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Heft 3: Metrologie mit Synchrotronstrahlung, Teil I

PTB-Mitteilungen 3/2014

Metrologie mit Synchrotronstrahlung – eine kurze Einführung

Mathias Richter, Gerhard Ulm

Als man in den 1950er-Jahren damit begann, Synchrotronstrahlung für spektroskopische Untersuchungen zu nutzen [1], waren die Eigenschaften dieser von relativistischen Elektronen oder Positronen in Kreisbeschleunigern emittierten elektromagnetischen Strahlung im Rahmen der klassischen Elektrodynamik bereits umfassend theoretisch beschrieben [2]. Die Berechenbarkeit von Synchrotronstrahlung in Verbindung mit dem zu kurzen Wellenlängen hin weit ausgedehnten Spektrum wurde daher schon früh genutzt für die quellengestützte Radiometrie und die Kalibrierung von energiedispersiven Detektoren, Spektrometern oder Strahlungsquellen [1, 3]. Das amerikanische Metrologieinstitut NIST (National Institute of Standards and Technology, früher: National Bureau of Standards, NBS) betreibt seit den 1960er-Jahren die Beschleunigeranlage SURF (I, II, III) für die Radiometrie in den Spektralbereichen des Ultraviolett (UV), Vakuum-UV (VUV) und Extrem- UV (EUV) [4–6]. Die PTB begann entsprechende Arbeiten etwas später an einem 140-MeV-Synchrotron in Braunschweig [7] sowie am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg [8]. Durch die Entscheidung, ein geplantes eigenes Speicherringvorhaben in die Berliner Elektronenspeicherringanlage BESSY I einzubringen, gewann in der PTB die Metrologie mit Synchrotronstrahlung wesentlich an Bedeutung und Potenzial.

Die Elektronenspeicherringe MLS und BESSY II als primäre Strahlernormale

Roman Klein, Reiner Thornagel, Gerhard Ulm

Die spektralen und räumlichen Eigenschaften der an Elektronenspeicherringen erzeugten Synchrotronstrahlung werden bestimmt durch einige wenige Parameter und lassen sich mit der klassischen Elektrodynamik berechnen. Dadurch werden Speicherringe zu primären Strahlernormalen [1].

Während die radiometrische Anwendung der mit dem Planckschen Strahlungsgesetz berechenbaren schwarzen Strahler auf den Spektralbereich des Infraroten (IR), sichtbaren und nahen Ultravioletten (UV) beschränkt ist, erstreckt sich die Anwendbarkeit der Strahlung aus Elektronenspeicherringen vom THz- über den sichtbaren Spektralbereich bis in den Röntgenbereich und eröffnet so einen um mehrere Dekaden erweiterten Spektralbereich für die radiometrische Nutzung. Die PTB nutzt den Elektronenspeicherring BESSY II seit Januar 1999 als primäres Strahlernormal, insbesondere im Spektralbereich des Vakuum- Ultravioletten (VUV) bis zum Röntgenbereich [2]. Darüber hinaus stand der PTB der Elektronenspeicherring BESSY I als primäres Strahlernormal im UV- und VUV-Spektralbereich von 1984 bis zu seiner Stilllegung im November 1999 zur Verfügung [3, 4]. Mit der Metrology Light Source (MLS) [5, 6] nutzt die PTB seit dem Jahre 2008 wieder ein primäres Strahlernormal, das für diesen Spektralbereich optimiert ist.

Quellengestützte Radiometrie mit Synchrotronstrahlung

Roman Klein, Simone Kroth, Wolfgang Paustian, Mathias Richter, Reiner Thornagel

Quellengestützte Radiometrie bezeichnet das messtechnische Konzept einer Rückführung radiometrischer Größen auf standardisierte Licht- oder Strahlungsquellen. Schon in der Anfangsphase der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) am Ende des 19. Jahrhunderts war die Entwicklung verlässlicher Lichtquellennormale ein Schwerpunkt der Arbeiten. Die Ableitung des Strahlungsgesetzes für Temperaturstrahler im Jahre 1900 durch Max Planck führte dabei mit dem Temperatur- Hohlraumstrahler zu der Realisierung des ersten primären Strahlernormals in der PTR.

Allerdings umfasst Hohlraumstrahlung auch bei hohen Temperaturen von bis zu 3000 K lediglich den optischen Bereich, d. h. den der Infrarot-(IR-), sichtbaren (VIS) und Ultraviolett-(UV-)Strahlung. In dem angrenzenden Vakuum-UV-(VUV-) und Röntgenbereich nutzt die PTB für quellengestützte Radiometrie daher seit 1982 die Strahlung von Elektronenspeicherringen [1–3], deren spektrale Strahlstärke im Rahmen der klassischen Elektrodynamik mit der so genannten Schwinger-Gleichung [4] berechenbar ist. Derzeit nutzt die PTB die Elektronenspeicherringe BESSY II und MLS als berechenbare, primäre, nationale Normale. An beiden Speicherringen werden Messplätze betrieben, die die rückführbare Kalibrierung von Strahlungsquellen in den Einheiten von spektraler Strahlstärke und -dichte auf das jeweilige nationale Normal erlauben.

Empfängergestützte Radiometrie mit Kryoradiometern und monochromatisierter Synchrotronstrahlung

Alexander Gottwald, Udo Kroth, Michael Krumrey, Peter Müller, Frank Scholze

Empfängergestützte Radiometrie basiert auf der Verwendung primärer Empfängernormale für die Messung absoluter Strahlungsleistungen. In der optischen Radiometrie haben sich für diesen Zweck seit ihrer Einführung vor über 100 Jahren [1] elektrisch kalibrierte Substitutionsradiometer etabliert. Diese sind thermische Empfänger, die auf der Äquivalenz von elektrischer Heizung und Strahlungserwärmung eines Hohlraumabsorbers basieren. In den 1980er-Jahren wurde durch den Betrieb bei der Temperatur von flüssigem Helium (Kryoradiometer) und in Verbindung mit Lasern die Messunsicherheit deutlich reduziert [2–7]. Kryoradiometer werden von vielen metrologischen Staatsinstituten zur Darstellung der Skala der spektralen Empfindlichkeit von Photoempfängern (Detektoren) vom infraroten bis zum ultravioletten Spektralbereich genutzt, wobei sich die kleinsten relativen Unsicherheiten im Bereich von 10-4 in der Kombination mit intensitätsstabilisierten Lasern als Strahlungsquellen erreichen lassen [8].

Metrologie für Röntgenlaser

Mathias Richter, Alexander Gottwald, Michael Krumrey

Seit den frühen Tagen der Forschung mit Synchrotronstrahlung [1] wurden die entsprechenden beschleunigerbasierten Strahlungsquellen stetig weiterentwickelt [2]. Bei der so genannten dritten Generation wird seit den 1990er-Jahren der Betrieb von Insertion Devices in den geraden Strecken von Speicherringen optimiert, insbesondere von Undulatoren, die hochbrillante Strahlung variabler Polarisation emittieren [3–6]. Neueste Entwicklungen zielen darauf ab, durch optimierte Beschleunigerstrukturen Strahlungspulse mit weniger als 1 ps Dauer zu erzeugen, zum Beispiel mit Freie-Elektronen-Lasern (FELs) für zeitaufgelöste Experimente zu sehr schnellen chemischen Prozessen. Von den derzeit laufenden FEL-Anlagen, FLASH in Hamburg [7], FERMI in Trieste [8], LCLS in Stanford [9] sowie SCSS [10] und SACLA [11] in Japan, basieren alle außer FERMI auf dem Prinzip der Self-Amplified Stimulated Emission (SASE). Dabei werden zunächst sehr kurze Elektronenpakete mit relativistischen Energien in einem Linearbeschleuniger erzeugt, wo im Vergleich zu Ringbeschleunigern eine deutlich bessere Elektronenstrahlfokussierung möglich ist. Dadurch ist die in einem nachgeschalteten Undulator erzeugte Undulatorstrahlung so brillant, dass eine signifikante elektromagnetische Rückkopplung mit den Elektronen erfolgt. Dieses führt zu einer Mikrostrukturierung der Elektronenpakete mit der Periode der Strahlungswellenlänge und zu einer um viele Größenordnungen verstärkten, vollständig kohärenten Emission von FEL-Strahlung. Mittlerweile werden damit Photonenenergien zwischen 20 eV und 20 keV erreicht – bei Pulsenergien bis zu einigen mJ. Pulsdauern zwischen 10 fs und 500 fs führen dabei zu Strahlungsleistungen von mehr als 10 GW in einem Puls.

Radiometrische Charakterisierung von Weltrauminstrumentierung

Alexander Gottwald, Roman Klein, Michael Krumrey, Peter Müller, Wolfgang Paustian, Thomas Reichel, Frank Scholze, Reiner Thornagel

Die Erdatmosphäre absorbiert den kurzwelligen Teil des elektromagnetischen Spektrums, beginnend im Spektralbereich des Ultraviolett (UV) bis in den Bereich der Röntgenstrahlung. Was für das Leben auf der Erde einerseits ein wichtiger Schutz ist, erschwert andererseits die Erforschung des Weltraums: Messungen der Emission stellarer Objekte in diesem Spektralbereich können nur außerhalb der Erdatmosphäre vorgenommen werden. Dabei ist dieser Teil des Spektrums von elementarer Bedeutung, nicht nur für die Beobachtung und das Verständnis astro- und solarphysikalischer Prozesse, sondern auch wegen der intensiven Wechselwirkung mit der äußeren Erdatmosphäre und der entsprechenden klimatologischen und atmosphärenchemischen Bedeutung. Um verlässliche und vergleichbare Messungen weltraumbasierter Instrumente zu gewährleisten, müssen diese sorgfältig charakterisiert und auf radiometrische Normale rückgeführt werden.

Reflektometrie mit Synchrotronstrahlung

Michael Krumrey, Levent Cibik, Andreas Fischer, Alexander Gottwald, Udo Kroth, Frank Scholze

Hochwertige Reflexionsmessungen zur Charakterisierung von optischen Komponenten, zur Schichtdickenbestimmung oder zur Bestimmung optischer Konstanten von Festkörpern und dünnen Schichten dienen einer Vielzahl von Anwendungen. Bei den zu messenden Objekten kann es sich um Spiegel oder andere reflektierende Objekte wie Beugungsgitter oder Kristalle handeln, aber auch um (Folien-)Filter, deren Transmissionsgrad oft mit der Wellenlänge um viele Größenordnungen variiert. Die Reflektometrie mit Synchrotronstrahlung hat in der PTB eine lange Tradition, erste Messungen wurden bereits 1986 bei BESSY I durchgeführt [1]. Derzeit werden an den Strahlrohren im PTB-Labor bei BESSY II und bei der MLS vier Reflektometer betrieben. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über diese Geräte und deren Eigenschaften, die Messverfahren und erreichbaren Messunsicherheiten sowie die verschiedenen Anwendungen der Reflektometrie im Röntgen-, EUV- und VUV-Bereich.

Technologieangebote

Referenzausgasungsprobe

Die verlässliche, quantitative Messung von Ausgasraten von Vakuumkomponenten hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Mit der neuen Referenzausgasungsprobe der PTB lassen sich solche Ausgasratenmesssysteme kalibrieren und auf ein nationales Normal rückführen. Durch die kompakte Bauweise findet die Referenzausgasungsprobe in vielfältigen Einsatzszenarien Verwendung.

 

Röntgenanalytik für 450-mm-Wafer

Die Einführung der 450-mm-Technologie bei der Waferherstellung und die weitere Verkleinerung kritischer Abmessungen erfordert verbesserte Röntgenanalyse-Methoden. Daher hat die PTB eine Metrologie-Kammer für die Charakterisierung von 450-mm-Wafern konzipiert, deren Kernstück ein mehrachsiger, zum Patent angemeldeter Manipulator ist.

Kompakte Vakuumdurchführung für hochempfindliche Materialien wie z. B. Glasfasern

Wie führt man hochempfindliche Materialien, z. B. Glasfasern auf engstem Raum in Vakuumbehälter ein, ohne den rotatorischen bzw. longitudinalen Freiheitsgrad zu verlieren? Die neue Entwicklung der PTB schafft diesem Problem Abhilfe. Sie ermöglicht die Positionierung und nachträgliche Justage von Glasfasern unter Minimierung des Bruchrisikos aufgrund einer kompressionsfreien Halterung mit integrierter Zugentlastung sowie der Vermeidung von Scher- und Torsionsbelastungen.