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Hintergrundinformation im Bereich Brachytherapie

Dosimetrie für die Brachytherapie

Die Brachytherapie (griechisch brachys = nah) ist eine Methode der Strahlentherapie, bei der eine oder mehrere kleine Strahlungsquellen, fast ausschließlich Radionuklidquellen, sehr nahe, in Kontakt zum oder direkt in den Tumor platziert werden. Die Brachytherapie geht auf das Jahr 1901 zurück. Schon kurz nach der Entdeckung der Radioaktivität durch Becquerel 1896 versuchte man radioaktive Quellen in einen Tumor einzuführen und stellte fest, dass die Strahlung den Tumor schrumpfen ließ [1]. Im frühen 20. Jahrhundert wurden neue Anwendungstechniken mit Radium durch Danlos am Curie-Institut in Paris und durch Robert Abbe am Memorial Hospital in New York entwickelt [2, 3]. Nach dem anfänglichen Interesse an der Brachytherapie in Europa und in den USA ging ihre Anwendung in der Mitte des 20. Jahrhunderts zurück. Grund war die manuelle Handhabung der Quellen und die damit verbundene Strahlenexposition für das medizinische Personal.

Die Entwicklung ferngesteuerter Nachlade-Systemen (Afterloading) und neuer Brachytherapie-Quellen in den 1950er- und 1960er-Jahren verbesserten deutlich die Handhabung und den Strahlenschutz. Dies und Neuentwicklungen bei den dreidimensionalen Bildgebungsverfahren und der automatisierten Behandlungsplanung sowie Weiterentwicklungen der Afterloading-Geräten haben die Brachytherapie heute zu einer sicheren und wirksamen Behandlungsform für viele Krebsarten gemacht. Häufig wird sie für Krebserkrankungen des Gebärmutterhalses, der Prostata, der Brust und der Haut eingesetzt.

Die Brachytherapie kann allein oder in Verbindung mit anderen Therapieformen, z. B. Chirurgie, externe Strahlentherapie und Chemotherapie, eingesetzt werden. Studien belegen, dass die Heilungsraten für Krebs bei der Brachytherapie vergleichbar sind mit denen einer Operation oder externen Strahlentherapie [4]. Das Nebenwirkungsrisiko bei der Brachytherapie ist jedoch deutlich geringer [7].

Die Strahlungsquelle kann bei dieser Behandlungsmethode sehr unterschiedlich sein: radioaktive Beta-, Gamma- und Röntgenstrahler sowie in jüngster Zeit auch miniaturisierte Röntgenröhren. Seit den ersten strahlentherapeutischen Anwendungen haben sich folgende Radionuklide im klinischen Einsatz etabliert.

RadionuklidStrahlungHalbwertzeitmax. Energiemittl. Energie
Caesium-137Photonenstrahlung30,17 Jahre661 keV614 keV
Cobalt-60Photonenstrahlung5,26 Jahre1,33 MeV1,253 MeV
Iridium-192Photonenstrahlung74,0 Tage612 keV371 keV
Jod-125Photonenstrahlung59,6 Tage35,5 keV28 keV
Palladium-103Photonenstrahlung17,0 Tage23,2 keV21 keV
Ruthenium-106Beta-Strahlung1,02 Jahre3,54 MeV

Tabelle 1: Eigenschaften der überwiegend in der klinischen Brachytherapie angewandten Radionuklide [5, 6].

In der Regel werden radioaktive Brachytherapiequellen als kleine zylindrische Quellen mit einer Länge von bis zu 0,5 cm, sog. Seeds, gebaut. Das radioaktive Material wird üblicherweise mit einer Titanhülle umschlossen. Der innere Aufbau der Quellen ist Hersteller- und typspezifisch. Die Quellen werden in die beiden Kategorien Hoch- und Niedrigdosisleistungsquellen eingeordnet.

Als Hochdosisleistungsquellen (HDR-Quellen) bezeichnet man Quellen, die in 1 cm Wasser eine Dosisleistung von mehr als 12 Gy/h liefern. In diesem Bereich hat sich 192Ir als Quellenmaterial durchgesetzt. In jüngster Zeit erlebt 60Co eine Renaissance. Sein Einsatz bietet aufgrund seiner längeren Lebensdauer wirtschaftliche Vorteile. Es sind aber deutlich höhere Strahlenschutzvorkehrungen als bei der Verwendung von Ir-192 Quellen erforderlich. Als Niedrigdosisleistungsquellen (LDR-Quellen) bezeichnet man Quellen, die in 1 cm Wasser eine Dosisleistung von weniger als 2 Gy/h liefern. Sie werden permanent oder zeitlich begrenzt im Tumor implantiert. Überwiegend kommen 125I- und 103Pd-Seeds zum Einsatz.

Ein wesentlicher Vorteil der Brachytherapie ist, dass aufgrund der Platzierung der Quellen im oder in der Nähe des Tumors, eine hohe Dosis im Tumor deponiert werden kann und gleichzeitig gesundes, vom Tumor weiter entfernt liegendes Gewebe geschont wird. Bei von außen eindringender Strahlung (externe Strahlentherapie) wird zwangsläufig auch gesundes Gewebe exponiert.

Ziel einer Strahlentherapie ist, im Tumor eine ausreichend hohe und möglichst homogene Dosisverteilung zu erzeugen. In der Brachytherapie wird dies durch die gleichzeitige Verwendung von mehreren Quellen und der Änderung ihrer Position während einer Bestrahlungszeit des Patienten erreicht.

Darstellung und Weitergabe der Dosis in der Brachytherapie

Die Dosis-Messgröße in der Brachytherapie ist die Wasser-Energiedosis, DW, im Wasser in 1 cm Abstand vom Aktivitätsschwerpunkt des Strahlers senkrecht zur Quellenachse. Ihr Wert ergibt sich aus dem Wert der Reference Air Kerma Rate (RAKR) multipliziert mit dem Dosiskonversionskoeffizienten Λ, auch dose rate constant genannt. Die Reference Air Kerma Rate ist definiert als die Luftkermaleistung frei in Luft in 100 cm Abstand vom Aktivitätsschwerpunkt des Strahlers [9].

Der Wert des Dosiskonversionkoeffizienten ist typ- bzw. bauartspezifisch, d.h. gleich für Seeds gleicher Bauart. Bis vor kurzem konnte der Wert nur rechnerisch mittels Strahlungstransportrechnungen auf Basis von Monte-Carlo Simulationen bestimmt werden. Diese Werte sind für alle häufig verwendeten Seed-Bauarten in frei zugänglichen Datenbanken zu finden. Im Rahmen von neueren Forschungsarbeiten konnten für einige HDR- und LDR-Seeds diese Werte erstmals auch experimentell bestimmt werden. Die bisher erzielten Ergebnisse zeigen eine gute Übereinstimmung zwischen Rechnung und Messung.

Um einen möglichst großen Therapieerfolg zu erzielen und gleichzeitig das Risiko für den Patienten gering zu halten, ist eine rückführbare und qualitätsgesicherte Dosimetrie von großer Bedeutung. Grundlage hierfür ist die primäre Darstellung der Einheit der Dosis-Messgröße und deren Weitergabe durch Kalibrierung von Sekundärnormalen oder von Brachytherapie-Quellen. HDR-und LDR-Quellen werden derzeit in der PTB standardmäßig in der Einheit Reference Air Kerma Rate kalibriert.

HDR-Quellen

Bei der Kalibrierung von HDR-Quellen wird die Luftkermaleistung mittels einer Ionisationskammer, die auf die Primärnormale der PTB für die Luftkerma rückführbar ist, gemessen. Die Messungen erfolgen im kollimierten Strahlungsfeld der Quelle. Hierfür wurde eine spezielle Messeinrichtung aufgebaut (siehe Abbildung 2). Im Zentrum einer Bleikammer (30 cm x 30 cm x 40 cm Kantenlänge und 5 cm Wandstärke), die mit DensiMed®-Blenden von wahlweise 5,5 cm und 11 cm Durchmesser bestückt ist, wird die zu kalibrierende Quelle mit Hilfe eines Afterloadingsystems platziert. Die Positionierung der kalibrierten Kugel-Ionisationskammer auf der zentralen Achse des durch die Blende definierten Strahlungsfeldes erfolgt mit einem handelsüblichen Industrieroboter mit einer Unsicherheit von weniger als 0,1 mm. Um Unsicherheiten in der Positionierung der Quelle (ca. 0,3 mm) durch das Afterloadingsystem zu eliminieren, werden mehrere Messungen in unterschiedlichen Abständen zwischen Strahlungsquelle und Ionisationskammer durchgeführt und die Position der Quelle durch eine Ausgleichsrechnung bestimmt.

In der PTB werden seit mehr als 15 Jahren 192Ir-HDR-Brachytherapiequellen in der Messgröße RAKR mit einer relativen Standardmessunsicherheit von 1,25 % (k = 1) kalibriert.

Abb. 1: Messanordnung zur Kalibrierung von HDR-Brachytherapiequellen in kollimierter Strahlungsgeometrie. Afterloader (links), Bleikammer (Mitte, hinten, Ionisationskammer (Mitte), Industrieroboter (rechts).

LDR-Quellen

Die Darstellung und Weitergabe der Dosis-Messgröße für LDR-Quellen muss aufgrund der emittieren niederenergetische Photonenstrahlung und der geringen Dosisleistung auf andere Weise als bei den HDR-Quellen erfolgen.

Die Darstellung der Reference Air Kerma Rate (RAKR) von LDR-Quellen wird in der PTB eine Ionisationskammer als Primärnormal in Form einer großvolumigen Parallelplatten-Extrapolationskammer (GROVEX) betrieben (siehe Abb. 3). Die vordere Elektrode (Hochspannungselektrode) und die rückseitige Messelektrode sind 12 µm dünne graphitierte Polyethylenfolien [12]. Die Quelle befindet sich in 30 cm Entfernung zur vorderen Hochspannungselektrode. Vor der Hochspannungselektrode befindet sich eine Bleiblende zur Begrenzung des in das Kammer-Messvolumen eintretenden Strahlungsfeldes der Quelle. Der Abstand zwischen den Elektroden kann beliebig variiert werden, um bei verschiedenen Abständen den Ionisationsstrom messen zu können. Die RAKR wird aus der Steigung der an die Messpunkte angepassten Geraden ermittelt.

Abb. 3: Ansicht der Extrapolations-Kammer (GROVEX) für die Darstellung der Reference Air Kerma Rate für LDR-Quellen in der Brachytherapie.

Die primäre Darstellung der Einheit der Wasser-Energiedosis für die Brachytherapie mit LDR-Quellen wurde - wie auch für die HDR-Quellen - ebenfalls im Rahmen eines europäischen Forschungsvorhabens realisiert und in der PTB etabliert [13]. Die Darstellung erfolgt mittels der Ionometrie mit Hilfe einer großvolumigen, planparallelen Platten-Extrapolationskammer. Der Aufbau und die Funktionsweise der Kammer ähneln dem des Primärnormals für die Reference Air Kerma Rate, allerdings befindet sich die Extrapolationskammer in einem Phantom aus wasseräquivalentem Material. Dadurch unterscheidet sich die Messmethodik von der des RAKR-Primärnormal. Sie wurde auf Basis der Strahlungstransporttheorie entwickelt und zielt einer alten Idee folgend auf die Differenzen von Stromwerten bei verschiedenen Plattenabständen ab [14]. Das Auswerteverfahren verwendet Größen, deren Werte mit der Monte-Carlo Simulationen ermittelt wurden. Da diese auf Verhältnisse von berechneten Kerma-Werten innerhalb der Extrapolationskammer beruhen, ist diese Methode sehr robust gegenüber Unsicherheiten der atomaren Wechselwirkungsquerschnitte und der Spektren [14]. Die entwickelte Methodik wurde vom italienischen Metrologieinstitut ENEA, das ebenfalls am Forschungsprojekt beteiligt war, übernommen [15].

Mit der direkten Darstellung der Einheit der Wasser-Energiedosis wurde eine Messunsicherheit von 2,6 % (= 2) erreicht, was eine deutliche Verringerung der Unsicherheit gegenüber der Wasserenergiedosis-Bestimmung über die Reference Air Kerma Rate 10 % (= 2) bedeutet. Für die LDR-Brachytherapie ist - im Gegensatz zur HDR-Brachytherapie - eine direkte Kalibrierung von Quellen in der Einheit Wasserenergiedosis durchführbar und angestrebt.

Literatur

  1. Gerbaulet A., Pötter R., Mazeron J., Limbergen E.V. (Hrsg.):
    The GEC ESTRO handbook of brachytherapy
    Belgium: ACCO ACCO, Leuven, Belgium, 2005, ISBN 90-804532-6
  2. Baltas D., Sakelliou L., Zamboglou N.:
    The Physics of Modern Brachytherapy for Oncology
    Medical Physics & Biomedical Engineering, 2006, Inst. of Physics Pub., ISBN-13: 978-0750307086
  3. Gupta VK.:
    Brachytherapy - past, present and future
    Journal of Medical Physics, 20, 1995, 31-38
  4. Pötter R.:
    Image-guided brachytherapy sets benchmarks in advanced radiotherapy
    Radiother. Oncol., 2009, 91, 141–146
  5. Schötzig U., Schrader H.:
    Halbwertszeiten und Photonen-Emissionswahrscheinlichkeiten von häufig verwendeten Radionukliden
    Bericht PTB-Ra-16/5, 2000, ISBN 3-89701-279-0
  6. CEA/Saclay-DETECS/LNHB, Gif-Sur-Yvette Cedex France, Table of radionuclides,
    ISBN 2727202016, 2011
    www.nucleide.org/DDEP_WG/DDEPdata.htm
  7. Frank S., et al.:
    An Assessment of Quality of Life Following Radical Prostatectomy, High Dose External Beam Radiation Therapy and Brachytherapy Iodine Implantation as Monotherapies for Localized Prostate Cancer
    The Journal of Urology, 177, 6, 2007, 2151–2156.
  8. Rivard M. J., Coursey B. M., DeWerd L. A., Hanson W. F., Huq M. S., Ibbott G. S., Mitch M. G., Nath R., Williamson J. F.:
    Update of AAPM Task Group No. 43 Report: a revised AAPM protocol for brachytherapy dose calculations
    Med. Phys. 31. 633–74, 2004
  9. International Commission on Radiation Units and Measurements:
    Dosimetry of Beta Rays and Low-Energy Photons for Brachytherapy with sealed sources.
    Report 72, Journal of the ICRU, 4(2), 2004
  10. Krauss A., Bambynek M., Selbach H.-J.:
    Application of water calorimetry as absorbed dose to water standards for radiotherapy dosimetry
    Workshop on Absorbed Dose and Air Kerma Primary Standards, Paris, 2007, Proceedings
  11. Selbach H.-J., Bambynek M., Aubineau-Laniece I., Gabris F., Guerra A.S., Toni M.P., de Pooter J., Sander T., Schneider T.:
    Experimental determination of the dose rate constant for selected 125I- and 192Ir-brachytherapy sources
    Metrologia 49, 2012, S219 - S222
  12. Selbach H.-J., Kramer H.-M., Culberson W. S.:
    Realization of reference air-kerma rate for low-energy photon sources
    Metrologia, 45, 2008, 422- 428
  13. Schneider T.:
    The PTB primary standard for the absorbed-dose to water for I-125 interstitial brachytherapy sources
    Metrologia 49, 2012, S198 - S202
  14. Schneider T.:
    A robust method for determining the absorbed-dose to water in a phantom for low-energy photon radiation
    Phys. Med. Biol, 56, 201,13387-13402
  15. Toni M. P., Pimpinella M., Pinto M., Quini M., Cappadozzi G., Silvestri C., Bottauscio O.:
    Direct determination of the absorbed dose to water from 125I low dose-rate brachytherapy seeds using the new absorbed dose primary standard developed at ENEA-INMRI
    Metrologia, 49, 2012, S193 - S197