
Bewertung der Antwortzeiten von Versuchspersonen bei der automatisierten Bestimmung von Bezugshörschwellen
Für eine Kalibrierung von Audiometern werden Bezugshörschwellen benötigt. Ihre Bestimmung findet anhand genormter Verfahren für eine repräsentative, hörgesunde Versuchspersonengruppe statt. Häufig, auch an der PTB, werden diese Daten mittels automatisierter Messprozeduren erhoben. Hierfür wurde die Bewertung der Antwortzeiten der Versuchspersonen durch die verwendeten Algorithmen hinsichtlich ihres Einflusses auf die gemessenen Hörschwellen und die Versuchsdauer untersucht.
Eine wichtige Kenngröße zur Beurteilung des Hörvermögens ist das Reintonaudiogramm. Die dazu eingesetzten Audiometer und Verfahren sind in ISO 8253-1 (2010) beschrieben. Für jeden Audiometrie-Kopfhörertyp werden spezielle Bezugshörschwellen benötigt, die nach der Norm ISO 389-9 (2009) für 25 hörgesunde, junge Erwachsene unter definierten Bedingungen und mit festgelegten Verfahren erhoben werden. Unter anderem kommen hier automatisierte Verfahren zum Einsatz, bei denen über die Messung von Antwortzeiten ausgewertet wird, ob ein Reinton-Stimulus gehört wurde. Typische Antwortzeiten sind das Zeitintervall RTON (ON response time) zwischen Stimulusbeginn und Drücken einer Antworttaste und das Zeitintervall RTOFF (OFF response time) zwischen Stimulusende und Loslassen der Antworttaste. Liegen die Antwortzeiten innerhalb definierter Grenzen RTMAX, gilt der Stimulus als „gehört“.
An der PTB wird die Bestimmung der Bezugshörschwellen automatisiert über das Eingabelungsverfahren durchgeführt (Richter 1979). Hierbei wird ein Stimulus (z .B. ein Reinton mit einer Frequenz von 1000 Hz) mehrfach präsentiert, wobei die Antwort der Versuchsperson bei jeder Präsentation zu einer Veränderung des Schalldruckpegels führt. Der Schalldruckpegel pendelt gemäß dem Eingabelungsverfahren um die Hörschwelle der Versuchsperson, so dass er teilweise hörbar und teilweise unhörbar ist. Das typische Zeitprofil einer einzelnen Stimuluspräsentation und einer Probandenreaktion ist in Abbildung 1 skizziert.
Abbildung 1. Zeitprofil des Stimulus mit nachfolgender Pause (orangene Kurve oben) und Zeitprofil einer als „gehört“ bewerteten Probandenantwort in Form eines Tastendruckes (blaue Kurve unten).
In einer kürzlich durchgeführten Studie wurde der Einfluss verschiedener Grenzwerte für die Antwortzeiten auf die gemessenen Hörschwellen und die Messdauer untersucht (Bug et al. 2023, doi.org/10.1080/14992027.2023.2250554). Die Hörschwellen von 25 Versuchspersonen wurden mit jeweils zwei verschiedenen Begrenzungen der Antwortzeit (RTMAX mit 600 ms und 1000 ms) für die Audiometriefrequenzen 125, 250, 500, 1000, 2000, 4000 und 8000 Hz bestimmt. Die Messung der beiden RTMAX fand in zufälliger Reihenfolge statt.
Es zeigte sich, dass ein Grenzwert von 1000 ms für die Antwortzeit zu Hörschwellen führt, die bei durchschnittlich 2,6 dB niedrigeren Schalldruckpegeln liegen als bei der Anwendung eines Grenzwertes RTMAX von 600 ms (Abbildung 2). Diese Verschiebung war für alle Audiometriefrequenzen ähnlich und veränderte sich nicht für noch längere RTMAX von 1200 ms. Letzteres wurde in einer Voruntersuchung festgestellt. Die Messdauer pro Hörschwellenbestimmung zeigte hingegen keine Abhängigkeit von RTMAX und lag bei durchschnittlich 104 s ± 18 s.
Abbildung 2. Differenz der Bezugshörschwellen (ETSPLs, equivalent threshold sound pressure levels) für jede Versuchsperson zwischen der Messung mit einer RTMAX von 1000 ms und der Messung mit 600 ms bei verschiedenen Audiometriefrequenzen. Die Darstellung ist ein Boxplot, bei dem die schattierte Box die mittleren 50% der Messwerte aller Versuchspersonen markiert, die Linie innerhalb der Box markiert den Medianwert und die Whisker den niedrigsten und höchsten Wert. Statistisch als Ausreißer gewertete Datenpunkte sind durch Kreise markiert.
Auf Basis dieser Ergebnisse wird die Messung der Bezugshörschwellen an der PTB zukünftig mit einem Grenzwert von 1000 ms für die Antwortzeit durchgeführt und es wird empfohlen, diesen Wert in den entsprechende Norm ISO 389-9 (2009) zu übernehmen. Dennoch ist zu beachten, dass der Einfluss von 2,6 dB auf die mit unterschiedlichen Antwortzeit-Grenzwerten gemessenen Hörschwellen in der Größenordnung liegt, die empirisch bestimmte Standardabweichungen für Wiederholungsmessungen in der Audiometrie aufweisen (ca. 2,5 dB).
Literatur:
M. U. Bug, M. Strüp, S. Vollbort, T. Fedtke. 2023. Influence of response-time limits on automated hearing threshold determination. Int. J. Audiol. https://doi.org/10.1080/14992027.2023.2250554
ISO 389-9. 2009. Acoustics – Reference Zero for the Calibration of Audiometric Equipment - Part 9: Preferred Test Conditions for the Determination of Reference Hearing Threshold Levels. Geneva: International Organization for Standardization.
ISO 8253-1. 2010. Acoustics – Audiometric Test Methods – Part 1: Pure-Tone Air and Bone Conduction Audiometry. Geneva: International Organization for Standardization.
U. Richter. 1979. Ein automatisierter Meßplatz für subjektiv-akustische Messungen. PTB-Bericht PTB-Ak-18, ISSN 0340–8639.
Ansprechpartner:
Bug, Marion U., FB 1.6, E-Mail: marion.bug@ptb.de