rekonstruktion.

Simulationsergebnisse
Typische Rekonstruktionsergebnisse für die beiden beschriebenen Messverfahren sind in Abb. 4 gezeigt. Dargestellt ist die Differenz zwischen der rekonstruierten Topographie und der simulierten Topographie.

Abb. 4. Typische Rekonstruktionsabweichungen der beiden Rekonstruktionsverfahren.

Während man für das Stitchingverfahren eine glatte Topgraphie erhält, sind bei der direkten Messmethode alle einzelnen Subtopographien in Rekonstruktionsergebnis erkennbar. Für die direkte Methode ergibt sich eine mittlere quadratische Differenz von 0,3 µm, für das Stitching Verfahren von lediglich 0,1 µm. Die Ursache für die große Differenz liegt darin, dass mit dem Stichingverfahren nicht nur die fehlende Information des Absolutabstandes kompensiert wird, sondern auch alle aus den Positionierabweichungen der Achsen resultierenden Verschiebungen in Messrichtung des Interferometers korrigiert werden.
Wesentlich für beide Rekonstruktionsverfahren ist eine korrekte Kalibrierung des Vektors tIF -φ. Für die Simulation der Messwerte wurde der Vektor tIF -φ=(-1,5 mm, 1 mm, -180 mm)T verwendet. Um den Einfluss der Kalibrierung von tIF -φ zu untersuchen, wurde für die Rekonstruktion der Messwerte ein veränderter Vektor tIF -φ verwendet. Die x-Komponente des Vektors ist nicht von Interesse, da diese lediglich zu einer Verschiebung der Gesamttopographie führt. In Abb. 5 ist die rms-Rekonstruktionsabweichung in Abhängigkeit einer Abweichung des Vektors tIF -φ vom richtigen Wert sowohl für die y- als auch für die z-Komponente gezeigt.  


Abb. 5. Rekonstruktionsabweichungen der beiden Rekonstruktionsverfahren für verschiedene Kalibrierabweichungen des Vektors tIF -φ.

Die Stitchingmethode erweist sich als robust gegenüber Kalibrierabweichungen der y-Komponente von tIF -φ Beide Messmethoden reagieren jedoch ähnlich auf eine Abweichung der z-Komponente von tIF -φ, da diese Komponente entscheidenden Einfluss auf den Radius des rekonstruierten Prüflings hat. Um das Rekonstruktionsergebnis nicht zu beeinflussen, müssen beide relevanten Komponenten mit einer Genauigkeit besser als 10 µm kalibriert werden. Unterhalb dieses Wertes wird das Rekonstruktionsergebnis von anderen Unsicherheitsquellen dominiert, so dass eine genauere Kalibrierung von tIF -φ nicht zu einer Verbesserung des Rekonstruktionsergebnisses führt.


Um die Eigenschaften des Rekonstruktionsverfahrens für flachere Prüflinge zu untersuchen, wurden Simulationen für einen zylindrischen Prüfling mit identischen lateralen Abmessungen durchgeführt. Der Radius des Zylinders wurde variiert (Abb. 6). Es zeigt sich, dass für flachere Zylinder, d.h. Zylinder mit geringeren Radien, der hier untersuchte Stitchingalgorithmus um einen Faktor von etwa 5 besser ist als das direkte verfahren.


Abb. 6. Rekonstruktionsabweichungen der beiden Rekonstruktionsverfahren in Abhängigkeit des Radius eines zylindrischen Prüflings. Die rote Linie markiert den Radius des Synchrotronspiegels der vorhergehenden Simulationen.

Insgesamt zeigt sich, dass die Rekonstruktionsgenauigkeit umso genauer ist, je flacher der Prüfling bzw. je schwächer die Krümmung der Prüflingsoberfläche ist. Für den hier untersuchten Synchrotronspiegel war das Stitchingverfahren um einen Faktor drei besser als die direkte Messmethode. Für flachere Prüflinge ist die Stitchingmethode nochmals deutlich besser gegenüber der direkten Methode. Die erläuterten virtuellen Experimente liefern sowohl wesentliche Information zur Auswahl der korrekten Messmethode für einen Prüfling, als auch zur Verbesserung der jeweiligen Messmethode.


Literatur:

[1]    Walsh C.J., Leistner A.J., Seckold J., Oreb B.F., Farrant D.I.: Fabrication and measurement of optics for the laser interferometer gravitational wave observatory. Appl. Opt 1999;38:2870–9.
[2]    Wiegmann A., Stavridis M., Walzel, Siewert F., Zeschke T.,Schulz M. and Elster C.: Accuracy evaluation for sub-aperture interferometry measurements of a synchrotron mirror using virtual experiments. Precision Engineering 2011; 35: 183-190.
[3]    Elster C., Weingärtner I., Schulz M.: Coupled distance sensor systems for high-accuracy topography measurement: Accounting for scanning stage and systematic sensor errors. Precision Engineering, 2006; 30:32–8.