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Simulationen zeigen möglichen neuen Mechanismus für Herzversagen

Besonders interessant für:
  • Ärzte
  • medizinische Forschung

Untersuchungen eines neuen diskreten Herzmodells, das auch Heterogenitäten in Form von veränderten Zellen oder gestörten Zell-Zell-Kopplungen berücksichtigt, beschreiben einen möglichen neuen Mechanismus für schwere Herzrhythmusstörungen und daraus resultierendes Herzversagen. In den Simulationen wird eine entsprechende Herzdynamik durch die Perkolation von pathologisch veränderten Zellen in einem genügend großen Gewebebereich verursacht.

Vergleich von Reentry-Phänomenen in numerischen

Die Ausbreitung elektrischer Signale im Herzen von Säugetieren wird in der Regel mit Reaktions-Diffusions-Gleichungen modelliert. Dies eröffnet die Möglichkeit, Biosignale wie das Elektro- (EKG) oder Magnetokardiogramm (MKG) realistisch zu simulieren. Andererseits ist aber bekannt, dass sich Herzgewebe aus relativ großen Muskelzellen (Länge ca. 0,1 mm) zusammensetzt, die untereinander durch sogenannte Gap Junctions gekoppelt sind. Elektrische Signale im Herzen breiten sich mithin in einem grobkörnigen diskreten Medium aus. Sterben Zellen ab oder verändern sie ihre Eigenschaften in pathologischer Weise, liegt ein heterogenes, diskretes Medium vor. PTB-Wissenschaftler haben mit Hilfe von Simulationen neue Erkenntnisse zum Einfluss solcher Heterogenitäten auf das Entstehen von lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen erhalten.

Kontinuumsmodelle beschreiben die Dynamik von nichtlinearen Wellen quantitativ korrekt, solange die Dichte der Heterogenitäten nicht zu groß wird. Diese Dichte entspricht im Herzgewebe beispielsweise dem Anteil von Herzmuskelzellen mit pathologisch veränderter Aktivität oder der Anzahl gestörter Verbindungen zwischen benachbarten Zellen. Simulationsrechnungen zeigen, dass die Heterogenitäten im Modell explizit berücksichtigt werden müssen (Multiskalen-Modellierung), sobald ihre Dichte einen kritischen Wert überschreitet. Er liegt etwas unterhalb der Perkolationsschwelle des Zellverbundes, die z. B. 50 % pathologischer Zellen für ein quadratisches Gitter und 66 % für ein hexagonales Gitter beträgt.

Diese Entdeckung ist relevant für das Verständnis von Herzrhythmusstörungen. Denn in der Nähe der Perkolationsschwelle wird die Wellenausbreitung sehr stark gestört, und durch die Heterogenitäten wird eine erneute Zellaktivierung ausgelöst (auch Reentry genannt). Sie kann eine hochfrequente Aktivität des Herzgewebes (Tachykardie) oder irreguläre, chaotische Aktivität (Flimmern) verursachen. Das durch Heterogenitäten ausgelöste Reentry-Phänomen unterscheidet sich im Erscheinungsbild (Abbildung b) sehr deutlich von der bekannten und vieluntersuchten spiralförmigen Reentry-Dynamik in homogenen Medien (Abbildung a). Das entstehende irreguläre Aktivitätsmuster der Zellen führt zum Verlust der Synchronisation der Herzmuskelzellen, die für die Pumpfunktion des Herzens notwendig ist. Wird der Zustand nicht rechtzeitig durch massive Intervention (Defibrillation) unterdrückt, ist der plötzliche Herztod unvermeidbar.

Ansprechpartner:

Sergio Alonso
Fachbereich 8.4 Mathematische Modellierung und Datenanalyse
Tel. (030) 8481-7948
E-Mail: sergio.alonso(at)ptb.de

Wissenschaftliche Veröffentlichungen:

Alonso, S.; Kapral, R.; Bär, M.: Effective medium theory for reaction rates and diffusion coefficients of heterogeneous systems. Phys. Rev. Lett. 102 (2009). 238302

Alonso, S.; Bär, M.; Panfilov, A.V.: Effects of reduced discrete coupling on filament tension in excitable