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Dosimetrie mit ESR/Alanin: Von der Metrologie zur Therapie?

Kategorien:
  • Metrologie für die Gesellschaft
09.08.2007

Für den Nachweis freier Radikale, u.a. für die industrielle Dosimetrie (Produktbestrahlungen), wird von der Bruker Biospin GmbH ein kompaktes Elektronen-Spin-Resonanz-Spektrometer hergestellt, das sogenannte e-scan. Ein solches ESR-Spektrometer wurde im Herbst 2006 von der PTB beschafft. Es sollte untersucht werden, ob dieses Gerät, ggf. nach Modifikationen, in der Dosimetrie für die Strahlentherapie eingesetzt werden kann.

Im Gegensatz zu dem für das Sekundärnormal-Messverfahren verwendeten ESR-Spektrometer vom Typ EMX wird beim e-scan das Magnetfeld im Wesentlichen durch Permanentmagnete erzeugt, sodass der Messbereich auf g ≈ 2 eingeschränkt ist, das Gerät aber dafür keine Wasserkühlung benötigt und als Standfläche lediglich eine halbe Schreibtischoberfläche beansprucht. Im e-scan Spektrometer wird die ESR- Amplitude der zu untersuchenden Substanz relativ zur Amplitude der Referenzsubstanz bestimmt. Diese Methode war für das Sekundärnormal-Messsystem der PTB übernommen worden, wobei die Amplituden selbst an der PTB nicht durch Bestimmung des peak-to-peak-Abstandes erfolgt, wie allgemein üblich, sondern durch ein Fit-Verfahren, welches auf Arbeiten des NPL basiert und an der PTB weiterentwickelt worden war.

Die Menge der in den lieferbaren Probenhaltern des e-scan Spektrometers enthaltenen Referenzsubstanz ist an die Anforderungen der Industriedosimetrie angepasst (Messbereich 20 Gy bis einige 104 Gy). An der PTB wurde daher ein modifizierter Halter mit einer geringeren Menge der Referenzsubstanz eingebaut. Der damit zugängliche Messbereich ist 10 Gy bis 50 Gy, sodass der therapeutische Bereich (1Gy - 10 Gy) gerade erreicht wird.

In Versuchsreihen wurden geeignete Messparameter ermittelt, die einen Kompromiss zwischen den Anforderungen an die erreichbare Unsicherheit und den Anforderungen der klinischen Praxis darstellen. Letztere wurden in Zusammenarbeit mit der Strahlentherapieabteilung der Universitätsklinik Göttingen und dem Ziekenhuis Middelheim Antwerpen ermittelt. Anschließend wurden die mit dem Gerät erreichbaren Unsicherheiten bestimmt. Die Verfahren, die in [1] ausführlich dargelegt sind, wurden an das e-scan angepasst. Alanin-Sonden der beiden zur Zeit am Markt befindlichen Hersteller (Harwell aus Großbritannien und GammaService aus Deutschland) wurden verglichen.

Die Unsicherheit, die mit dem PTB-Auswerteverfahren erreicht wird, ist ca. 40% geringer als bei Anwendung der werkseitig installierten peak-to-peak Amplitudenbestimmung. Die Unsicherheit resultiert im wesentlichen aus der Streuung der ESR-Amplitudenwerte, alle weiteren Unsicherheitsbeiträge spielen beim e-scan nur eine untergeordnete Rolle (anders als beim EMX, siehe [1]). Die im genannten Messbereich nahezu dosisunabhängige Reproduzierbarkeit der dosisnormierten Amplitude AD (siehe [1]) kann mit 120 mGy (GammaService) bzw. 150 mGy (Harwell) angegeben werden. Zum Vergleich: mit dem EMX werden 20 mGy erreicht. Das Verhältnis zwischen EMX und e-scan reflektiert nach Herstellerangaben das Verhältnis der erreichbaren Signal-Rausch-Verhältnisse.

Die relative Unsicherheit ur(D) der ermittelten Dosis bei Verwendung von 4 Sonden je Dosis und tagesaktueller Kalibriergeraden (je 4 Sonden bei 10, 20, 30, 40 und 50 Gy) beträgt für GammaService-Sonden ca. 1% bei 10 Gy und 0,5% bei D > 20 Gy. Für Harwell ergeben sich etwas höhere Werte. Bei Verwendung einer nicht-tagesaktuellen Kalibriergeraden erhöhen sich die Unsicherheiten am unteren Ende des Messbereichs um bis zu 50%, während am oberen Ende des Messbereichs kaum Änderungen beobachtet werden. Die Unsicherheiten schließen die Unsicherheit des Primärnormals nicht ein.

Auch ohne Eingriffe in die Hardware erscheint damit das e-scan Spektrometer geeignet für Dosismessaufgaben im klinischen Umfeld. Auch wenn in-vivo Messungen bei einzelnen Fraktionen von therapeutischen Bestrahlungen nicht in Frage kommen (D ≈2 Gy), könnte das Gerät für Aufgaben in der Qualitätssicherung verwendet werden, wobei das von der PTB entwickelte Messverfahren zum Einsatz kommen sollte. Der Zeitbedarf für die tagesaktuelle Kalibrierung ist dabei ca. 1 h, jeder zu messende Dosiswert ist (bei 4 Sonden je Dosis) mit ca. 8 min zu veranschlagen. Bei Verwendung nur einer Sonde anstelle von 4 verdoppeln sich die Unsicherheiten.

Ferner gelten zur Zeit noch Einschränkungen bezüglich des Messablaufs: um geringstmögliche Unsicherheiten zu erreichen, sollte eine bestimmte Reihenfolge bei der Messung eingehalten werden. Besonders wichtig ist dabei, Kalibrier- und Testsonden möglichst zeitnah zu messen. Bei Untersuchungen zur Stabilität über einen Tag wurden Driften beobachtet, die ansonsten die relative Unsicherheit um ca. 0.5% - 1% erhöhen können. Diese Verschiebungen können mit einer Änderung des Untergrundes durch die sog. base-line-drift in Verbindung gebracht werden. Trotz großer Anstrengungen ist es bisher nicht gelungen, den Einfluss dieser Verschiebungen mittels Datenanalyseverfahren zu eliminieren.

Fortschritte werden zur Zeit von einer Temperaturstabilisierung des Resonators erhofft. Verbesserungen im Signal-Rausch-Verhältnis wären ebenso wünschenswert, können aber nur durch Entwicklungsarbeit des Herstellers erreicht werden.

Dennoch erscheint die Anwendung von Alanin/ESR in der Klinik als Alternative zur Thermolumineszenzdosimetrie (TLD) nach dem vorläufigen Ergebnis durchaus bedenkenswert: wesentliche Vorteile sind die nichtlöschende Auswertung, die einfachere Handhabung (keine Vor- und Nachbehandlung der Sonden) und die äußerst geringe Abhängigkeit des Ansprechvermögens von der Strahlungsqualität. Bei typischen Dosisleistungen von ca. 2-3 Gy/min bei klinischen Beschleunigern ist die gegenüber TLD geringfügig höhere Bestrahlungsdauer kein triftiges Argument gegen Alanin/ESR, da alle übrigen Arbeiten, die bei beiden Dosismesssystemen gleichermaßen anfallen würden, (Einrichtung des Phantoms, Positionierung der Sonden etc.) wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Bestrahlung als solche. Die Kosten für die Anschaffung eines e-scan Spektrometers sind mit den Kosten für ein TLD-Lesegerät vergleichbar.

Literatur:

  1. Anton, M.:
    Uncertainties in alanine/ESR dosimetry at PTB;
    Phys. Med. Biol. 51 S. 5419-5440 (2006)

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