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Untersuchungen zur Relativen Biologischen Wirksamkeit hochenergetischer Photonenstrahlung

09.08.2007

Bei der Bestrahlung biologischen Gewebes mit ionisierender Strahlung hängt die biologische Wirksamkeit (d.h. die Art und Anzahl der in den Zellen erzeugten Strahlenschäden) u.a. von der Art und Energie der Strahlung (d.h. der Strahlungsqualität) ab. Zum Vergleich der biologischen Wirkungen von Strahlung unterschiedlicher Qualitäten wird die Relative Biologische Wirksamkeit (RBW) angegeben. Diese stellt das Verhältnis zwischen den bei gleicher Dosis erzeugten biologischen Wirkungen der interessierenden Strahlungsqualität und einer Referenzstrahlungsqualität dar.

In den zurückliegenden Jahren wurde in Zusammenarbeit der PTB mit dem Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF), dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und der Ludwigs-Maximilians-Universität München die RBW von Photonenstrahlung im Energiebereich von 3 keV bis 16 MeV systematisch erforscht [1,2,3,4,5]. Der interessierende biologische Endpunkt war dabei das Auftreten dizentrischer Chromosomen in menschlichen Lymphozyten (siehe Abbildung 1). Zur Bestimmung der RBW wurden verschiedene Blutproben, die stets von demselben Spender stammten, bei verschiedenen Strahlungsqualitäten mit bekannten Dosen bestrahlt; die Dosimetrie war hierbei durchgehend rückführbar auf die Primärnormale der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Anschließend wurde die Häufigkeit des Auftretens dizentrischer Chromosomen in menschlichen Lymphozyten bestimmt1).

Abbildung 1 : Menschlicher Lymphozyt im ersten Zellteilungszyklus in vitro (Pfeil zeigt auf ein dizentrisches Chromosom).

Die aus diesen Experimenten erhaltene Abhängigkeit der RBW von der mittleren Energie der Photonenstrahlung ist in Abbildung 2 dargestellt (rote Punkte); als Referenzstrahlung wurde 60Co-Gammastrahlung gewählt. Während der Verlauf der RBW für Photonenstrahlung mit Energien kleiner als ca. 1 MeV (unterhalb 60Co-Gammastrahlung) bereits länger bekannt und akzeptiert ist, wurde bei höheren Energien ein unerwarteter Anstieg der RBW (auf etwa den Wert 2) beobachtet. Da Photonenstrahlung mit Energien oberhalb von 1 MeV in der Strahlentherapie zur Behandlung von Tumorerkrankungen eingesetzt wird, sind die gewonnenen Erkenntnisse über die RBW solcher Strahlung z.B. für die Beurteilung möglicher Spätschäden in der Strahlentherapie von Bedeutung; sie können möglicherweise auch das Therapieschema beeinflussen.

Abbildung 2 : Relative Biologische Wirksamkeit von Photonenstrahlung in Abhängigkeit von der mittleren Photonenenergie. Neben den experimentell erhaltenen Ergebnissen ist auch die durch Monte-Carlo-Simulation berechnete spektrale Fluenz der Sekundärelektronen mit einer Energie von 4 keV dargestellt. Die Kreissymbole bezeichnen dabei Ergebnisse, die ausgehend von monoenergetischen Photonen erhalten wurden, bei den Sternen wurden reale Spektren zu Grunde gelegt.

In einem ersten Versuch, die experimentell erhaltene Energieabhängigkeit der RBW zu erklären, wurde mit dem Monte-Carlo-Simulationsprogramm EGSnrc [6] der Strahlungstransport bei den Blutbestrahlungen simuliert und es wurden verschiedene, experimentell nicht ohne Weiteres zugängliche Parameter berechnet. Dabei zeigte sich, dass die RBW von Photonenstrahlung mit Energien unterhalb der von 60Co sehr gut mit der spektralen Fluenz der erzeugten niederenergetischen Sekundärelektronen korreliert ist. In Abbildung 2 ist - zusätzlich zu der experimentell erhaltenen RBW - die berechnete relative Fluenz von Sekundärelektronen mit einer Energie von 4 keV dargestellt (normiert auf die Fluenz bei 60Co). Die Monte-Carlo-Rechnungen wurden (im Gegensatz zu den Experimenten) in den meisten Fällen mit monoenergetischer Photonenstrahlung durchgeführt (Kreissymbole in Abbildung 2), zum Teil wurden die Rechnungen mit den tatsächlichen Spektren der im Experiment verwendeten Photonenstrahlung wiederholt (Sterne in Abbildung 2) - die erhaltenen Ergebnisse werden davon jedoch nicht beeinflusst.

Aus der Abbildung ist ersichtlich, dass die relative spektrale Fluenz der niederenergetischen Sekundärelektronen den Verlauf der RBW für Photonenenergien kleiner als 1 MeV sehr gut beschreibt. Der Anstieg der RBW bei höheren Energien wird von den Monte-Carlo-Rechnungen jedoch bislang noch nicht wiedergegeben. Die Ursache hierfür ist nicht bekannt; eventuell spielen hier andere Wirkungsmechanismen eine Rolle. Zur Erklärung der Ursache des Anstieges der RBW bei Energien oberhalb von 1 MeV werden weitere Untersuchungen durchgeführt.

Literatur

  1. Bauchinger, M., Schmid, E., Streng, S., Dresp, J.:
    Quantitative analysis of the chromosome damage at first division of human lymphocytes after 60Co γ-irradiation.
    Radiat. Environ. Biophys. 22 (1983), 225-229
  2. Schmid, E., Bauchinger, M., Streng, S., Nahrstedt, U.:
    The effect of 220 kV X-rays with different spectra on the dose response of chromosome abberrations in human lymphocytes.
    Radiat. Environ. Biophys. 23 (1984), 305-309
  3. Schmid, E., Regulla, D., Guldbakke, S., Schlegel, D., Roos, M.:
    Relative biological effectiveness of 144 keV neutrons in producing dicentric chromosomes in human lymphocytes compared with 60Co γ-rays under head-to-head conditions.
    Radiat. Res. 157 (2002), 453-460
  4. Schmid, E., Regulla, D., Kramer, H.M., Harder, D.:
    The effect of 29 kV X rays on the dose response of chromosome aberrations in human lymphocytes.
    Radiat. Res. 158 (2002), 771-777
  5. Schmid, E., Krumrey, M., Ulm, G., Roos, H., Regulla, D.:
    The maximum low-dose RBE of 17.4 and 40 keV monochromatic X rays for the induction of dicentric chromosomes in human peripheral lymphocytes.
    Radiat. Res. 160 (2003), 499-504
  6. Kawrakow, I.:
    Accurate condensed history Monte Carlo simulation of electron transport. I. EGSnrc, the new EGS4 version.
    Med. Phys. 27 (2000), 485-498

1) Die biologischen Untersuchungen wurden im Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit durchgeführt.