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Messung von Wirkungsquerschnitten für die elastische und inelastische Streuung von Neutronen an Blei, Bismut und Tantal im Energiebereich von 2 MeV bis 4 MeV unter Verwendung der 15N(p,n)-Reaktion als Neutronenquelle

29.09.2008

In den letzten 20 Jahren wurden am PTB-Flugzeitspektrometer Wirkungsquerschnitte für die elastische und inelastische Streuung von Neutronen mit hoher Genauigkeit für eine Vielzahl von Elementen bestimmt. Mit der D(d,n)-Reaktion, die bisher bei diesen Experimenten eingesetzt wurde, sind Neutronen im Energiebereich von 6 MeV bis 15 MeV verfügbar. Mit der 15N(p,n)-Reaktion steht nun eine Quelle für monoenergetische Neutronen zur Verfügung, mit der die Bestimmung von Wirkungsquerschnitten unterhalb von 6 MeV Einschussenergie möglich ist. In 2008 wurde die Auswertung der im Rahmen der Doktorarbeit von E. Pönitz durchgeführten Messungen der elastischen und inelastischen Streuung an natPb, 209Bi und 181Ta abgeschlossen. Blei und Bismut sind Kandidaten für Spallationsneutronenquellen und Kühlmittel in beschleunigergetriebenen unterkritischen Reaktoren für die Transmutation von abgebrannten Kernbrennstoffen. Tantal ist ebenfalls ein Kandidat für Spallationstargets sowie ein Legierungsbestandteil für Strukturmaterialien für den Fusionsreaktor ITER. Für diese Materialien werden verlässliche Wirkungsquerschnittsdaten benötigt. Insbesondere der Neutronentransport in Spallationstargets hängt stark von den inelastischen Streuquerschnitten im Energiebereich von 1 MeV bis 4 MeV ab.

Die Bestimmung der differentiellen Wirkungsquerschnitte erfolgt durch den Nachweis der elastisch und inelastisch gestreuten Neutronen mit der Flugzeitmethode und die Simulation der Flugzeitspektren mit dem Monte-Carlo-Code STREUER. Die in der Simulation verwendeten Wirkungsquerschnitte, die meist aus der Kerndatenbibliothek ENDF/B-VI stammen, werden solange iterativ verbessert, bis eine möglichst gute Übereinstimmung zwischen Rechnung und Experiment erzielt wird. Die realistische Simulation der Flugzeitspektren sowie die genaue Kenntnis der in der PTB detailliert untersuchten Detektoreigenschaften ermöglicht eine Bestimmung von Streuquerschnitten mit hoher Präzision. Abbildung 1 zeigt ein mit einer Bleiprobe natürlicher Isotopenzusammensetzung gemessenes Flugzeitspektrum (rot) sowie gerechnete Spektren zum Vergleich. Neben dem kompletten Flugzeitspektrum (schwarz) können auch Teilspektren für die einzelnen Isotope und Niveaus (blau) berechnet werden. Dadurch ist eine separate Bestimmung der inelastischen Streuquerschnitte auch bei nicht vollständig getrennten Flugzeitpeaks möglich.

Abbildung 1 : Flugzeitspektrum der an einer Bleiprobe mit natürlicher Isotopenzusammensetzung gestreuten Neutronen. Das rote Histogramm zeigt die experimentellen Daten und das schwarze das Ergebnis der Monte-Carlo Simulation mit iterativ verbesserten Wirkungsquerschnitten. Die blauen Histogramme zeigen die berechneten Flugzeitspektren für die unter Anregung der einzelnen Energiezustände inelastisch gestreuten Neutronen.

Integrale Streuquerschnitte werden durch einen Legendre-Polynomfit an die differentiellen Wirkungsquerschnitte bestimmt. Abbildung 2 zeigt die Wirkungsquerschnitte für die inelastische Streuung mit Anregung des 1. Niveaus sowie die aus Kerndatenbibliotheken und anderen Experimenten zum Vergleich. Es ist eine sehr gute Übereinstimmung mit den Daten von Ramström et al. (AE1975) erkennbar. Der Vergleich mit den Daten von Smith et al. (ANL1969) zeigt eine gute Übereinstimmung bei 4 MeV, aber eine Abweichung bei 2,71 MeV Neutronenenergie. Die im Rahmen dieser Arbeit erzielten Unsicherheiten sind deutlich kleiner als bei den früheren Experimenten und teilweise sogar kleiner als die einer kürzlich am IRMM in Geel/Belgien durchgeführten Präzisionsmessung von Mihailescu et al. (IRMM 2008). Die Ursache für die Diskrepanzen konnten bisher nicht geklärt werden, liegt aber möglicherweise in den unterschiedlichen Messverfahren. Im Experiment von Mihailescu et al. erfolgte die Bestimmung der Wirkungsquerschnitte durch den Nachweis der Photonen, die von den angeregten Kernen emittiert werden, was insbesondere bei steigenden Energien eine genaue Kenntnis der Gamma-Kaskaden erfordert.

Abbildung 2 : Winkelintegrierter inelastischer Streuwirkungsquerschnitt für den ersten Anregungszustand von 209Bi. Die Symbole zeigen die Ergebnisse von Messungen, bei denen Wirkungsquerschnitte durch den Nachweis der gestreuten Neutronen bestimmt wurden. Das Histogramm (IRMM 2008) zeigt eine Messung, bei der das nach einer inelastischen Streuung emittierte Photon nachgewiesen und der inelastische Streuquerschnitt aus dem Photoemissionsquerschnitt mit kernphysikalischen Modellen berechnet wurde. Die Linien sind Wirkungsquerschnitte aus Kerndatenbibliotheken.

Die in der PTB bestimmten Daten tragen erheblich zur Verbesserung der experimentellen Datenlage bei und ermöglichen einen Vergleich der mit verschiedenen Messmethoden bestimmten Wirkungsquerschnitte. Zudem erlauben sie die Verifizierung und Verbesserung der auf kernphysikalischen Modellrechnungen beruhenden Kerndatenbibliotheken.