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Strömungen in Zellen mathematisch modelliert

Neue Erkenntnisse zur Strukturbildung in biologischen Zellen

PTB-News 1.2015
07.04.2015
Besonders interessant für
  • Biophysiker
  • Zellbiologen

In einem von PTB-Mathematikern entwickelten Modell für biologische Strukturbildung werden Zellen als aktive poröse und elastische Materialien beschrieben. Simulationen mit diesem Modell konnten experimentell beobachtete Wellenmuster in Mikrotropfen des Schleimpilzes Physarum polycephalum reproduzieren und ermöglichen Voraussagen für neue Experimente.

Diese numerischen Simulationen des poroelastischen Modells zeigen die Mikrotröpfchen mit verschiedenen Strukturen. Von oben rechts im Uhrzeigersinn: turbulente Strukturen, rotierende Spiralwellen, Antiphasenoszillation sowie von rechts nach links laufende „ebene“ Welle. Die Farben zeigen Regionen von mechanischer Kontraktion (blau) und Relaxation (rot) an, die Strömungsbewegungen mit Geschwindigkeiten der Größenordnung von 0,1 μm/s bis 1 μm/s verursachen.

Biophysiker und Zellbiologen interessieren sich seit einiger Zeit dafür, wie sich räumliche Strukturen in Zellen und Geweben spontan ausbilden und welche physikalischen, chemischen und biologischen Mechanismen hierfür entscheidend sind. Während biochemische und genetische Prozesse als treibende Kräfte seit langem untersucht werden, stehen in letzter Zeit zunehmend mechanische Kräfte und die in der Zelle dadurch entstehenden Strömungsprozesse im Fokus. Die Kenntnis der Dynamik solcher mechanischen und chemischen Prozesse in Zellen ist entscheidend für das Verständnis wichtiger biologischer Aspekte wie der Zellbewegung und der Entwicklung von Zellgeweben.

Mechanische Kräfte werden durch die Kontraktion von Bündeln des Biopolymers Aktin erzeugt. Diese Bewegung wiederum entsteht durch die Aktivität von Myosinmolekülen, die zu den molekularen Motoren zählen. Damit durch diesen Prozess biologische Strukturen entstehen können, müssen sich die myosinregulierenden Kalziumionen in der Zelle neu verteilen, was eine Rückkopplung auf die Mechanik der Aktinbündel bewirkt.

Ein an der PTB in Kooperation mit der TU Berlin entwickeltes Modell, das die Zelle als poröses und elastisches (also poroelastisches) Medium beschreibt, wurde nun erfolgreich auf den biophysikalischen Modellorganismus Physarum polycephalum angewendet. Physarumzellen enthalten sehr viele Zellkerne und erreichen makroskopische Ausmaße. Dabei nehmen sie komplexe Formen an. Wenn eine kleine Menge an Zellplasma aus größeren Zellen entnommen wird, bilden sich zylinderförmige Mikrotröpfchen. Darin lassen sich die verschiedensten Deformationswellen beobachten, die nun erfolgreich mit dem PTBModell reproduziert werden konnten. Das Modell sagt zudem eine enge Kopplung der mechanischen Prozesse an die intrazelluläre Fluiddynamik und die lokale Kalziumkonzentration voraus.

Diese Simulationen dienen auch der quantitativen Überprüfung von dynamischen Prozessen in Zellen und sollen neue Messungen von intrazellulären Strömungen und räumlichen Verteilungen von Kalzium und Aktin (z. B. durch Fluoreszenzmethoden) sowie von mechanischen und elastischen Eigenschaften des Zellmaterials anregen.

Ansprechpartner

Markus Bär
Fachbereich 8.4 Mathematische
Modellierung und Datenanalyse
Telefon: (030) 3481-7687
E-Mail: markus.baer(at)ptb.de

Wissenschaftliche Veröffentlichung

M. Radszuweit, H. Engel, M. Bär: An active poroelastic model for mechanochemical patterns in protoplasmic droplets of Physarum polycephalum. PLOS One 9, e99220 (2014)