Logo der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt
Symbolbild "Zeitschriften"

Heimlicher Partnerwechsel sichtbar gemacht

Kinematik einer molekularen Wirt-Gast-Beziehung

PTB-News 3.2015
01.10.2015
Besonders interessant für

Bioanalytik

medizinische Bildgebung

Kontrastmittel

Atomares Xenon kann in Molekülkäfigen vorübergehend eingeschlossen werden. PTB-Wissenschaftler haben entdeckt, dass dabei der direkte Austausch von Xenon-Gastatomen – ohne den üblichen Weg eines zwischenzeitlich entleerten Wirtsmoleküls – eine wichtige Rolle spielt. Der Prozess könnte in neuen Verfahren der biomedizinischen Analytik und Bildgebung Anwendung finden.

Grundlegender und entarteter Austauschprozess

Das Käfigmolekül Cryptophan-A (CrA) ist schon länger dafür bekannt, einzelne Xenon-Atome reversibel binden zu können. Die Einschlussverbindung wird bei neueren Entwicklungen der Bioanalytik und der molekularen Bildgebung eingesetzt, um Biomarker oder Gewebe (z. B. Tumoren) sichtbar zu machen. Die erforderliche Spezifität wird über Funktionalisierung des CrA erreicht, etwa durch Kopplung mit einem spezifischen Antikörper oder Liganden. CrA plus Antikörper (bzw. Ligand) stellen dann einen Biosensor dar, dessen Ort, Menge und Zustand mittels kernmagnetischer Resonanz an den gebundenen Xenon-Atomen festgestellt werden kann. Von großer Bedeutung für eine hohe Empfindlichkeit ist hierbei, für das Isotop 129Xe eine um Größenordnungen überhöhte Magnetisierung zu erzeugen und durch Markierung der jeweils kurzzeitig gebundenen Xenonatome dem Biosensor zugeordnete Signale über einen längeren Zeitraum zu akkumulieren. Das führt insgesamt zu sehr niedrigen Nachweisgrenzen im Bereich von einigen Pikomol – eine wichtige Voraussetzung zur Untersuchung biomolekularer Prozesse in nativen Systemen in situ.

Die grundlegende Wechselwirkung von Xenon mit CrA besteht im Besetzen oder Verlassen eines anderweitig leeren Käfigmoleküls. Darüber hinaus könnte aber auch bei einem bereits besetzen Käfigmolekül das Xenonatom durch ein anderes verdrängt werden, also ein direkter Besetzungswechsel passieren. Dieser Austauschprozess wäre entartet, denn Ausgangs- und Endzustand sind ununterscheidbar, und er bliebe – im Gegensatz zur grundlegenden Wechselwirkung – unentdeckt. Um entarteten Austausch dennoch sichtbar zu machen, haben Wissenschaftler der PTB den Trick angewandt, durch Variation der Xenonkonzentration eine für den Austausch charakteristische Modulation der Häufigkeit der Besetzungswechsel nachzuweisen. In wässriger Umgebung, wie sie in lebenden Organismen vorherrscht, kann er sogar zur dominanten Wechselwirkung werden. Die Erkenntnisse über den entarteten Austausch sind für die Messempfindlichkeit und für quantitative Analysen von hoher Bedeutung und werden zurzeit auf ihr Potenzial für biomedizinische Anwendungen des CrA-Xenon-Wirt-Gast-Systems geprüft.

Ansprechpartner

Lorenz Mitschang
Fachbereich 8.1 Medizinische Messtechnik
Telefon: (030) 3481-7632
E-Mail: lorenz.mitschang(at)ptb.de

Wissenschaftliche Veröffentlichung

S. Korchak, W. Kilian, L. Mitschang: Degeneracy in cryptophane-xenon complex formation in aqueous solution. Chem. Comm. 51, 1721 (2015)