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Atomare Reibungseffekte

Untersuchungen mit lasergekühlten Ionen liefern den experimentellen Nachweis, dass topologische Defekte atomare Ketten leichter gleiten lassen

PTB-News 1.2018
12.01.2018
Besonders interessant für

Biologie

Nanotechnologie

komplexe, selbst-organisierte Systeme

Untersuchungen in einem Modellsystem aus übereinander gleitenden Ionenketten am QUEST-Institut an der PTB erlauben grundlegende Erkenntnisse über Reibung in Nanostrukturen und Biomolekülen. Dabei wurde im Falle von Defekten in der Gitterstruktur ein Übergang zur Superlubrizität beobachtet und erklärt.

Aufnahme der Atome im Ionenkristall, wenn die Wechselwirkung in einer Kette größer (a) bzw. kleiner (b) ist als zwischen den beiden Ketten. Zwischen den beiden Regimes tritt ein Phasenübergang auf, der in finiten Systemen zu einer Symmetriebrechung führt (s. rote und gelbe Konfiguration). Der darunterliegende Graph stellt den gemessenen Verlauf des Ordnungsparameters Ф, ein Maß für die Symmetrie im System, während des Phasenübergangs dar. α ist ein experimenteller Parameter, der den Abstand der beiden Ketten bestimmt.

Reibung prägt die Alltags- und Technikwelt positiv (indem sie etwa als Friktion den Radantrieb ermöglicht) oder negativ (z. B. als Ursache für Abnutzung). Atomare Reibung, wie sie beispielsweise bei Nanomaschinen oder Biomolekülen vorliegt, ist allerdings sehr schwer zugänglich und wenig erforscht. Anders als bei makroskopischen Objekten, die atomar gesehen rau sind und sich nur an einzelnen Unebenheiten berühren, liegen in der Welt der kleinsten Dinge atomar glatte Flächen aufeinander. Daher muss bei Modellberechnungen hier auch die Kontaktfläche berücksichtigt werden. Derartige Modelle sagen u. a. neue faszinierende Phänomene vorher, wie die Superlubrizität (Superschmierfähigkeit), bei der die Haftreibung fast vollständig verschwindet.

Für die genaue Messung von Reibung existiert ein leistungsfähiges Instrument, das Reibungskraftmikroskop. Die Dynamik zweier reibender Systeme lässt sich dagegen nicht direkt beobachten, sondern nur über den Umweg eines Modellsystems aus Elementen erschließen, die sich möglichst ähnlich verhalten. Ein derartiges System wurde am QUESTInstitut an der PTB in Kollaboration mit der Universität Sydney entwickelt.

Herzstück sind in einer Ionenfalle gefangene Ytterbiumionen, die mithilfe von Lasern auf wenige Millikelvin heruntergekühlt werden, bis sie einen zweidimensionalen Kristall bilden, der aus zwei übereinanderliegenden Ionenketten besteht. Diese sind durch die Coulomb- Wechselwi rkung gekoppelt. Bestrahlt man die Ionen mit Laserlicht, dessen Frequenz in der Nähe ihrer Resonanzfrequenz liegt, fluoreszieren sie und lassen sich durch Lichtdruckkräfte gezielt in Bewegung versetzen. Mithilfe einer hochauflösenden Abbildungsoptik kann man die einzelnen atomaren Teilchen in ihrer Bewegung beobachten.

Wird nun die Periodizität der Kettenanordnung durch einen topologischen Defekt gebrochen, so tritt ein faszinierender Vielteilcheneffekt auf, der zu einem Phasenübergang führt, an dem die Haftreibung verschwindet (siehe Grafik). Dieser in den 80er Jahren vorhergesagte Aubry-Übergang war mehr als 30 Jahre lang experimentell nicht messbar. Jetzt wurde er zum ersten Mal atomar aufgelöst in aneinander reibenden Atomketten beobachtet.

Die Dynamik der Ionenketten ist dabei vergleichbar mit der von Molekülketten, wie sie zum Beispiel in der DNS vorliegen, bei denen Defekte auch zum Auseinanderbrechen der Proteine führen können. Im Allgemeinen eignet sich das neue physikalische Modellsystem für Untersuchungen der komplexen, nichtlinearen Dynamik von Reibung in ein-, zwei- oder dreidimensionalen Systemen mit atomarer Auflösung. Weitere Kühlstufen werden es ermöglichen, Transportphänomene in der Quantenwelt zu erforschen.

Ansprechpartner

Tanja E. Mehlstäubler
QUEST-Institut in der PTB
Telefon: (0531) 592-4710,
tanja.mehlstaeubler(at)ptb.de

Wissenschaftliche Veröffentlichung

J. Kiethe, R. Nigmatullin, D. Kalincev, T. Schmirander, T. E. Mehlstäubler: Probing nanofriction and Aubry-type signatures in a finite self-organized system. Nat. Commun. 8 15364 (2017)