Kontrolle aktiver Fluide
Turbulenzen in Bakteriensuspensionen und anderen aktiven Fluiden erstmals theoretisch beschrieben
Schwimmende Bakterien können durch ihre Geißeln oder Flagellen die Bewegung der gesamten Suspension bestimmen. Diese sogenannten aktiven Fluide werden also nicht makroskopisch in Form äußerer Gradienten, sondern auf der „mikroskopischen“ Skala der aktiven Teilchen getrieben. Aktive Fluide eröffnen damit ein spannendes neues Feld der Physik fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht.
In Bakteriensuspensionen kann sich eine turbulenzartige Dynamik bilden, die Mesoskalenturbulenz genannt wird. In der PTB wurde gezeigt, dass diese Turbulenz einem ungeordneten dynamischen Wirbelgitter mit einem typischen mittleren Abstand zwischen benachbarten Wirbeln entspricht.
Für künftige Anwendungen interessant ist dabei nicht nur die korrekte theoretische Beschreibung dieser Klasse von neuartigen Fluiden, sondern auch die Möglichkeit der Kontrolle der kollektiven Bewegung. Dies gelang in Zusammenarbeit mit der TU Berlin im Rahmen des SFB 910 „Kontrolle selbstorganisierter Systeme“. In einem Experiment des Argonne National Laboratory mit Bakteriensuspensionen wurden periodisch angeordnete Hindernisse („Pillars“) auf einer Glasplatte erzeugt, die zu einer Stabilisierung eines fast perfekten quadratischen Wirbelgitters führten. Diese Beobachtung konnte mit einer neuen theoretischen Beschreibung reproduziert werden. Eine Herausforderung stellte dabei die Ableitung der Randbedingungen an den Hindernissen dar. Das Modell erlaubte darüber hinaus noch vorherzusagen, dass bei Verwendung geeigneter Hindernisgrößen auch stabile Wirbelgitter mit anderer Symmetrie (z. B. hexagonal) realisierbar sind. Es entsteht ein sogenanntes Kagome-Gitter, in dessen Umgebung sich eine zirkuläre Strömung ausbildet. In Analogie zur Festkörperphysik kann hier von einer topologischen aktiven Flüssigkeit gesprochen werden. Die Simulationen bestätigen zudem, dass die Stabilisierung nur dann erfolgt, wenn das Hindernisgitter eine räumliche Periode im Bereich der charakteristischen Längenskala der Mesoskalenturbulenz hat.
Damit ist ein Weg aufgezeigt, die Turbulenz aktiver Fluide zu kontrollieren und in ein reguläres Bewegungsmuster zu transformieren. Auf diese Weise könnte, durch den Einsatz bestimmter nanostrukturierter Oberflächen, die Bildung ungewollter Biofilme erschwert werden.
Ansprechpartner
Sebastian Heidenreich
Fachbereich 8.4
Mathematische Modellierung und Datenanalyse
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Wissenschaftliche Veröffentlichung
H. Reinken, D. Nishiguchi, S. Heidenreich, A. Sokolov, M. Bär, S. H. L. Klapp, I. S. Aranson: Organizing bacterial vortex lattices by periodic obstacle arrays. Commun. Phys. 3 (2020)