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Neuer WELMEC-Leitfaden 2.8 für selbsttätige Waagen (SW) verabschiedet

27.08.2008

Seit mehreren Jahrzehnten werden elektronische Waagen zunächst als nichtselbsttätige Waagen (NSW) geprüft und zur Eichung zugelassen und später wird auch deren Zulassung als selbsttätige Waagen (SW) beantragt. In der Vergangenheit zeigte sich, dass die europäischen benannten Stellen zum Teil einer unterschiedlichen Philosophie bei der Behandlung solcher Anträge folgten. Bedenklich war, dass die spezifischen messtechnischen Probleme von SW zum Teil völlig außer Acht gelassen wurden.

Um nach Inkrafttreten der europäischen Messgeräterichtlinie 2004/22/EG [1] (allgemein bekannt als MID) eine einheitliche messtechnische Behandlung der SW zu gewährleisten, wurde im Januar 2004 eine Unterarbeitsgruppe im Rahmen der Sitzung der WELMEC-Arbeitsgruppe WG2 (WELMEC: European Cooperation in Legal Metrology) unter der Leitung von Dänemark gegründet, die sich mit dem Thema beschäftigen sollte.

Wie der Name sagt, arbeiten selbsttätige Waagen in der Regel, ohne dass ein Bediener anwesend ist, um den Wägeablauf zu überwachen. Außerdem laufen Wägevorgänge oft sehr schnell ab, so dass eine visuelle Kontrolle des angezeigten Messwertes ohnehin kaum möglich wäre. Daraus ergeben sich folgende Probleme:


  • Der Nullpunkt der Waage (Anzeige der unbelasteten Waage) kann nach dem Einschalten durch Anwärmeffekte der Elektronik wegdriften. Da kein Personal anwesend ist, das den Nullpunktfehler korrigieren könnte, gehen Nullpunktdriften voll in das Messergebnis ein.
  • Der Nullpunkt der Waage kann unter dem Einfluss von Änderungen der Umgebungstemperatur wegdriften (Änderung der Anzeige der unbelasteten Waage aufgrund von Änderungen der Temperatur). Auch in diesem Fall geht der Fehler direkt in das Wägeergebnis ein.
  • Bei einer NSW darf laut OIML R76 [2] (OIML: Organisation International de Metrologie Légale) der Einfluss des Nullpunktfehlers auf den Messwert nach dem Nullstellen oder Tarieren 0,25 Teilungswerte (d) der Waage betragen. Der Teilungswert einer Waage ist die Differenz zwischen zwei aufeinander folgenden Anzeigewerten bei einer Ziffernanzeige. Insbesondere bei Abfüllungen kleiner Mengen mithilfe von selbsttätigen Waagen zum Abwägen (SWA) kann die Abweichung von 0,25 d einen so bedeutenden Einfluss auf die tatsächliche Füllmenge im Vergleich zur Sollfüllmenge haben, dass es zur Überschreitung von Eich- und Verkehrsfehlergrenzen kommt. Die OIML R61 [3] für SWA legt deshalb bereits absolute Untergrenzen für Füllmengen in Abhängigkeit von unterschiedlichen Teilungswerten und Genauigkeitsklassen fest.
  • Transiente Störungen aufgrund elektromagnetischer Einwirkungen, die bei NSW vom Bediener erkannt würden, bleiben bei SW unerkannt. Bei SWA gehen z. B. kurzzeitige Änderungen des angezeigten Messwertes voll in die Abfüllung ein, weil ein solcher Anstieg des angezeigten Ergebnisses von der SWA als Erreichen des Sollwertes interpretiert und damit die Füllung abgeschlossen wird, bevor die Sollmenge in die Packung abgefüllt ist.

Die erste Ausgabe des WELMEC-Leitfadens 2.8 zur Behandlung der o. g. Probleme wurde im Mai 2008 auf der Homepage der WELMEC unter Federführung der PTB veröffentlicht. Neben den anwendbaren Grundsätzen und rechnerischen Zusammenhängen zeigt er anhand von Beispielen, insbesondere für SWA, wie die benannten Stellen vorgehen sollten. Als Entwurf enthielt der Leitfaden zunächst viele redundante Informationen aus anderen WELMEC-Leitfäden (z. B. zur Prüfung von Auswertegeräten), so dass ein sehr umfangreiches Dokument (mehr als 100 Seiten) entstanden war. Die PTB hatte ein großes Interesse daran, den Leitfaden anderen europäischen benannten Stellen zugänglich zu machen, um ihnen die Arbeit zu erleichtern und eine Gleichbehandlung der Hersteller zu erreichen. Deshalb wurde die Leitung der zuständigen WELMEC-Arbeitsgruppe de facto von der Arbeitsgruppe „Dynamisches Wägen” der PTB übernommen, nachdem der bisherige Vorsitzende seine Mitarbeit eingestellt hatte. In Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedern wurde eine völlig neue Version des Leitfadens erstellt, die keinerlei redundante Informationen aus anderen Leitfäden enthielt. Erfahrungen Dritter mit dem neuen Leitfaden liegen bisher nicht vor. Insbesondere bei SWA ergibt sich ein erhöhter Rechenaufwand (rekursive Verfahren) aufgrund des besonderen Fehlerregimes zur Ermittlung minimal möglicher Füllmengen (Minfills). Daher wird diesen SW ein Großteil des Leitfadens gewidmet. Die Ergebnisse werden in der Regel für den für das Auswertegerät der Waage geltenden kleinsten Signalpegel pro Teilungswert d ermittelt. Mit zunehmendem Signalpegel wird der relative Einfluss z. B. von Nullpunktdriften geringer, weil sie technisch betrachtet Änderungen der Offsetspannung der Elektronik darstellen. Die Änderung (?U) bleibt konstant, während die Signalspannung pro d ansteigt, womit ?U eine kleinere Änderung der Anzeige (ausgedrückt in d) zur Folge hat. Dadurch wiederum können theoretisch neue, kleinere Minfills ermittelt werden. Für die nötigen Berechnungen stehen in der PTB entsprechend programmierte Excel-Formulare zu Verfügung. Die in den Baumusterprüfbescheinigungen vorhandenen, auf Basis der o. g. Berechnungen entstandenen Minfillwerte können für größere Signalpegel neu ermittelt werden. Wenn ein entsprechendes Rechenwerkzeug zur Verfügung steht, wird diese Arbeit wesentlich erleichtert. Dieses Werkzeug soll mittelfristig auf die Internetseiten der PTB oder der WELMEC gestellt werden. Ergänzend sollen Baumusterprüfbescheinigungen nach MID mit erklärenden Informationen versehen werden, so dass unter günstigeren technischen Bedingungen, also bei einem größeren Signalpegel pro d, kleinere Minfills rechnerisch ermittelt werden können. In der Praxis wird sich die Notwendigkeit solcher nachträglicher Umrechnungen der ermittelten Minfilltabellen nicht sehr häufig ergeben, weil die Mindestfüllmenge der tatsächlich realisierten Waage in der Regel stark von der Qualität der Zuführeinrichtungen, den Materialeigenschaften des Abfüllgutes (Anhaftungen) und den Umgebungsbedingungen (z. B. Vibrationen) beeinflusst wird. Die in den Baumusterprüfbescheinigungen angegebenen Werte sollen als Referenzwerte daher in erster Linie verhindern, dass bei vor Ort optimalen Randbedingungen keine Waagen realisiert werden, deren Genauigkeitsklassen höher und deren Minfills niedriger liegen als theoretisch nach den im Labor ermittelten Ergebnissen, z.B. von Temperaturgang und Anwärmverhalten, möglich.

 

[1] Richtlinie 2004/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über Messgeräte

[2] Non-automatic weighing instruments. Part 1: Metrological and technical requirements – Tests, Ausgabe 2006

[3] Automatic gravimetric filling instruments. Part 1 : Metrological and technical requirements – Tests, Ausgabe 2004

Ansprechpartner:

Karsten Schulz, FB 1.1, AG 1.13, e-mail: karsten.schulz@ptb.de