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Einfluss des Schwingerregers bei der Primärkalibrierung von single-ended Beschleunigungsaufnehmern

16.02.2010

Während der Vorbereitungsmessungen für die anstehende internationale Vergleichsmessung im Bereich der Darstellung der Messgröße Beschleunigung wurden signifikante Differenzen zwischen den Ergebnissen von Kalibrierungen, die auf verschiedenen Schwingerregern gemessen worden waren, gefunden. Die nähere Untersuchung dieses Phänomens führte zur Entdeckung eines bislang nicht beobachteten Störeffekts, der das Ergebnis der Kalibrierung unter bestimmten Voraussetzungen von den Materialeigenschaften des genutzten Schwingteils abhängig macht.

Während der Überwachungsmessungen, die von der Arbeitsgruppe „Darstellung Beschleunigung” im Rahmen der Vorbereitung zum Key Comparison CCAUV.V-K2 zur Langzeitstabilität der verwendeten Beschleunigungsaufnehmer durchgeführt wurden, fielen signifikante Abweichungen zwischen den verschiedenen Messergebnissen des Aufnehmers in single-ended Bauform auf. Diese waren davon abhängig, ob der Aufnehmer auf einem Schwingteil aus Beryllium oder aus Keramik kalibriert worden war. Bei der Primärkalibrierung von Aufnehmern dieser Bauform nach ISO 16063-11 wird die anliegende sinusförmige Beschleunigung mit Hilfe eines Laserinterferometers auf der Oberfläche des genutzten Schwingerregers direkt neben dem Prüfling gemessen (Bild 1).

Schematische Darstellung der Situation bei der Primärkalibrierung von Beschleunigungsaufnehmern der single-ended Bauform unter Berücksichtigung der erstmalig nachgewiesenen Relativbewegung aufgrund einer Kontaktsteifigkeit an der Montagefläche des Aufnehmers

Bild 1: Schematische Darstellung der Situation bei der Primärkalibrierung von Beschleunigungsaufnehmern der single-ended Bauform unter Berücksichtigung der erstmalig nachgewiesenen Relativbewegung aufgrund einer Kontaktsteifigkeit an der Montagefläche des Aufnehmers

Da bis vor Kurzem weltweit fast ausschließlich Schwingungserreger mit luftgelagertem Schwingteil aus Beryllium für diese Aufgabe im Einsatz waren, konnte ein solcher Effekt mangels Vergleichsmöglichkeit bislang nicht beobachtet werden. Seit ca. einem Jahr gibt es nun Schwingerreger mit einem luftgelagertem Schwingteil aus Keramik von einem Anbieter am Markt, sodass sich erstmals eine Möglichkeit zum Vergleich des Einflusses unterschiedlicher Materialien ergab.

Zur Klärung der möglichen Ursache des Effektes wurden von der PTB und beim Hersteller „SPEKTRA Schwingungstechnik und Akustik GmbH Dresden” drei verschieden Ansätze untersucht, die im folgenden kurz beschrieben werden. Die ersten beiden Ansätze bezüglich der Resonanzfrequenz des Aufnehmers (1.) bzw. der Eigenschwingungsformen des Schwingteils (2.) sind dabei lange in der Fachwelt diskutierte Effekte, die aber letztlich die Materialabhängigkeit der Ergebnisse weder qualitativ noch quantitativ beschreiben konnten. Erst der dritte Ansatz konnte unter Zuhilfenahme der Annahme einer materialabhängigen Kontaktsteifigkeit eine Erklärung liefern. Die hierzu getroffenen Annahmen erscheinen im Rahmen der Untersuchungsergebnisse plausibel, Details müssen aber noch weiter untersucht werden.

1. Der Einfluss der Schwingteilmasse auf die Resonanzfrequenz
Betrachtet man den auf einem Schwingteil montierten Aufnehmer als einfachen Zweimassenschwinger, so ändert sich dessen mechanische Resonanzfrequenz bei einer Änderung der angekoppelten Schwingteilmasse. Eine Verschiebung der Resonanzfrequenz hat auch einen entsprechenden Einfluss auf den Verlauf der Amplitudenresonanzkurve unterhalb der Resonanzfrequenz. Dieser Ansatz ist soweit richtig. Allerdings wird bei der Kalibrierung eines Beschleunigungsaufnehmers nicht dessen Amplitudenresonanzkurve bestimmt, sondern der Ladungsübertragungskoeffizient Sqa, also das Verhältnis der Ausgangsladung zur Eingangsbeschleunigung. Eine Betrachtung des mathematischen Modells für diese Größe führt auf folgende Gleichung bzgl. der Frequenzabhängigkeit ? mit den Modelparametern Steifigkeit k, Dämpfung d und seismische Masse mH und e als Übertragungskoeffizient bei tiefen Frequenzen:

Es zeigt, dass hier die Schwingteilmasse keinen Einfluss mehr hat. Lediglich die Eigenschaften des internen sog. seismischen Systems des Aufnehmers gehen in Form der Modellparameter in die Gleichung ein.

2. Der Einfluss der Schwingungseigenformen des Schwingteils
Es ist bekannt, dass sich die elastischen Eigenschaften der Schwingteile insbesondere bei höheren Frequenzen immer stärker bemerkbar machen. Dies zeigt sich in Form einer wechselweisen geringfügigen Ausbeulung bzw. Eindellung der Schwingteiloberfläche (ähnlich einer Membranschwingung) im Verlauf der Schwingung. Dies führt bei der Kalibrierung dazu, dass mit dem Laserinterferometer neben dem Aufnehmer eine geringfügig geringere Amplitude gemessen wird, als die, die der Aufnehmer im Zentrum des Schwingteils erfährt. Dieser Effekt wurde im Verlauf der Untersuchung zunächst mit Hilfe von FEM-Untersuchungen abgeschätzt und dann auch messtechnisch nachgewiesen. Allerdings erwies sich eine hinreichend genaue experimentelle Quantifizierung der daraus resultierenden Unterschiede als sehr schwierig. Es zeigte sich einerseits, dass diese Form der Deformation bei Keramikschwingteilen größer war als bei Schwingteilen aus Beryllium (Bild 1).

Auf der Basis der FEM Simulationen konnte andererseits nachgewiesen werden, dass der Effekt durch diese „modale Deformation” das falsche Vorzeichen hatte. D.h. die ursprünglich untersuchten Abweichungen gingen in die andere Richtung und ließen sich somit nicht mit den Eigenschwingungen des Schwingteile erklären.

3. Kontaktsteifigkeit unter dem Aufnehmer
Die Untersuchung der Beschleunigungsverteilung bei Benutzung eines geöffneten single-ended Aufnehmers (Bild 2) führte letztlich zu der Erkenntnis, dass sich der gesuchte Effekt durch eine Relativbewegung zwischen Aufnehmerbasisplatte und Schwingteil erklären lässt. Der geöffnete Aufnehmer wurde in zwei Konfigurationen, mit dem Laser auf dem Schwingteil bzw. mit dem Laser auf der Basisplatte des Aufnehmers, kalibriert. Diese Untersuchung wurde sowohl auf einem Beryllium- als auch auf einem Keramikschwingteil durchgeführt. Es zeigte sich, dass sich bezüglich der Messung auf der Basis des Aufnehmers unabhängig vom Material des Schwingteils die gleiche Empfindlichkeit ergab. Bei Messung neben dem Aufnehmer (gemäß ISO 16063-11) wichen die Ergebnisse zwischen Beryllium und Keramik jedoch um fast 2 % bei 10 kHz und über 4 % bei 20 kHz voneinander ab. Der Unterschied des Übertragungskoeffizienten zwischen der Messung auf der Basisplatte und auf dem Schwingteil betrug bis zu 16 % bei 20 kHz. Eine weitere Erkenntnis, die aber noch genauerer Untersuchung bedarf, ist, dass der Effekt für leichtere Aufnehmer weniger stark ausgeprägt ist.

Schwingerreger mit geöffnetem Beschleunigungsaufnehmer auf dem Berylliumschwingteil montiert

Bild 2: Schwingerreger mit geöffnetem Beschleunigungsaufnehmer auf dem Berylliumschwingteil montiert

Diese Ergebnisse sind dahingehend zu interpretieren, dass der Kontaktbereich zwischen Aufnehmer und Schwingteil ein elastisches Element bildet, dem man eine Kontaktsteifigkeit zuordnen kann (Bild 1). Diese Elastizität, die vermutlich von den Materialparametern des Kontaktes (z.B. der Härte) abhängig ist, führt nun zu den genannten Relativbewegungen, die sich in der Praxis nur schwer messen oder abschätzen lassen.

Wie zukünftig mit diesem Effekt umgegangen werden soll und welche Konsequenzen sich daraus für die praktische Arbeit der Kalibrierlaboratorien ergeben, wird derzeit in der internationalen metrologischen community diskutiert.

[1] A. Täubner, H. Schlaak, M. Brucke, Th. Bruns: The Influence of Different Vibration Exciter Systems on High Frequency Primary Calibration of Single-Ended Accelerometers, submitted to Metrologia in Sept. 2009

Ansprechpartner:

Thomas Bruns, FB 1.3, AG 1.31, E-Mail: thomas.bruns@ptb.de