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Die Sekunde – aus ultrakalten Atomen

12.12.2002

In der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig beginnt die Zeit der optischen Atomuhren. Während im Zeitlabor ein Ensemble von Cäsium-Atomuhren die nationale Zeit in Deutschland macht und gleichzeitig die Weltzeit entscheidend mitbestimmt, beginnen im Nachbarlabor Kalzium-Atomuhren zu ticken – für eine noch präzisere und stabilere Zeitmessung. Der Vorteil dieser neuen Atomuhr: Ihre extreme Genauigkeit erreicht sie binnen Sekunden nach dem Start der Messung. Mit anderen Uhren braucht man zumeist einige Stunden, bis die volle Genauigkeit genutzt werden kann. Die ersten Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Physical Review Letters (Bd. 89, Nr. 230801) veröffentlicht.

Das Doppelleben der Sekunde

Die Sekunde als Einheit der Zeit führt ein Doppelleben: Das erste Leben spielt sich in unserem Alltag ab: Eine einzelne Sekunde ist hier zumeist keine nennenswerte Dauer. Das Höchste der Gefühle ist gelegentlich die „Präzisionsmessung“ mit Stoppuhren, etwa im Sport, auf zehntel oder hundertstel Sekunden genau.

Im anderen Leben, dem Hightech-Leben, ist die Sekunde dagegen ein Riese. Bruchteile von ihr sind es, die hier das Sagen haben. Atomuhren, die pro Jahr weniger als eine Mikrosekunde (millionstel Sekunde) fehl gehen, arbeiten in Navigationssystemen, steuern und berechnen in den weltweiten Telekommunikationsnetzen die Datentransfers und sind natürlich in Astronomie und Grundlagenforschung zu Hause. Um diese Rollen beherrschen zu können, muss die Zeit tatsächlich präzise gemessen sein.

Dafür sorgt unter anderem die PTB – sie trägt mit ihren Atomuhren zur international gültigen Zeit bei und liefert damit natürlich auch die Grundlage unserer alltäglich gemessenen und verwendeten Zeit. Das Prinzip aller Atomuhren ist gleich: Als Taktgeber werden Sprünge von Elektronen zwischen Energieniveaus eines Atoms ausgenutzt. Ein Elektron springt genau dann auf ein höheres Energieniveau, wenn ein von außen eingestrahltes Energiepaket, ein Photon, genau die benötigte Energiedifferenz für den Sprung mit sich bringt, also die richtige Frequenz hat.

Seit 1967 beruht die Definition der Sekunde auf einem Übergang eines Elektrons im Element Caesium 133, der durch ein Mikrowellenphoton mit der exakten Frequenz 9 192 631 770 Hertz angeregt wird. Und wer eine Frequenz exakt kennt, kann auch Zeiten messen: Um eine Zeitdauer abzumessen, muss man jetzt nur noch entsprechend viele Schwingungen abzählen.

Die Physiker in der PTB betreiben gleich mehrere Cäsium-Atomuhren unterschiedlichster Bauart. Die neueste Generation kühlt die Atome mit Hilfe von Laserstrahlen, was eine besonders hohe Genauigkeit ergibt. Aber allen Bauarten gemeinsam ist, dass es eine Mikrowelle ist, welche die Energiesprünge in den Atomen provoziert.

Mit Kalzium im Takt

Etwas anders hingegen tickt die Atomuhr, die der Physiker Uwe Sterr gemeinsam mit seinen Kollegen des Labors „Längeneinheit“ in der PTB entwickelt hat. Bei dieser Uhr handelt es sich um eine optische Uhr, in der Kalziumatome die Frequenz einstellen. In ihr regen nicht Mikrowellen die Atome an, sondern sichtbares Licht. Die Anregungsfrequenz ist fünfzigtausendfach höher. Bei den verwendeten Kalzium-Atomen löst rotes Licht der Frequenz 456 Terahertz und einer Wellenlänge von 657 nm einen speziellen Elektronensprung im Atom aus.

Das Signal der Uhr wird dabei in jedem Takt aus jeweils rund zehn Millionen Kalzium-Atomen gewonnen, die in einer magneto-optischen Falle gefangen werden. In ihr wird die Bewegung der Atome fast vollständig eingefroren und sie werden in einem stecknadelkopfgroßen Bereich konzentriert. Die Temperatur der Atomwolke beträgt jetzt nur noch wenige millionstel Kelvin, was erst durch die Entwicklung eines neuartigen Laserkühlverfahrens ermöglicht wurde. Die Atome werden dann aus der Falle entlassen und von einem gepulsten Laser bei besagten 456 THz angeregt. Die Wissenschaftler überprüfen nun, ob der Laser stabil auf der erwünschten Frequenz strahlt. Ist die Frequenz genau die Anregungsfrequenz und damit „richtig“, dann beginnt man seine Schwingungen zu zählen.

Auch hier wartet noch ein Hindernis, das erst seit kurzer Zeit überwindbar ist: Die Schwingungen des sichtbaren Lichts lassen sich nicht so einfach elektronisch auszählen, wie dies noch bei einer Mikrowelle möglich ist. Mit dem „Frequenzkammgenerator“ (einem speziellen Femtosekundenlaser), der ein dichtes Raster von Millionen genauestens bekannter optischer Frequenzen im Abstand einer Mikrowellenfrequenz herstellt, lässt sich diese Hürde allerdings nehmen. Jede beliebige Frequenz, also auch diejenige der Kalzium-Atomuhr, kann damit zugleich auf die Mikrowellenfrequenz der Cäsium-Atomuhr zurückgeführt werden.

Neben dem Konzept der Kalziumuhr mit einer großen Anzahl von Atomen wird im Labor „Zeiteinheit“ eine optische Uhr mit einem einzelnen gefangenen Ion entwickelt. Jede der beiden optischen Uhren, die Einzelionenuhr mit ihrer unschlagbaren Genauigkeit und die Kalziumuhr mit ihrer besonderen Stabilität, wird zu neuen Anwendungen in Forschung und Technik führen.



Weitere Informationen:

Dr. Uwe Sterr, Tel.: (0531) 592–4312, E-Mail: uwe.sterr@ptb.de Labor „Längeneinheit“, Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)