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Beidohrige Wahrnehmung von Infraschall

26.11.2021

Angesichts der intensiven Diskussion um die Lärmbelästigung, insbesondere in der Nähe von Windkraftanlagen, rückt Infraschall (Schall mit Frequenzen < 20 Hz) immer mehr in das öffentliche Bewusstsein. Dabei spielt das Verständnis der Wahrnehmung von Infraschall unter realistischen Umständen, z. B. bei beidseitigem Hören eine wichtige Rolle. So wurde mit Hilfe von Hörversuchen die Lautstärkewahrnehmung mit einem Ohr und mit beiden Ohren bei Infraschalleinwirkung untersucht. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem University College, London, durchgeführt.

Generell ermöglicht das beidohrige (binaurale) Hören die Lokalisation von Geräuschquellen, die auf der Auswertung von Phasen- oder Pegelunterschieden zwischen beiden Ohren beruht. Durch den Einsatz beider Ohren wird ein Schallsignal auch als lauter empfunden als bei Wahrnehmung mit nur einem Ohr. Die Größe dieser Zunahme, der psychoakustische Effekt der Lautheitssummation durch beidohriges Hören, hängt stark von der Verarbeitung im Gehirn ab und die Untersuchung ermöglicht Rückschlüsse auf die dabei vor sich gehenden Prozesse.

An der Wahrnehmungsschwelle, also bei einem Schalldruckpegel, an dem das menschliche Gehör einen Ton einer bestimmten Frequenz gerade noch wahrnimmt, liegt der beidohrige Lautstärkegewinn im Infraschall- und Hörschallbereich (20 Hz bis 20 kHz) bei etwa 3 dB [1, 2]. Oberhalb der Wahrnehmungsschwelle (überschwellig) wird ein beidohriger Stimulus im Hörschallbereich sogar etwa 6 dB lauter wahrgenommen [1]. Für überschwelligen Infraschall waren bisher noch keine Daten verfügbar.

In einer Studie, die in Zusammenarbeit mit dem University College, London, durchgeführt wurde, konnte die beidohrige Lautheitssummation für überschwelligen Infraschall anhand von Hörversuchen mit 15 Versuchspersonen bestimmt werden. Zusätzlich dazu wurde auch untersucht, inwiefern eine Phasendifferenz der Stimuli auf den beiden Ohren, auch interaurale Phasendifferenz (IPD) genannt, einen Einfluss auf die Lautstärkewahrnehmung hat.

Während eines Hörprozesses ergibt sich die interaurale Phasendifferenz aufgrund der anatomischen Lage der Ohren an den Seiten des Kopfes und der daraus resultierenden unterschiedlichen Positionen in der eintreffenden Schallwelle. Dabei gilt: je geringer die Frequenz der Schallwelle, desto größer ihre Wellenlänge und desto geringer die interaurale Phasendifferenz (z.B. hat eine Welle mit einer Infraschallfrequenz von 10 Hz eine Wellenlänge von ca. 34 m). Auch wenn es bei Infraschallwellen in der Realität also zu keiner nennenswerten Phasendifferenz zwischen den beiden Ohren kommt, so ist es für das Verständnis der Wahrnehmung des Infraschalls doch von großem Interesse, ihren Einfluss zu erforschen.

 

Abbildung 1. Der beidohrige (binaurale) Lautstärkegewinn bei einer überschwelligen Darbietung ist als Boxplot für drei verschiedene interaurale Phasendifferenzen (IPD) und zwei Stimulusfrequenzen (400 Hz repräsentieren den Hörschallbereich, 8 Hz den Infraschallbereich) dargestellt. Die gewählten Schalldruckpegel (+40 dB überschwellig für 400 Hz und +12 dB für 8 Hz) erzeugen einen ähnlichen Lautstärkeeindruck beider Stimuli. Eine Box umfasst die Hälfte der Ergebnisse aller Versuchspersonen, die waagerechte Linie innerhalb der Box gibt den Medianwert an. Die sogenannten Whisker auf beiden Seiten der Box kennzeichnen die Minimal- und Maximalwerte. Mögliche Ausreißer (Abstand zur Box mehr als das Anderthalbfache der Boxgröße) werden als Kreis dargestellt.

Die Ergebnisse unserer Messungen sind in Abbildung 1 dargestellt. Im Bereich des Hörschalls (400 Hz-Stimulus) bewirkt eine Phasendifferenz zwischen den Ohren keine statistisch signifikante Änderung der Lautstärkewahrnehmung. Im Mittel liegt der beidohrige Lautstärkegewinn für den 400 Hz Sinuston bei etwa 6 dB.

Für den 8 Hz-Infraschallstimulus wurde für eine interaurale Phasendifferenz von 0°, also keinem Phasenunterschied zwischen den Signalen an beiden Ohren, ein ähnlicher Wert von 5 dB ermittelt. Dieser ist, statistisch betrachtet, nicht signifikant unterschiedlich von dem Wert bei 400 Hz. Allerdings nimmt der beidohrige Lautstärkegewinn für größere Phasenifferenzen signifikant ab. Bei der maximal unterschiedlichen Phasendifferenz von 180° wird der beidohrige Stimulus zwar noch immer deutlich lauter wahrgenommen als ein einohriger Stimulus, jedoch reduziert sich der Lautstärkegewinn auf etwa 2,4 dB. 

Anhand dieser Ergebnisse und den bekannten physiologischen Prozessen des Hörens lassen sich Hypothesen für Verarbeitungsprozesse des Infraschalls ableiten. Für den oben geschilderten Effekt könnten die zeitlichen Abläufe von entscheidender Bedeutung sein. Für die Verarbeitung der Signallautstärke hat ein Verarbeitungsschritt etwa eine Zeitdauer von 100 ms bis 200 ms. In einem solchen Verarbeitungsschritt werden im Hörschallbereich mehrere Perioden des Signals erfasst, während bei dem viel „langsameren“ Infraschall teilweise gerade einmal eine vollständige Periode abgedeckt wird (der 8 Hz-Stimulus hat eine Periodendauer von 125 ms), was vermutlich bei zunehmender Phasendifferenz zwischen beiden Ohren zu einer Abschwächung des Lautstärkeempfindens führt.

 

Literatur:

[1] B. C. J. Moore, B. R. Glasberg. Modeling binaural loudness. J. Acoust. Soc. Am. 121 1604 (2007). Opens external link in new windowLink

[2] N. S. Yeowart, M. J. Evans. Thresholds of audibility for very low-frequency pure tones. J. Acoust. Soc. Am. 55 814 (1974)

 

Ansprechpartner:

Marion Bug, FB 1.6, E-Mail: Opens local program for sending emailmarion.bug(at)ptb.de

 

letzte Überarbeitung: 16.05.2022