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Orbitaltomografie

Winkelaufgelöste Elektronenspektroskopie – direkte Rekonstruktion von Molekülorbitalen in drei Dimensionen

PTB-News 3.2015
01.10.2015
Besonders interessant für

Grundlagenforschung

Quantitative Oberflächenanalytik

Erstmals ist es gelungen, die dreidimensionale Verteilung von Elektronen in Molekülen durch Elektronenspektroskopie sichtbar zu machen. Dazu wurden auf einer Metalloberfläche angeordnete Moleküle mit kurzwelligem Licht bestrahlt und die Winkel- und Energieverteilung der über den photoelektrischen Effekt herausgelösten Elektronen gemessen. Das als Orbitaltomografie bezeichnete Verfahren wurde an der TU Graz und dem Forschungszentrum Jülich entwickelt und in Kooperation mit der PTB erstmals erfolgreich auf drei Dimensionen erweitert. Die Ergebnisse konnten insbesondere durch eine genaue radiometrische Charakterisierung der anregenden Strahlung erzielt werden und rechtfertigen weitgehend die in der Fachwelt kontrovers diskutierte Annahme freier Photoelektronen für dieses Verfahren.

Elektronenorbitale eines PTCDA-Moleküls (links) und dreidimensionale Impulsverteilung der Elektronen nach Photoemission (rechts). Unter der Annahme freier Photoelektronen besteht der Zusammenhang im Wesentlichen aus einer Fouriertransformation (FT). Die Ziffern 1 bis 4 bezeichnen die vier wichtigsten Flügel der Verteilung im Impulsraum.

Die Messungen wurden an der Metrology Light Source (MLS) der PTB in Berlin-Adlershof mit einem elektrostatischen Toroid-Elektronenspektrometer und mit monochromatisierter Undulatorstrahlung im Photonenenergiebereich von 14 eV bis 55 eV durchgeführt. Das Elektronenspektrometer erlaubt die winkel- und energieaufgelöste Messung der durch den Photoemissionsprozess ausgelösten Elektronen im gesamten Halbraum oberhalb der Probe.  An dem genutzten MLS-Strahlrohr sind die relativen Anteile von spektralem Falschlicht (d. h. Photonen mit einer anderen Energie als der eingestellten) u. a. durch den Einsatz von Filtern auf unter 1 % unterdrückt, sodass mithilfe kalibrierter Halbleiter-Photodioden der Photonenfluss der anregenden Strahlung mit relativen Unsicherheiten im Prozentbereich bestimmt werden konnte. Dies ermöglichte erstmals die genaue Normierung von Datensätzen, die bei unterschiedlichen Photonenenergien und -flüssen gemessen wurden. So konnten nicht nur wie bisher die relativen Photoelektronenintensitäten als Funktion der Richtung des Elektronenimpulses zweidimensional über die Winkelverteilung gemessen werden, sondern auch in Erweiterung auf die dritte Dimension als Funktion des Impulsbetrages durch Variation der Photonenenergie und damit der Elektronenenergie.

Aus der ermittelten dreidimensionalen Impulsverteilung der Photoelektronen ließ sich anschließend die dreidimensionale Ortsverteilung der Elektronen des ursprünglichen Molekülorbitals numerisch bestimmen. Bei dieser „Vorwärtsberechnung“ über eine Fourier-Transformation wurde angenommen, dass nicht der quantenmechanische Endzustand der Photoelektronen nach der Emission, sondern ausschließlich deren molekularer Anfangszustand vor der Emission die Impulsverteilung bestimmt. Die Gültigkeit dieser Annahme freier, von den zurückbleibenden Restmolekülen weitgehend unbeeinflusster Photoelektronen wird durch die Ergebnisse gestützt: Insbesondere der Verlauf der integralen Photoelektronenausbeute als Funktion der Photonenenergie ergab nur kleine Abweichungen von den theoretischen Vorhersagen für ein freies Photoelektron.

Die durch die Einbindung metrologischer Verfahren gewonnenen grundlegenden Erkenntnisse über die Ladungsverteilung (und damit auch die Ausrichtung) einzelner Moleküle ist von hoher Relevanz für die Entwicklung funktionaler Oberflächen, z. B. organischer Halbleitermaterialien auf metallischen Oberflächen, welche die Perspektive für photovoltaische Bauelemente mit gesteigerter Effizienz eröffnen. Umgekehrt stellt die Orbitaltomografie einen sehr interessanten metrologischen Ansatz der quantitativen Elektronenspektroskopie dar, da sich bei dieser Methode verlässliche Unsicherheitsbudgets aufstellen lassen. Dies ist mit den etablierten indirekten Methoden nur eingeschränkt möglich, da sich die dafür benötigten theoretischen Vielteilchenmodelle nur sehr schwer validieren lassen.

Für die Zukunft ist eine Fortsetzung dieser Kooperation geplant, um die Orbitaltomografie für die quantitative Charakterisierung elektronischer Eigenschaften von organischen Halbleitern und Solarzellen weiterzuentwickeln.

Ansprechpartner

Alexander Gottwald
Fachbereich 7.1 Radiometrie
mit Synchrotronstrahlung
Telefon: (030) 3481-7130
E-Mail: alexander.gottwald(at)ptb.de

Wissenschaftliche Veröffentlichung

S. Weiß, D. Lüftner, T. Ules, E. M. Reinisch, H. Kaser, A. Gottwald, M. Richter,
S. Soubatch, G. Koller, M. G. Ramsey,
F. S. Tautz, P. Puschnig: Exploring three-dimensional orbital imaging with energy dependent photoemission tomography. Nature Communications (2015) DOI 10.1038/NCOMMS9287