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Aus einem Springbrunnen die Zeit schöpfen

14.04.1999

Eine neue Generation noch genauerer Atomuhren wächst heran

Der Wettlauf mit der Zeit und um die Zeit ist in vollem Gange. Teilnehmer sind zahlreiche metrologische Institute auf der ganzen Welt und mit dabei die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Das Ziel: die genaueste Uhr auf Erden zu konstruieren; eine Uhr, welche die bisherigen Atomuhren in den Schatten stellt. Die Methode: einen Springbrunnen für kalte Atome bauen. Zwischenbericht aus der PTB: Die Springbrunnenuhr beginnt zu ticken.

Uhren sollen ebenso gleichmäßig wie die Zeit selbst gehen, ihre Sekundenticks sollen stets die gleiche, wohldefinierte Dauer haben. Heutige Atomuhren leisten dies bereits in guter Näherung: die besten unterscheiden sich Jahr für Jahr um weniger als eine Millionstel Sekunde. Wozu also die Zeit noch genauer vermessen?

Genaue Uhren stehen nicht nur in den Labors der metrologischen Institute, sondern auch in den Sternen: Außerordentlich gleichmäßige „Leuchtfeuer“ am Himmel sind die Pulsare, von denen wir regelmäßig kurze Schübe elektromagnetischer Strahlung empfangen. Um Schwankungen ihres Taktes zu bestimmen, können die irdischen Uhren nicht genau genug sein. Höchstpräzise Uhren sind auch den Astrophysikern willkommen, die die von Einstein vorhergesagten Effekte seiner Relativitätstheorie präzise vermessen wollen. Denn nur mit den besten Uhren als Referenzen wird es je gelingen, die Vorhersagen Einsteins gegenüber anderen Theorien der Gravitation quantitativ zu vergleichen. Aber auch im irdischen Alltag spielen Atomuhren eine gewichtige Rolle: So kann das globale Ortungs- und Navigationssystem GPS (Global Positioning System), das auf Laufzeitmessungen von Radiosignalen zwischen Satelliten und Empfängern auf der Erde beruht, also mithin auf Uhrenvergleichen basiert, um so genauer funktionieren, je stabiler die Uhren in den Satelliten und den Kontrollstationen sind.

All das ‑ und eine gehörige Portion wissenschaftlich-technischer Ehrgeiz ‑ ist die Triebfeder bei dem Rennen um die genaueste Uhr der Welt. Ein Rennen, das zusätzliche Nahrung durch den Physik-Nobelpreis des Jahres 1997 bekommen hatte, als Steven Chu, Claude Cohen-Tannoudji und William Phillips für eine Methode ausgezeichnet wurden, mit der es ihnen gelungen war, Atome mit Hilfe von Laserlicht extrem abzukühlen und einzufangen. Die Atome ‑ vorher durch die Umgebungstemperatur zum rasenden Zickzackkurs angetrieben ‑ bewegen sich in solch einer „Falle“ nur noch gemächlich. Und mit langsamen Atomen lassen sich auch Atomuhren noch weiter präzisieren.

Durch die Cäsium-Atomuhren der PTB flitzen die Atome horizontal (parallel zur Erdoberfläche) mit knapp 100 Meter pro Sekunde, so daß sie die entscheidende Wegstrecke im Inneren der Apparatur (von rund einem Meter) in einer Hundertstel Sekunde passieren. Um ein schärferes Resonanzsignal ‑ das Signal, von dem die Information über die Dauer der Sekunde abgeleitet wird ‑ zu erhalten, muß diese Laufzeit verlängert werden, was entweder über eine längere Wegstrecke oder ein langsameres Tempo der Atome gelingt. Da sich nun die Uhren nicht beliebig groß bauen lassen, muß man stattdessen die Geschwindigkeit der Atome reduzieren. Zugleich macht sich jedoch gerade bei langsamen Atomen die Schwerkraft bemerkbar: Die Atome fallen schlicht nach unten ‑ ein Nachteil dieser Atomuhren. Bei einer Springbrunnen-Konstruktion hingegen läßt sich die Schwerkraft intelligent ausnutzen.

Mit einer geschickten Anordnung mehrerer Laserstrahlen bestrahlen die Uhren-Experten der PTB ein Gas aus Cäsiumatomen. Doch diese Bestrahlung „erwärmt“ die Atome nicht, sie kühlt sie vielmehr ab, so daß aus einem anfänglich zimmertemperaturwarmen Gas ein atomares Ensemble mit einer Temperatur von wenigen Mikrokelvin entsteht. Die Atome „frieren quasi ein“ und bewegen sich jetzt nur noch mit rund einem Zentimeter pro Sekunde, eine Quelle kalter Atome ist entstanden. Werden die Laser auf definierte Weise kurzzeitig gegeneinander „verstimmt“, so kann den gekühlten und eingefangenen Atomen ein gezielter „Schups“ aufwärts gegeben werden: Sie fliegen nach oben, steigen solange auf, bis die Schwerkraft ihre Bewegungsenergie aufgezehrt hat, und fallen auf dem gleichen Weg wieder zurück. Ein Szenario, das an einen Springbrunnen erinnert.

Ganz wie in einer gewöhnlichen Atomuhr wird der Energiezustand der Atome manipuliert und kontrolliert. Die Atome durchfliegen während ihrer Auf- und Abbewegung das Mikrowellenfeld eines Resonators, welches den Zustand der Elektronenhülle des Atoms ändert. Die Zeit der Wechselwirkung mit dem Mikrowellenfeld ist jedoch bedeutend länger geworden: Ein Stein, den man einen Meter hochwirft, braucht knapp eine Sekunde, bis er zur Hand zurückkehrt. So lange sind auch die Atome in einer Springbrunnenuhr mit dem Mikrowellenfeld in Kontakt, so daß das gemessene Resonanzsignal entsprechend schärfer ausfällt. Das Ziel, die Sekunde „schärfer“ zu fixieren, ist zum Greifen nah.

Bei der Springbrunnenuhr geht es um Genauigkeiten von „10 hoch minus 15“ Sekunden, also um so kleine Zeitabweichungen, daß eine derartige Uhr (im Gedankenexperiment) weniger als eine Sekunde in über 10 Millionen Jahren fehlginge. Eine Vielzahl kleiner Effekte können hier den Erfolg vereiteln. In den metrologischen Staatsinstituten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, USA und anderswo gibt es einen fruchtbaren Wettbewerb, mit verschiedenen Ideen und Lösungswegen für die Konstruktion einer solchen Uhr.

Die Kollegen am Pariser Laboratoire Primaire du Temps et des Fréquences sind allen ein Stück voraus, sie haben die neue Entwicklung früher als zukunftsträchtig erkannt. Für alle Anwendungen ist aber wichtig, daß die Genauigkeit der Uhren auch durch Vergleich untereinander bewiesen ist. Schon daher lohnt es sich, im Wettbewerf mitzumachen und mehrere Uhren zu schaffen.

Die Springbrunnenuhr in der PTB, an der die Forscher und Techniker seit zwei Jahren arbeiten, beginnt in diesen Tagen zu ticken. Bei den ersten Vergleichsmessungen mit den anderen Uhren der PTB entsprechen die Resultate voll den Erwartungen. Sie zeigen aber auch, daß es noch vieler Untersuchungen bedarf, bevor wirklich die Zeit aus dem Springbrunnen geschöpft werden kann. Aber sicher ist: Die Zeit der Springbrunnenuhren kommt.

Weitere Informationen:
Dr. Andreas Bauch
Laboratorium "Zeiteinheit"
Tel.: (0531) 592-4320
e-mail: time(at)ptb.de