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Mikroskopische Strukturbreitenmessungen für die industrielle Messtechnik

02.11.2012

1 Einführung

Im Bereich der hochgenauen dimensionellen Mikro- und Nanometrologie werden für viele industrielle Anwendungen optische Messsysteme, z.B. so genannte "Vision Systems" in optischen Koordinatenmesssystemen oder auch quantitative stand-alone Mikroskope eingesetzt. Im Vergleich zu taktilen Messsystemen weisen sie häufig signifikante Vorteile auf: Sie arbeiten berührungslos und zerstörungsfrei, sind sehr schnell und erlauben prinzipiell Messungen mit sehr geringen Messunsicherheiten von deutlich unter 0,1 µm.

Eine besondere Herausforderung stellen hierbei Messungen der Abstände zweier gegenüberliegender Kanten - so genannte bidirektionale Messungen - dar, wie z. B. die Messung der Breite einer Struktur oder eines Durchmessers: Im Gegensatz zur Abstandmessung zwischen zwei gleichartigen Kanten (unidirektionale Messungen) gehen bei bidirektionalen Messungen mögliche systematische Fehler bei der Kantenlokalisation in das Messergebnis direkt ein. Daher muss für diese Messungen der Prozess der Bildentstehung im optischen Mikroskop verstanden und berücksichtigt werden, um eine korrekte Kantenlokalisation und damit genaue Messungen zu ermöglichen.

In kommerziellen Messsystemen wie z. B. optischen Koordinatenmessgeräten (KMGs) werden bisher jedoch nur stark vereinfachte und physikalisch unzureichend motivierte Kantenlokalisations-Verfahren verwendet [1], welche die bekannten deutlichen Einflüsse der Eigenschaften der Messobjekte als auch der Messsysteme auf das Messergebnis vernachlässigen [2]. Dieser einfache Ansatz begrenzt derzeit die erreichbaren Messunsicherheiten auf einige wenige Mikrometer. Die Anforderungen liegen jedoch schon heute für High-End Anwendungen unterhalb 0,5 µm. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind zum einen verbesserte Mess- und Auswerteverfahren erforderlich, zum anderen werden Referenzmessungen bzw. Normale mit Messunsicherheiten im Bereich von 0,1 µm benötigt, um eine Rückführung der Messwerte auf die SI-Einheit Meter zu ermöglichen.

Die PTB hat daher begonnen, die erforderliche metrologische Infrastruktur hierfür zu entwickeln. Hierzu werden die in der PTB eingesetzten Methoden zur Strukturbreitenmessung auf Substraten für die Halbleiterindustrie [3] modifiziert und an die besonderen Herausforderungen der industriellen optischen Messtechnik angepasst. In der Abteilung Optik können derzeit Strukturen mit Breiten bis zu 300 µm kalibriert werden. Bei größeren Breiten erfolgt in der Regel eine Anschlusskalibrierung durch optische Messsysteme mit größerem Messbereich in der Abteilung Fertigungsmesstechnik der PTB oder auch durch das DAkkS-Kalibrierlabor der Firma Vistec Electron Beam GmbH in Jena.

2 PTB-Messverfahren 

Im Rahmen einer Eingangsprüfung werden die zu messenden Strukturen zunächst mit Hilfe eines kommerziellen Lichtmikroskops bezüglich möglicher Probenverunreinigungen sowie der Kantenqualität bewertet. Messungen mit einem Rasterkraftmikroskop (AFM) liefern Detailaussagen über die Qualität der Kantenprofile  (Kantenrauheit, Kantenprofilierung, ausreichende Steilheit) und erlauben es, die für die Modellierung erforderlichen Geometrieparameter Kantenwinkel und Strukturhöhe zu bestimmen.

Für die Auswertung der Strukturbreitenmessungen ist zudem eine hinreichend gute Kenntnis des Schichtaufbaus sowie der komplexen Brechzahlen der Strukturen erforderlich.  Können diese Informationen vom Kunden nicht hinreichend genau zur Verfügung gestellt werden, werden anhand von tabellierten Literaturdaten (z. B. [4]) diese Parameter abgeschätzt. Dadurch erhöht sich die erreichbare Messunsicherheit in der Regel drastisch.   

Die mikroskopischen Strukturbreitenmessungen werden mit dem UV-optischen Messsystem der PTB (Abb. 1) durchgeführt  [5]. Das Transmissionsmikroskop arbeitet im Rasterscan-Verfahren. Die Kontrolle der Scanposition mittels Interferometer erlaubt die Rückführung der Objektkoordinaten. Die Lokalisierung der Kantenpositionen erfolgt mittels eines Schwellwertkriteriums, wobei zur Bestimmung der korrekten Schwellwerte die Messsignale des UV-Mikroskops unter Berücksichtigung der Strukturparameter rigoros (d. h. vektoriell) modelliert werden.

           

((Bild 423_Bild1_Messung Maßstab mit UV-Strukturbreitenmesssystem.jpg))

Abb. 1 Messung der Strukturbreiten auf einem Strichmaßstab mittels des UV-Strukturbreitenmesssystems

3 Probenqualität

Eine Breitenkalibrierung in einem Messunsicherheitsbereich von unter 0,1 µm erfordert eine Strukturqualität, die gewissen Mindestanforderungen entsprechen muss: Die Proben dürfen keine starken Verunreinigungen aufweisen und die Strukturkanten müssen hinreichend ausgeprägt und wohl definierbar sein. Die Strukturkanten sollten eine homogen ansteigende Flanke mit möglichst großem Kantenwinkel von mindestens 45° und im Idealfall 90° aufweisen. Zur Veranschaulichung zeigt Abb. 2 AFM-Messungen einer gut kalibrierfähigen Struktur (a) sowie einer stark profilierten Strukturkante mit einem mittleren Kantenwinkel < 8° (Abb. 2b). Letztere ist in dem genannten Messunsicherheitsbereich nicht kalibrierfähig, da die Kantenposition nicht vernünftig definierbar und der Kantenanstiegsbereich zu breit und inhomogen ist.

Die Abbildungen 2c und 2d zeigen mikroskopische Bilder im Auflichtverfahren zweier Kalibrierstrukturen. Die Probe in Abb. 2d zeigt deutliche Verunreinigungen durch Partikel und die im Bild linke Kante zeigt zusätzlich eine starke Kantenrauheit. Beide Effekte lassen die Kalibrierung einer solchen Struktur im Rahmen der genannten Messunsicherheiten im Gegensatz zu der in Abb. 2c gezeigten nicht zu. 

                                                                      

                   

a)                                                                                       b)

                               

c)                                                                                        d)     

Abb. 2:  a) AFM-Messung einer kalibrierfähigen Strukturkante; b) AFM-Messung einer ungeeigneten Strukturkante; c) auflicht-mikroskopisches Bild einer Linienstruktur mit starker Kantenrauheit und Verunreinigungen; d)  auflicht-mikroskopisches Bild einer kalibrierfähigen Linienstruktur: geringer Verschmutzungsgrad und gute Kantenqualität

4 Beispielmessung

Abb. 3 zeigt das Ergebnis einer Breitenmessung an einer ca. 10 µm breiten Chromlinie auf einem Quarzsubstrat. Diese Maske wurde im Kundenauftrag für die rückgeführte Breitenkalibrierung von optischen KMGs hergestellt und von der PTB gemessen. Für die in diesem Fall vorliegende sehr gute Strukturqualität konnte eine Messunsicherheit von U = 25 nm (k = 2) erreicht werden. Für Strukturen > 300 µm oder für Strukturen auf größeren Substraten erhöhen sich aufgrund der erforderlichen Anschlusskalibrierungen die erreichbaren Messunsicherheiten signifikant auf U ≥ 70 nm.

Abb. 3 Beispielmessung einer etwa 10 µm breiten Chromline auf einer Photomaske: Die numerische Simulation des gemessenen Kantenprofils (schwarze Linie) zeigt, dass die tatsächliche Kantenposition einem Intensitätsschwellwert von 21,5 % im gemessenen Kantenprofil entspricht. Die Abbildung zeigt nur einen vergrößerten Teilbereich der Messkurve im Bereich der "rechten" Kante.

5 Ausblick

Mit der Nutzung der modellbasierten optischen Strukturbreitenmessung kann die PTB den Herstellen und Anwendern optischer Messsysteme eine Rückführung für so genannte bidirektionale Messungen mit Messunsicherheiten von deutlich unter dem bisher erreichten Niveau zur Verfügung stellen. Es sind jedoch weitere Anstrengungen erforderlich, um die wachsenden Anforderungen an die Messunsicherheit bei der Vielfalt der in der industriellen Messtechnik benötigten Strukturnormale zu erfüllen.

Da die erreichbare Messunsicherheit in vielen Fällen durch die Qualität der Kalibrierproben begrenzt wird, ist die Entwicklung verfügbarer und qualitativ hochwertiger Referenznormale mit praktischem Anwendungsbezug notwendig.

Des weiteren ist die Übertragung der rückgeführten Breitenmessung auf allgemeine bidirektionale Messungen im industriellen Anwendungsfeld nicht trivial, da das Messergebnis im Allgemeinen von Probenmaterial und -geometrie sowie von Beleuchtungs- und Abbildungsparametern des eingesetzten Messsystems abhängig ist. Hierzu müssen Instrumente und Verfahren entwickelt und verfügbar gemacht werden, um Anwendern in der Industrie einen möglichst effizienten Transfer der Breitenkalibrierung auf konkrete Messanwendungen zu ermöglichen. Dazu müssen dann auch geeignete Arbeitsanweisungen, z.B. in Form von Normen oder so genannter Good Practice Guide, erstellt werden.


Literatur:

[1]        G. Rodger: Dimensional measurement using vision systems, NPL good practice guide 39 (2001), www.npl.co.uk/publications/guides/

[2]        R. Köning, B. Bodermann, D. Bergmann, E. Buhr, W. Haessler-Grohne, J. Flügge, H. Bosse: Towards traceable bidirectional optical size measurements for optical coordinate measuring machine metrology, Proc. of 1st MacoScale conference 2011, www.macroscale.org/macroscale/proceedings/2011/BiMeasOptCMM_138161472.pdf

[3]        B. Bodermann, J. Flügge, H. Gross, A. Kato, F. Scholze: Charakterisierung von Nanostrukturen auf Substraten der Halbleiterindustrie PTB-Mitteilungen 121, 2 (2011), 152-164

[4]        Edward D. Palik: Handbook of Optical Constants of Solids, Academic Press Handbock Series. Academic Press, New York, USA, 1997

[5]        B. Bodermann, H. Bosse: Model based reference metrology for dimensional characterization of micro- and nanostructures, Optoelectronics Lett. 4 (2008), 2, 81 - 85

 47.      B. Bodermann, E. Buhr, G. Ehret, F. Scholze, M. Wurm: Optical metrology of micro- and nanostructures at PTB: Status and future developments, Proc. SPIE 7155 (2008), 71550V