Wir glauben ihn alle zu kennen, denn er verfolgt uns ja auf Schritt und Tritt, wie ein Schatten, den wir nicht abschütteln können. Der Zufall ist unser ständiger Begleiter, ob wir ihn nun beim wochenendlichen Glücksspiel herausfordern, ob wir ihn schlicht als persönlichen Ratgeber akzeptieren, der uns die unzähligen kleinen Entscheidungen des Alltags abnimmt, oder ob wir ihn freudig begrüßen, wenn er uns "aus heiterem Himmel" einen alten Freund treffen lässt, den wir seit Jahr und Tag nicht mehr gesehen haben. Der Zufall ist so allgegenwärtig, dass wir ihm zumeist keine Beachtung schenken. Was aber passiert, wenn wir dies eben doch tun?
Einige Antworten finden Sie in diesen maßstäben, die Ihnen ein paar Wegbeschreibungen aus dem Labyrinth des Zufalls zeigen wollen. Denn in ein solches Labyrinth geraten Sie tatsächlich, sobald Sie sich auf den Zufall einlassen. Sehr rasch werden Sie unvermeidlich auf die Frage stoßen, was das denn überhaupt ist, das wir Zufall nennen. Der Zufall wird - will man ihn in Augenschein nehmen - fragwürdig. Ist der Zufall das, was keine Ursache hat? Aber dann versuchen Sie einmal, sich ein Ereignis zu denken, das keine Ursache hat. Es wird Ihnen nicht gelingen. Regiert der Zufall nur da, wo ich unwissend bin? Doch dann wäre der Zufall ja eine subjektive Erscheinung, die sich auflöste, wenn ich mehr wüsste. Aber oh weh: Wo bleibt der freie Wille des Menschen, wenn alles in der Welt kausal geordnet und bestimmt ist? Über all das haben auch die Autoren und Redakteure dieser maßstäbe nachgedacht, sie sind in und außerhalb der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (zwischen Monte Carlo und Niederbayern, Braunschweig und Hiddensee) auf Suche gegangen. Zurückgekommen sind sie mit einem Füllhorn von Zufällen, Wahrscheinlichkeiten und Statistiken, die sie in Stickstoff-Flaschen und in Quantencomputern, in Wetterkarten und in Lotto-Maschinen, im Herzen und im Kopf gefunden haben. An einem verschlungenen roten Faden haben die Redakteure schließlich die verschiedenen "Arten von Zufällen" aufgehängt, locker sortiert nach den Fragen: Zufall - was bist du? Wo mischt du dich überall ein? Lässt du dich rufen, wenn ich dich brauche?
Vielleicht werden Sie sich jetzt etwas verwundert die Augen reiben und verwirrt die Begriffe "Zufall" und "PTB" gegeneinander abwägen. Vielleicht halten Sie diese Begriffskombination gar für einen Widerspruch in sich, da doch die PTB als oberste Instanz des nationalen Messwesens, als Hort höchster Genauigkeit und Präzision - wo es (auch) auf die entferntesten Stellen hinter dem Komma ankommt - kaum im Verdacht steht, den Zufall walten zu lassen. Wenn dies so sein sollte, dann lassen Sie sich bitte überraschen. Hier nur soviel: Der Zufall herrscht überall - manchmal als Freund, manchmal als Feind. Auch in der Physik. Und auch für die feinsinnigen Künstler des Messens, die Metrologen, gilt der Dürrenmattsche Satz: "Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen."
Im Namen der maßstäbe-Redaktion wünsche ich Ihnen eine unterhaltsame Lektüre. Und bitte: Verirren Sie sich nicht in Labyrinthen!
Ihr Jens Simon