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Magnetischer Blick durch die Schädeldecke

Schnelle Gehirnsignale erstmals nichtinvasiv gemessen

PTBnews 3.2021
27.09.2021
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Neurologie

Magnetometrie

Das Gehirn verarbeitet Informationen über langsame und schnelle Hirnströme. Um letztere zu untersuchen, mussten bisher Elektroden in das Gehirn eingeführt werden. In einer Kooperation zwischen PTB und Charité wurden diese schnellen Hirnsignale jetzt erstmals von außen sichtbar gemacht – und eine erstaunliche Variabilität festgestellt. Möglich wurden diese Messungen der winzigen magnetischen Felder des Gehirns mit einem in der PTB entwickelten, besonders empfindlichen Magnetfeld-Sensorsystem.

Konzeptbild eines neuronalen Netzes. Die Informationsverarbeitung im Gehirn ist einer der komplexesten Prozesse des Körpers. (Abbildung: Adobe Stock / Ktsdesign)

Störungen in der Informationsverarbeitung im Gehirn wirken sich oft als schwerwiegende neurologische Erkrankungen aus. Die Erforschung der Signalweitergabe im Gehirn ist deshalb der Schlüssel zum besseren Verständnis etwa von Parkinson oder Epilepsie. Dabei haben sich zwei nichtinvasive Methoden etabliert: die Elektro-Enzephalografie (EEG) und die Magnet-Enzephalografie (MEG). Zuverlässig detektieren beide allerdings nur die langsamen, nicht die schnellen Hirnströme.

Langsame Ströme (postsynaptische Potenziale) entstehen, wenn Nervenzellen Signale von anderen Nervenzellen empfangen. Feuern sie selbst und geben damit Informationen an nachgeschaltete Neuronen oder auch Muskeln weiter, verursacht dies schnelle Ströme mit einer Dauer von nur einer Tausendstelsekunde (Aktionspotenziale). In den gemeinsamen Untersuchungen von PTB und Charité wurden jetzt auch diese schnellen Hirnströme als Antwort auf einzelne Sinnesreize erkennbar gemacht.

Das wurde über eine deutliche Reduktion des Eigenrauschens des verwendeten Sensorsystems erreicht. Die Magnetfeldsensoren, supraleitende Quanteninterferometer (SQUIDs), werden in flüssiges Helium getaucht, um sie auf −269 °C zu kühlen. Dazu ist das Kühlgefäß sehr aufwendig isoliert. Diese Superisolierung besteht aus mit Aluminium bedampften Folien. Aluminium ist zwar nicht ferromagnetisch, aber die Elektronenbewegung in dem Metall erzeugt ein magnetisches Rauschen, das kleine Magnetfelder beispielsweise von Nervenzellen überlagert. In dem neuen Ansatz wurde die Superisolierung des Kühlgefäßes so konstruiert, dass dessen Rauschen vernachlässigbar klein wurde. So ließ sich die Empfindlichkeit der Sensortechnologie um das Zehnfache steigern.

Bei Messungen nach der Reizung eines Armnervs gesunder Probanden bestätigte sich die Fähigkeit des MEG, schnelle Reizantworten zu messen. Dabei waren erstaunlicherweise trotz konstanter Stimulation die schnellen Hirnströme nicht gleichförmig, sondern veränderten sich von Reiz zu Reiz, unabhängig von Spintronikden langsamen Hirnsignalen. Die Information über eine Berührung der Hand wird vom Gehirn also erstaunlich variabel verarbeitet, obwohl alle Nervenreize gleichartig waren.

Die Ergebnisse eröffnen neue Antworten auf grundlegende neurologische Fragen wie etwa zum Einfluss von Aufmerksamkeit oder Müdigkeit auf die Informationsverarbeitung im Gehirn. Und das neue Sensorsystem kann zu einem tieferen Verständnis und einer besseren Therapie neurologischer Erkrankungen beitragen.

Ansprechpartner

Rainer Körber
Fachbereich 8.2
Biosignale
Telefon: (030) 3848-7576
Opens local program for sending emailrainer.koerber(at)ptb.de

Wissenschaftliche Veröffentlichung

G. Waterstraat, R. Körber, J.-H. Strom, G. Curio: Noninvasive single-trial analysis of human neocortical population spikes. PNAS 118, 2017401118 (2021)
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