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Mehr Schutz vor Sprengstoff und nuklearem Material in Frachtcontainern

PTB und Partner haben Inspektionssystem auf Basis von Neutronenstrahlung entwickelt – Detektion von nuklearem Material geplant

07.05.2009

Illegal transportierte konventionelle Sprengstoffe und kerntechnisch relevante oder radioaktive Stoffe können internationale Terrororganisationen in die Lage versetzen, gefährliches Material für Anschläge an jeden Ort der Erde zu transportieren. Zum besseren Schutz vor solch gefährlicher Fracht entwickeln Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und eines israelischen Forschungszentrums ein Cargoinspektionssystem, das konventionelle Sprengstoffe - und nebenbei auch Drogen - mit Hilfe von Neutronenradiografie detektieren soll. Die Forschungsarbeit soll zu fest installierten Anlagen an Flughäfen und Grenzübergangspunkten führen, in denen Container und Cargo-Paletten mit Fracht vollautomatisch, d.h. ohne die bisher erforderliche Durchsuchung oder visuelle Beurteilung von Röntgenbildern durch geschultes Personal, untersucht werden können. Unterstützt werden die Forschungsarbeiten durch das "Science for Peace"- Programm der NATO. Im nächsten Schritt planen die Wissenschaftler nun, zusätzlich zu den Neutronen auch eine spezielle Form der Gammaradiografie einzusetzen, um auch noch kerntechnische und radioaktive Stoffe aufspüren zu können

Grafische Darstellung eines Inspektionssystems für Frachtcontainer und Paletten: Der Frachtcontainer (gelb) wird automatisch von links nach rechts durch das Inspektionsgerät gefahren. Mit Hilfe beschleunigter Ionen wird die Neutronen- und Gammastrahlung erzeugt und anschließend in verschiedenen Winkeln durch den Container geschickt. Auf der anderen Seite fangen Detektoren die Strahlung auf. Aus der räumlichen und energetischen Verteilung der Strahlung lassen sich die Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Sauerstoff- und Stickstoffverteilung in den Substanzen im Inneren des Containers berechnen. Erkennt der Computer das spezifische Muster eines Sprengstoffes, gibt er Alarm.

Neutronenresonanzradiografie nennt sich das Verfahren, das die PTB-Wissenschaftler und ihre israelischen Kollegen so verbessert haben, dass sich auch sehr kleine Sprengstoffmengen entdecken lassen, die aufgrund ihrer Form oder einer starken Abschirmung mit herkömmlichen Röntgentechniken unauffindbar waren. Dazu sind schnelle Neutronen mit Energien von 1 bis 10 MeV nötig. Diese im Schnitt 30000 Kilometer pro Sekunde schnellen Neutronen können an der Beschleunigeranlage der PTB produziert werden, einer für Europa einzigartigen Einrichtung zur Erzeugung und Anwendung schneller Neutronen. Neutronen sind neben den Protonen Bestandteile von Atomkernen und müssen, um in dieser Anwendung nutzbar zu werden, mit Hilfe beschleunigter Ionen erst aus dem Atomkern befreit werden.

Mit energiereichen, schnellen Neutronen kann die stoffliche Zusammensetzung von leichten, insbesondere organischen Objekten ermittelt werden. Dazu werden die Neutronen nach Ihrer Erzeugung durch einen Ionenbeschleuniger durch den Container oder andere Frachtbehälter geschickt und auf der anderen Seite mit einer Neutronenkamera nachgewiesen. Auf dem Weg durch die Fracht ändert sich die räumliche und energetische Verteilung der Neutronen, und daraus kann wiederum die Verteilung von Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff im Inhalt des Containers berechnet werden. Sprengstoffe, aber auch Drogen bestehen aus ganz bestimmten Zusammensetzungen dieser Elemente, die sie klar von harmlosen Allerweltsstoffen wie Kunststoff oder Lebensmitteln unterscheiden. Der Computer der Inspektionsanlage kennt diese Zusammensetzungen und gibt Alarm, sobald eine vorprogrammierte Sprengstoffsignatur in einem Container festgestellt wird.

In der Praxis wird diese Untersuchungsmethode nicht für kleine Frachtstücke, wie Koffer und Reisegepäck in Frage kommen, da es sich um relativ große Anlagen handeln wird, die nicht an jedem Flughafen Platz finden. Immerhin wird ein Ionenbeschleuniger und relativ viel Abschirmmaterial für die Strahlung benötigt. Deshalb eignet sich das Verfahren nur für Frachtcontainer und auf Paletten oder in Gepäckwagen gebündeltes Reisegepäck.

Zurzeit bemüht sich die PTB gemeinsam mit anderen Partnern aus Forschung und Industrie um weitere finanzielle Mittel, um eine solche Anlage im Labormaßstab aufbauen zu können. Damit könnte potentiellen Kunden das Verfahren demonstriert werden und als Vorbild für eine einsatzfähige Anlage dienen. Dieses neue Projekt geht jedoch noch einen Schritt weiter: Nun soll nicht nur Neutronenstrahlung, sondern auch eine besondere Form von Gammastrahlung genutzt werden, die gemeinsam mit den Neutronen erzeugt wird. Die Durchleuchtung mit Gammastrahlung ergänzt die Neutronentechnik, da sich Gammastrahlung besonders für das Auffinden von schwereren Elementen, wie spaltbarem und radioaktivem Material eignet. Diese Stoffe rücken zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden, da zum Einen die Weiterverbreitung von Schlüsselkomponenten von Massenvernichtungswaffen verhindert werden soll und zum Anderen diese Stoffe von Terroristen zum Bau einer so genannten "schmutzigen Bombe" oder sogar einer primitiven Kernwaffe verwendet werden können. Sie könnten in kleinen Mengen ins Land gebracht und vor Ort zusammengebaut und gezündet werden.

Forschung auf diesem Gebiet hat nicht nur einen sicherheitspolitischen Hintergrund, sondern auch einen wirtschaftlichen: Die US-Regierung hat 2007 ein Gesetz verabschiedet, welches fordert, dass bis 2012 das gesamte Marine- und Luftfrachtgut mit Bestimmungsland USA bereits vor der Verladung im ausländischen Hafen oder Flughafen auf illegale Gefahrstoffe untersucht werden muss. Dieses Gesetz ist insbesondere für die Staaten von Bedeutung, die umfangreichen Handel mit den Vereinigten Staaten treiben, wie beispielsweise Deutschland. Hier wird es in Zukunft vermutlich einen großen Bedarf an automatischen Inspektionssystemen geben, der einen entsprechenden Markt entstehen lässt.

PTB-Kontakt
Dr. Volker Dangendorf, Arbeitsgruppe 6.51 Detektorentwicklung,
Tel. (0531) 592-6510,
E-Mail: volker.dangendorf(at)ptb.de