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Akustische Wahrnehmung von Warnsignalen heranfahrender Rettungswagen

28.06.2005

In Deutschland verunglücken jährlich viele Rettungsfahrzeuge bei Einsatzfahrten. Für das Jahr 1998 hat das Bundesamt für Straßenwesen eine Statistik veröffentlicht. Danach kamen bei 322 Unfällen mit Notarztfahrzeugen und Rettungswagen neun Menschen ums Leben und 541 weitere wurden verletzt. Es ereigneten sich mehr als 40 % der Unfälle an Kreuzungen und mehr als 20 % an Einmündungen. Die Arbeitsgruppe Geräuschmesstechnik hat die Fragestellung untersucht, wie das Warnsignal eines heranfahrenden Rettungswagens an eine Kreuzung im Innern eines Personenkraftwagens von einer Fahrerin oder einem Fahrer wahrgenommen wird. Die Ergebnisse sollen auch in ein Schulungskonzept für Fahrer von Rettungswagen einfließen, das zur Zeit vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat und der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. entwickelt wird.

Die praktische Erfahrung im Straßenverkehr zeigt, dass es beim ersten Hören eines Warnsignals sehr schwierig ist, festzustellen, aus welcher Richtung das Rettungsfahrzeug naht. Dies ist unter anderem dadurch bedingt, dass Schallreflexionen an Häusern und Kraftfahrzeugen die räumliche Ortung erheblich stören. Die Richtungswahrnehmung erfolgt durch Auswertung der Schallsignale an beiden Ohren, wobei sowohl die Schallpegeldifferenzen als auch die Laufzeitunterschiede zwischen linkem und rechtem Ohr vom Gehirn ausgewertet werden. Um diesen Prozess zu demonstrieren, wurden sogenannte Kunstkopfaufnahmen durchgeführt: An den beiden Ohrkanaleingängen eines künstlichen Kopfes befinden sich zwei Mikrofone, die den Schall dort aufnehmen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Mikrofonaufnahmen wird auch das akustische Verhalten der Ohrmuscheln, der Einfluss des Kopfes und der Schultern auf den empfangenen Schall berücksichtigt. Beim Abhören solcher Aufnahmen über einen geeigneten Kopfhörer stellt sich dann ein dreidimensionaler Raumeindruck ein, der es dem Hörer erlaubt, Schallereignisse in Bezug auf ihren Entstehungsort, das heißt Richtung und Entfernung vom Hörer, zu bewerten.

Kunstkopf für die Messung und Bewertung von Innengeräuschen im PKW

Bild 1:   Kunstkopf für die Messung und Bewertung von Innengeräuschen im PKW

Bei der hier durchgeführten Untersuchung näherte sich ein Rettungswagen mit eingeschaltetem Warnsignal einer Kreuzung. Ein Personenkraftwagen stand auf der kreuzenden Straße, 15 m entfernt von dem Punkt, wo ein möglicher Zusammenstoß stattfinden könnte. Der Rettungswagen hatte die folgenden Warnsignale verwendet: Stadtschaltung, Landschaltung und Presslufthorn und hatte bei den Messungen Abstände von 45 m, 30 m, 15 m und 0 m vom Punkt des möglichen Zusammenstosses. Der Fahrer des PKW hatte erst für einen Abstand, der kleiner als 15 m gewesen ist, Sichtkontakt zum Rettungswagen.
Im Personenkraftwagen (Kleinwagen bis Mittelklasse) ist ein akustischer Kunstkopf auf dem Beifahrersitz installiert worden. Zusätzlich wurde der Schalldruckpegel im PKW mit einem Schallpegelmessgerät gemessen.

Die Kunstkopfaufnahmen bestätigen in eindrucksvoller Weise, dass tatsächlich eine Ortung des Rettungswagens erst dann zuverlässig möglich ist, wenn er sich im Sichtbereich des Fahrers befindet.

Die Messungen zur Hörbarkeit der Warnsignale sind wie folgt durchgeführt worden: Zunächst sind die Schalldruckpegel der verschiedenen Warnsignale bei abgeschaltetem Motor aufgenommen worden. Danach sind die Innengeräusche während der Fahrt sowie bei eingeschaltetem Autoradio aufgezeichnet worden. Mit Hilfe eines geeigneten Signalverarbeitungsprogrammes sind die Pegel der einzelnen Schallquellen getrennt eingestellt und für Hörvergleiche angepasst worden.
Dadurch ist es beispielsweise möglich zu untersuchen, bei welchem Radiopegel das Signalhorn des Rettungswagens nicht mehr gehört werden kann. Ebenso können verschiedene Fahrsituationen (Stillstand mit laufendem Motor, Fahrt mit Tempo 50 km/h, mit und ohne Radio etc.) simuliert werden, und die (Un-)Hörbarkeit der Warnsignale demonstriert werden. Auch das Geräusch des Lüfters der Heizungsanlage, das häufig lauter als das Fahrgeräusch ist, lässt sich so in seiner Wirkung auf die akustische Situation im Fahrzeug verdeutlichen. Da es sich bei allen Klangbeispielen um Kunstkopfaufnahmen handelt, stellt sich auch beim Abhören der gemischten Signale über Kopfhörer ein sehr genauer räumlicher Eindruck der Situation im Inneren des PKW ein.

Es wurden die folgenden Schalldruckpegel im Testwagen gemessen, wobei die erweiterte Messunsicherheit (2uc) 2 dB betragen hat:

  dB (A) dB (lin)
Motor aus, Radio aus 23 64
Motor aus, Radio normal 64 76
Motor aus, Radio laut > 82 > 89
Wagen steht, Motor an, Radio aus 41 75
Wagen steht, Motor an, Radio normal 64 76
Wagen steht, Motor an, Radio laut > 82 > 89
Fahrt 50 km/h, Radio aus 63 94
Fahrt 50 km/h, Radio normal 66 94
Fahrt 50 km/h, Radio laut > 82 > 94
Motor aus, Warnsignal 45 m 60 - 64 60 - 64
Motor aus, Warnsignal 30 m 62 - 66 62 - 66
Motor aus, Warnsignal 15 m 67 - 71 67 - 71
Motor aus, Warnsignal 0 m 68 - 72 68 - 72

Der in dB (A) angegebene Schalldruckpegel berücksichtigt die frequenzabhängige Empfindlichkeit des menschlichen Gehörs. Dagegen werden beim in dB (lin) angegebenen Schalldruckpegel alle Frequenzen gleich stark bewertet. Im PKW wird der gemessene Schalldruckpegel im hohen Maße durch tieffrequente Geräusche beeinflusst. Dadurch liegt der dB (lin) - Wert bei eingeschaltetem Motor deutlich über dem dB (A) –Wert.

Wenn man die gemessenen Werte miteinander vergleicht, so kann festgestellt werden, dass häufig die Warnwirkung im Fahrzeuginnern nur mit Einschränkungen oder gar nicht vorhanden ist. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass die Schalldruckpegel im Fahrzeuginnern, stark vom PKW selbst abhängig sind. Insbesondere bei Neuwagen und in der gehobenen Fahrzeugklasse wird großer Wert auf Schalldämmung von außen gelegt, wodurch die Hörbarkeit von externen Warnsignalen noch deutlich verringert wird. Der hier verwendete Wagen weist keine besonders aufwändige Schalldämmung auf.

Die folgenden Klangbeispiele verdeutlichen den Höreindruck eines vorbeifahrenden Rettungswagens im PKW. Zunächst wurde der PKW mit Tempo 50 km/h gefahren (Ortsverkehr)

(Beispiel 1, ca. 2,7 MB).

Bei eingeschaltetem Radio und einem Schalldruckpegel von mehr als 76 dB (A) im Fahrzeuginnern ist das Warnsignal des vorbeifahrenden Rettungswagens kaum wahrnehmbar

(Beispiel 2, ca. 2,9 MB ).

Auch wenn der Wagen mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h gefahren wird (auch ohne Radio), ist die Wahrnehmbarkeit des Warnsignals sehr stark eingeschränkt

(Beispiel 3, ca. 1,6 MB).

Zu den drei Warnsignalen des Rettungswagens selbst lässt sich zusammenfassend sagen, dass sich bei Stadtschaltung oder Landschaltung kein eindeutiger Pegelvorteil für eines der beiden Warnsignale ergibt.

Das Presslufthorn, dessen Warnsignal aus zwei alternierenden Tonpaaren besteht, erscheint durch das vollere Klangspektrum nicht nur subjektiv lauter, sondern zeigt auch im Mittel beider Ohren einen Pegelvorteil von bis zu 4 dB.

Ansprechpartner:

Ingolf Bork, Dirk Ratschko, FB 1.7, AG 1.72, E-Mail: dirk.ratschko@ptb.de