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Kalibrierung von Kraft-Vektoraufnehmern mit geringsten Unsicherheiten

Kategorien:
  • Metrologie für die Wirtschaft
17.07.2007

Mit bisherigen Präzisionskraftaufnehmern wird die Kraft in einer durch die Aufnehmerbauform vorgegebenen Achse gemessen. In den letzten Jahren stieg jedoch die Nachfrage nach Kraftaufnehmern, die in allen räumlichen Achsen mit ähnlicher Präzision arbeiten (Kraft-Vektoraufnehmer). Zusätzlich sollen Drehmomente in den verschiedenen Achsen gemessen werden. In einem Forschungsvorhaben mit einem Industriepartner sollen nun entsprechende Aufnehmer und - in der PTB - entsprechende Kalibrierverfahren entwickelt werden.

Kraft- und Drehmomentaufnehmer werden heute in einer Vielzahl von Bauformen mit verschiedensten Unsicherheiten und Klasseneinteilungen auf dem Markt angeboten. Ihnen ist jedoch gemeinsam, dass die Kraft oder das Moment immer nur entlang einer vorgegebenen Achse als skalare Dimension der vektoriellen Größe gemessen wird. In vielen Anwendungsfällen wird jedoch eine präzise Aussage über die Kräfte und Drehmomente im Raum benötigt. So wird z.B. bei der Flugzeugentwicklung ein Messsystem benötigt, welches in Windkanaltests in mehreren Kraftrichtungen die aus der Auftriebskraft und dem Luftwiderstand des Modells resultierenden Kräfte und auch Momente misst. Sowohl die Anfragen bei der PTB als auch das starke Interesse bei dem Projektpartner zeigen, dass die derzeit von der Industrie angebotenen, von herkömmlichen Ausführungsformen abgeleiteten Aufnehmer entweder bezüglich der Messunsicherheit nicht allen Kundenansprüchen genügen oder als komplexes System zu groß sind.
Deshalb wurde an der PTB zusammen mit dem Industriepartner GTM GmbH das von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AIF) geförderte „PRO INNO II“-Projekt „Darstellung und Messung von Kräften mittels vektorieller Kraftsensoren“ gestartet. Es soll ein Aufnehmer und ein Verfahren entwickelt werden, womit alle räumlichen Komponenten des Kraftvektors mit sehr geringer Messunsicherheit erfasst und der Anschluss an die nationalen Normale der PTB realisiert werden kann.

Im bisherigen Verlauf des Projektes wurde ein Prototyp des neuen Aufnehmers entwickelt und gefertigt. Er besteht aus einem Präzisionskraftaufnehmer zur Messung der skalaren Kraftkomponente, der auf einem so genannten Vektorsensor zur Bestimmung der Kraftwirkungslinie montiert ist. Ein komplexes mechanisches System im Inneren des Vektorsensors ermöglicht das präzise Messen der einzelnen richtungsgebundenen Anteile. Das geringe, nahezu lineare Übersprechen kann dabei mittels eines Messrechners leicht kompensiert werden. Derzeitig werden mit dem Prototypen neue Kalibrierverfahren entwickelt und untersucht. Ziel dabei ist, die geforderte Klasse 00 nach der DIN EN ISO 376 zu erreichen und den Vektorsensor an die nationalen Kraft- und Drehmomentnormale anzuschließen.

Die Kraft- und Drehmoment-Normalmesseinrichtungen erzeugen Kräfte und Momente im Idealfall nur einer vorgegebenen Richtung. Um Kraft- und Momentvektoren in verschiedenen Richtungen zur Kalibrierung zu erzeugen, sind spezielle Hilfsvorrichtungen zur Darstellung veränderlicher Belastungsrichtungen notwendig. Dazu wurde der in Bild 1 dargestellte Kalibrierkörper entwickelt.

Kraft-Vektorsensor montiert in der Kugelkalibrierkörpervorrichtung

Bild 1: Kraft-Vektorsensor montiert in der Kugelkalibrierkörpervorrichtung

Der Aufbau besteht aus kugelförmigen Lagerschalen, in denen der montierte Aufnehmer gedreht werden kann. Damit können durch die verschiedenen Einbaulagen unterschiedliche Kraftrichtungen relativ zu der Aufnehmerachse dargestellt werden. Biegemomente werden mit dem Kalibrierkörper durch eine außerzentrische Montage in der Kraft-Normalmesseinrichtung realisiert. Das Konzept des Kalibrierkörpers wurde in umfangreichen numerischen Simulationen untersucht. Dazu wurden die Einflüsse der Fertigungstoleranzen bestimmt und in der Fertigung berücksichtigt.

Probleme bereiteten zunächst die Bohrungen zur Aufnehmermontage auf dem Kugelabschnittkörper. Das dadurch inhomogene Dehnungsfeld führte zu einer ungleichmäßigen Krafteinleitung in den Vektorsensor. Durch eine optimierte konstruktive Auslegung konnte dieser Effekt auf einen vernachlässigbar kleinen Einfluss reduziert werden. Der Kugelkalibrierkörper ist so aufgebaut, dass das Zentrum des Vektorsensors als Bezugspunkt des Kraftvektors bei der Rotation immer im Mittelpunkt bleibt. Dazu wurde als Lasteinleitungspunkt oben ein spezieller Kugelkopf konstruiert.

Zusätzlich soll der Vektorsensor in der 100-kN-Kraft-Normalmesseinrichtung (K-NME) mittels einer weiteren, allerdings aufwendigeren Kalibriervorrichtung durch das Einleiten von bekannten Querkräften und Biegemomenten untersucht werden. Dazu wurde für diese Messeinrichtung ein entsprechender Lastrahmen mit verschiedenen Belastungsmöglichkeiten gefertigt. Auf dem Aufnehmer wird ein spezieller Lasteinleitungsbalken montiert, der über einen an der 100-kN-K-NME zu montierenden Lastrahmen mit verschiedenen Querkräften und Biegemomenten beaufschlagt wird. Diese können sowohl durch ein kleines Lastgehänge als auch durch einen mittels eines Präzisionskraftaufnehmers gesteuerten Antrieb erzeugt werden. Bild 2 zeigt eine Computerdarstellung dieses Aufbaus.

Lasteinleitungsrahmen mit Vorrichtungen zur Krafterzeugung

Bild 2: Lasteinleitungsrahmen mit Vorrichtungen zur Krafterzeugung

Der Lastrahmen besteht aus vier Aluminium-Profilstangen. Auf einer verfahrbaren Querbrücke können auf einem Schienensystem unterschiedliche Vorrichtungen zur hochgenauen Erzeugung von Kräften montiert und exakt ausgerichtet werden. In Bild 2 ist links ein mechanisches System zur Krafterzeugung mittels einer Spindel und eines Präzisionsaufnehmers zu sehen. Die Spindel wird mittels eines Handantriebes oder eins gesteuerten elektrischen Antriebes so verfahren, dass auf das Lasteinleitungsstück eine Kraft wirkt. Die Kraft als Stellgröße wird mit einem Präzisionskraftaufnehmer gemessen. Rechts daneben befindet sich ein bezüglich der Reibung optimiertes Umlenksystem, an dem ein kleines Direktbelastungsgehänge angebracht wird. Das Gehänge mit einer bekannten Masse erzeugt durch die Erdanziehung eine Gewichtskraft. Beide Verfahren werden gegeneinander und bezüglich ihrer Unsicherheiten verglichen. Ziel dieser zweiten Kalibriermöglichkeit ist, den eigentlich einfacheren und in der späteren Kundenkalibrierung einzusetzenden Kugelkalibrierkörper zu überprüfen und durch weitere statistische Stützpunkte in der Prototypenkalibrierung eine geringe Unsicherheit zu erzielen.

Vor diesem Hintergrund wird der Vektorsensor auch in einer dritten Einrichtung untersucht. In der PTB wurde in den vergangenen Jahren erstmals eine Mehrkomponenten-Referenzmesseinrichtung aufgebaut und in Betrieb genommen (Bild 3). Diese Messeinrichtung erreicht in der Kraft- und Momenterzeugung zwar nicht die Genauigkeiten der PTB-Normalmesseinrichtungen, bietet aber durch die Vermeidung jeglicher Montagevorgänge bei der Belastung mit unterschiedlichen Kraft- und Momentvektoren den Vorteil, dass das Verhalten des Sensors ohne zusätzliche Unsicherheitsbeiträge untersucht werden kann.

Vektorsensor montiert in der Mehrkomponenten-Referenzmesseinrichtung

Bild 3: Vektorsensor montiert in der Mehrkomponenten-Referenzmesseinrichtung

Der Messcomputer führt automatisch die Umrechnung der einzelnen Messsignale des Vektorsensors in die sechs möglichen, räumlichen Kraft- und Momentenkomponenten durch. Er erlaubt auch eine Transformation des Kraftvektors von dem Bezugspunkt im Mittelpunkt des Aufnehmers an jeden beliebigen räumlichen Punkt.

Ziel des an der PTB durchgeführten Projektes ist auch die Erstellung eines Unsicherheitsmodells für die gesamte Messkette des Vektorsensors, in das eben auch die Unsicherheit des mathematischen Modells zur Auswertung einfließt. Um die Unsicherheit der Kalibrierung möglichst gering zu halten, sollen die drei Kalibrierverfahren zur gegenseitigen Verifizierung genutzt werden. Die Erforschung dieser Verfahren ist eine vielfältige Herausforderung. Viele Problemstellungen können mit vorhandenen Lösungen nicht befriedigend erfüllt werden. So werden z.B. an die exakte Ausrichtung wesentlich höhere Anforderungen gestellt als bei herkömmlichen Kraftkalibrierungen.
Auch sind mögliche, wenn auch sehr geringe Störkomponenten – also Querkräfte – in den Messeinrichtungen problematisch. So nimmt der Aufnehmer geringste Schwingungen der Massestapel wahr. Dazu werden mathematische Lösungen entwickelt, die diesen Unsicherheitsbeitrag eliminieren sollen. Eine einfache Dämpfung ist hier nicht geeignet, wenn sich eine optisch nicht sichtbare axiale Schwingung mit 0,05 Hz der 10 t schweren Massestapel (1,5 m Durchmesser) um die Lastknopfachse ausbildet.

Die Erforschung der Kalibrierverfahren und die mathematische Beschreibung des Unsicherheitsmodells geschehen in Interaktion mit der Entwicklung des eigentlichen Sensors durch den Hersteller. Dazu werden an der PTB auch numerische Simulationen durchgeführt. Die Ergebnisse gehen fortlaufend in die Entwicklung neuer Prototypen ein. Die Zielstellung ist dabei, bis zum Ende des Jahres 2008 dem Anwender einen leistungsfähigen Sensor zur Verfügung zu stellen, der als Transfernormal an der PTB kalibriert werden kann.

Ansprechpartner:

Sara Lietz, FB 1.2, AG 1.21 e-mail: Sara.Lietz@ptb.de
Falk Tegtmeier, FB 1.2, AG 1.21, e-mail: Falk.Tegtmeier@ptb.de

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