Logo der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

Die Halbwertszeit von Se-79

Kategorien:
  • Metrologie für die Gesellschaft
13.07.2010

Die möglichst genaue Kenntnis der Halbwertszeit ist für die Betrachtung der Langzeitsicherheit eines Endlagers für Nuklearabfälle, in denen 79Se vorkommt, von großer Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist 79Se eines der wenigen Nuklide, welche für die langfristige, potentielle radiologische Gefährdung der Umwelt verantwortlich sind. Zudem kommt in der Astrophysik dem 79Se als Verzweigungspunkt im sog. s-Prozess eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Nukleosynthese schwerer Elemente zu. Desweiteren haben die Fachleute ein großes Interesse daran dieses experimentell so schwer zugängliche Isotop genauer zu untersuchen. Eine wesentliche Herausforderung ist dabei eine ausreichende 79Se-Aktivität ohne radioaktive Verunreinigungen zu erhalten.

Das radioaktive Isotop 79Se ist ein reiner Betastrahler und zerfällt unter Emission niederenergetischer Elektronen zu 79Br. Bisher veröffentlichte Werte für die Halbwertszeit reichen über eine Größenordnung von etwa 1,24•105 Jahren bis 1,13•106 Jahren, wobei zwei historische Werte nicht berücksichtigt wurden.

Eine Neubestimmung der Halbwertszeit des 79Se haben nun Forscher des Lehrstuhls für Radiochemie der Technischen Universität München, des Instituts für Transurane in Karlsruhe, des Paul Scherrer Instituts in Villigen (Schweiz) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig vorgenommen [1]. Ausgangsmaterial war eine hochradioaktive Spaltproduktlösung aus abgebranntem Kernbrennstoff, welche neben einer geringen Menge 79Se erhebliche unerwünschte Aktivitäten anderer Radionuklide von mehreren Megabecquerel enthielt.

In Vorversuchen wurden diverse radiochemische Arbeitsschritte erprobt, um das 79Se in möglichst reiner Form darzustellen. Letztlich angewandt wurden u. a. zwei Verfahren, die für Selen hochselektiv sind, die aber bisher in radiochemischen Analysen kaum Beachtung fanden. Konkret war das zum einen der historisch in der Forensik entwickelte Reinsch-Test, der zum Nachweis von Selen, Arsen, Antimon oder auch Quecksilber eingesetzt wurde. Dieser beruht auf der reduktiven Abscheidung von Selen auf metallischem Kupfer und diente bei den hier vorgestellten Arbeiten zur Extraktion des Selens aus der Spaltproduktlösung. Zum anderen wurde das 79Se zum Abschluss der Prozedur sublimiert. Durch diese Arbeiten gelang es schließlich, eine 79Se-Lösung mit sehr hoher radiochemischer Reinheit zu erhalten, welche für die anschließenden Messungen essentiell ist.

Die Halbwertszeit lässt sich aus der Anzahl der 79Se-Kerne und der Aktivität berechnen. Die Anzahl der 79Se-Kerne wiederum ergibt sich aus der Anzahl der enthaltenen Selenatome, welche durch Inductively Coupled Plasma Optical Emission Spectrometry (ICP-OES) ermittelt wurde, sowie der Isotopenzusammensetzung des Selens. Letztere wurde durch ein Massenspektrometrie-Verfahren bestimmt, das als Hydride Generation Multicollector Inductively Coupled Plasma Mass Spectrometry (HG-MC-ICP-MS) bezeichnet wird.

Die Aktivität wurde in der PTB mit Hilfe der Flüssigszintillationszählung gemessen, wobei die Nachweiswahrscheinlichkeit mit einem Efficiency-Tracing -Verfahren ermittelt wurde [2]. Für reine Betastrahler wie 79Se ermöglicht diese Methode Aktivitätsbestimmungen mit kleinen Unsicherheiten und ist selbst für Messungen von wenigen Becquerel noch gut geeignet. Durch eine Variation der Nachweiswahrscheinlichkeit konnten Informationen zur Parametrisierung des Betaspektrums gewonnen werden.

Die bestimmte Halbwertszeit aus dem neuen Experiment ist T½ = (3,27±0,08)•105 Jahre [1]. Sie weicht deutlich von dem kürzlich von einer französischen Forschergruppe veröffentlichten Wert von T½ = (3,77±0,19)•105 Jahre [3] ab. Die Ursache für die Diskrepanz konnte bisher nicht geklärt werden. Möglicherweise spielen substantielle Radionuklidverunreinigungen, die im Probenmaterial der französischen Gruppe nachgewiesen wurden, eine Rolle.

Die nachstehende Abbildung zeigt eine Zusammenstellung experimentell bestimmter Werte der Halbwertszeit von 79Se. Offenbar befindet sich die Wissenschaft auf gutem Wege, die experimentellen Methoden zu verfeinern, die Unsicherheit des Ergebnisses zu verkleinern und den Parameter Halbwertszeit für 79Se zunehmend verlässlicher angeben zu können.

Abbildung : Daten zur Halbwertszeit T½ von 79Se, wie sie in jüngerer Vergangenheit publiziert wurden. Die senkrechten Balken repräsentieren die Standardmessunsicherheit der jeweiligen Werte.

Um genauere Messungen des Betaspektrums mit Hilfe von kryogenen Magnetkalorimetern zu ermöglichen, wurde einer ebenfalls französischen Forschergruppe 79Se-Material zur Verfügung gestellt. Für 79Se konnten solche Messungen bisher nicht verwirklicht werden, die Forscher betreten hier Neuland. Sollten die Messungen gelingen, so könnte die Unsicherheit der Aktivitätsbestimmung und damit auch die der Halbwertszeit noch weiter reduziert werden.

Literatur

  1. Jörg, G., Bühnemann, R., Hollas, S., Kivel, N., Kossert, K., Van Winckel, S., Lierse v. Gostomski, Ch.:
    Preparation of radiochemically pure 79Se and highly precise determination of its half-life.
    Applied Radiation and Isotopes 68 (2010) 2339-2351.
  2. Broda, R., Cassette, Ph., Kossert, K.:
    Radionuclide Metrology using Liquid Scintillation Counting.
    Metrologia 44 (2007) S36-S52.
  3. Bienvenu, Ph., Cassette, Ph., Andreoletti, G., Bé, M., Comte, J., Lépy, M.:
    A new determination of 79Se half-life.
    Applied Radiation and Isotopes 65 (2007) 355-364.

Kontakt

Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Dr. Dr. Jens Simon

Telefon: (0531) 592-3005
E-Mail:
jens.simon(at)ptb.de

Anschrift

Physikalisch-Technische Bundesanstalt
Bundesallee 100
38116 Braunschweig