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Neue Temperierkammer zur Prüfung von Wägezellen bis 200 t

13.10.2005

Eine neuartige Temperierkammer in Verbindung mit einer Kraft-Normalmesseinrichtung (K-NME) mit Direktbelastung ermöglicht der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) die Prüfung und Zertifizierung von Wägezellen mit Nennlasten bis zu 200 t. Die Einrichtung ist in Europa einzigartig und bietet Herstellern und Kunden erstmals die Möglichkeit der Zertifizierung von Wägezellen mit sehr großen Nennlasten, wie sie beispielsweise in der Schwerindustrie zum Einsatz kommen.

Die Waagenindustrie stellt mit einem Jahresexport von 500 Millionen Euro (Jahr 2004) einen der wichtigsten Industriezweige Deutschlands dar. Die Wägetechnik erstreckt sich heutzutage von den "Mikrowaagen" mit einer Höchstlast von nur 5 g bei einer digitalen Auflösung von 0,001 mg bis zu riesigen, in der Schwerindustrie eingesetzten Kranwaagen mit maximalen Lasten von 500 t und typischen Auflösungen von 200 kg. Sehr viele Anwendungen von Waagen, ob im geschäftlichen Warenverkehr oder bei der Massebestimmung zur Gebührenberechnung, sind gemäß nationaler oder europäischer gesetzlicher Vorschriften eichpflichtig. Gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzung für die nationale oder europäische Eichung ist die Zertifizierung von Waagen, für die in der Bundesrepublik Deutschland der Fachbereich "Masse" der PTB verantwortlich ist. Da es nicht immer sinnvoll oder möglich ist, die gesamte Waage zu prüfen, besteht die Möglichkeit der Prüfung einzelner Waagenmodule.

Das wichtigste Waagenmodul ist die Wägezelle als Kernstück moderner, elektromechanischer Waagen. In der Regel verursacht in einer Wägezelle die wirkende Gewichtskraft in so genannten Dehnungsmessstreifen (DMS) eine elektrisch auswertbare Widerstandsänderung. Weitere Messprinzipien, wie die elektromagnetische Kraftkompensation (EMK), beschränken sich auf den Einsatz in Präzisions- und Feinwaagen.

Die messtechnischen Prüfungen zur Zertifizierung von Wägezellen erfordern die Berücksichtigung klimatischer Einflussfaktoren und sind in der international anerkannten OIML-Empfehlung R60 dokumentiert. Die wichtigsten, in der OIML-Empfehlung R60 festgelegten Bewertungskriterien sind die Reproduzierbarkeit, Linearität und Hysterese sowie das Kriechen und die Nullpunktrückkehr von Wägezellen bei Temperaturen von 20°C, 40°C und -10°C. Die bisher in der PTB bestehenden Einrichtungen ermöglichen Prüfungen von Wägezellen mit Nennlasten von einigen Gramm bis zu 100 t. Um aber auch der gesetzlichen Pflicht zur Zertifizierung von Wägezellen mit sehr großen Nennlasten nachzukommen, ist eine Vergrößerung des bestehenden Prüfbereichs unumgänglich. Durch eine nachträgliche Ausrüstung der 2004 neu in Betrieb genommenen 2-MN-K-NME mit einer geeigneten Temperierkammer trägt die PTB der fortschreitenden Entwicklung auf dem Gebiet der Wägetechnik Rechnung. Damit wird eine seit langem seitens der Industrie geforderte Prüfung von Wägezellen mit Nennlasten bis 200 t möglich. Entsprechende Möglichkeiten sind in Europa derzeit nicht vorhanden.

Eine Fotomontage und schematische Darstellung der 2-MN-K-NME und die eingebaute Temperierkammer sowie das auf der Traverse aufgestellte Kühlaggregat ist in Bild 1 dargestellt.

Fotomontage und schematische Darstellung der 2-MN-K-NME und die eingebaute Temperierkammer sowie das auf einer Traverse aufgestellte Kühlaggregat

Bild 1: Fotomontage und schematische Darstellung der 2-MN-K-NME und die eingebaute Temperierkammer sowie das auf einer Traverse aufgestellte Kühlaggregat

Die maximalen Abmessungen der Temperierkammer sind durch die beiden Stangen des Umlenkgehänges der K-NME in der Breite und durch einen Träger des höhenverstellbaren Querhauptes in der Tiefe festgelegt. Die Höhe der Kammer wird durch den maximalen Verfahrweg des höhenverstellbaren Querhauptes der K-NME begrenzt. Durch einen teilbaren Aufbau der Kammer ist ein einfacher Ein- und Ausbau der Temperierkammer in die K-NME gewährleistet.

Ein sehr wichtiges Kriterium ist der absolute Schutz der K-NME gegen Austritt von Flüssigkeiten. Dies ist von höchster Bedeutung, da die Belastungskörper der K-NME aus Stahl gefertigt sind. Kommt es aufgrund von Leckagen im Flüssigkeitskreislauf der Kammer zur Korrosion der Belastungskörper, führt dies zu Gewichtskraftänderungen und einer unkalkulierbaren Erhöhung der Messunsicherheit. Aus diesem Grund erfolgt die Temperierung der Kammer mit Luft in Verbindung mit einem Direktverdampfer und einer Elektroheizung. Das Kältemittel des Verdampfers wird unter Umgebungsbedingungen sofort gasförmig und kommt somit unter keinen Umständen mit den Belastungskörpern in Berührung. Das Flüssigkeit führende Kälteaggregat befindet sich in sicherem Abstand zur 2-MN-K-NME auf einer Traverse. Die Verbindung zwischen dem Kälteaggregat und dem Verdampfer ist mit flexiblen Kältemittelschläuchen und speziellen Verschraubungen so realisiert, dass sowohl eine Trennung der Verbindung unter Druck möglich ist als auch ein zusätzlicher Schutz gegen Austritt von Kältemittel gewährleistet ist.

Eine erschwerende Randbedingung zur Einhaltung der messtechnischen Spezifikationen der Temperierkammer stellen die zur Krafteinleitung ins Kammerinnere hinein ragenden Maschinenteile der K-NME dar. Diese so genannten Druckstücke (siehe Bild 2) umfassen einen Großteil der Grundfläche der Temperierkammer. Zur Reduzierung der durch sie übertragenen Wärmeleitung sind sie nicht vollständig aus Stahl, sondern zum Teil aus einem speziellen, druckfesten Kunststoff als Thermobarriere gefertigt

Inneres der Temperierkammer mit zum Teil aus speziellem, druckfestem Kunststoff gefertigten Druckstücken zur Krafteinleitung in die zu prüfenden Wägezellen

Bild 2: Inneres der Temperierkammer mit zum Teil aus speziellem, druckfestem Kunststoff gefertigten Druckstücken zur Krafteinleitung in die zu prüfenden Wägezellen

Zusätzlich ist in das untere Druckstück ein lamellenartiger Kamm eingearbeitet, durch den temperierte Luft über Luftleitbleche eingeleitet wird. Dies ermöglicht es, neben einer schnelleren Umtemperierung, die geforderten räumlichen Temperaturgradienten von kleiner 0,2 K pro 100 mm im Einbaubereich der Wägezelle zu erreichen.

Zur Gewährleistung einer möglichst hohen zeitlichen Temperaturkonstanz wird das Kälteaggregat bei einer konstanten Leistung betrieben. Die Temperaturregelung erfolgt durch eine Elektroheizung, wodurch sehr kurze Regelzeiten im Bereich einiger Minuten und maximale Sollwertabweichungen von ±0,1 K in einem Temperaturbereich von -20°C bis +55°C realisiert werden. Damit erfüllt die Temperierkammer alle messtechnischen Anforderungen zur Prüfung von Wägezellen nach der OIML -Empfehlung R60.

Ansprechpartner:

Oliver Mack. FB 1.1, AG 1.12, E-Mail: Oliver.Mack@ptb.de