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Ionisierende Strahlung in Diagnostik und Therapie

Ionisierende Strahlung ist nicht sichtbar und mit den menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar, so wie beispielsweise Gerüche oder Geräusche. Die Exposition mit ionisierender Strahlung kann gesundheitsschädlich sein und zu schweren Erkrankungen führen. Auf der anderen Seite ist die ionisierende Strahlung als Werkzeug in der Medizin heute nicht mehr wegzudenken. Richtig dosiert wird sie in der Diagnostik und Strahlentherapie zum Wohle des Patienten eingesetzt, entweder um Krankheiten zu erkennen und daraus Behandlungen ableiten zu können oder um gezielt Tumore abzutöten.

In der Medizin werden die bildgebenden diagnostischen Verfahren MRT, Ultraschall, Endoskopie und am häufigsten die Röntgendiagnostik eingesetzt. In Krankenhäusern wird zu etwa 63 % Röntgenstrahlung für die bildgebende Diagnostik verwendet (siehe Abb.).

Anwendungshäufigkeit verschiedener Methoden in der bildgebenden medizinischen Diagnostik in Krankenhäusern1

Ergänzt werden die klassischen bildgebenden Verfahren mit Röntgenstrahlung, die den Körper von außen durchdringt, durch den Einsatz spezieller Radionuklide mit besonders geeigneten Zerfallseigenschaften. Diese werden dem Patienten als Radiopharmakon verabreicht. Durch die geeignete Wahl der chemischen Verbindung sammeln sich die Radionuklide in bestimmten Organen oder Geweben des Körpers. Die Strahlungseigenschaften der im Körper zerfallenden Atome werden dann für die Bildgebung ausgenutzt, z. B. mit Gamma-Kameras oder bei der Positronen-Emissions-Tomographie.

In der Strahlentherapie wird die schädigende Wirkung ionisierender Strahlung zur Abtötung von Krebszellen ausgenutzt, die von der applizierten Dosis abhängt. Krebs ist mit ca. 25 % eine der häufigsten Todesursachen in den Industriestaaten. 50 % bis 60 % aller Krebs-Patienten erhalten im Laufe ihrer Behandlung eine Strahlentherapie, bei etwa 50 % aller dauerhaften Tumorheilungen ist sie ein Bestandteil der Therapie oder sogar die einzige Behandlungsmethode2.

In der Strahlentherapie wird zwischen externer Strahlentherapie und interner Strahlentherapie unterschieden, abgesehen von interoperativen Bestrahlungen. Bei der externen Strahlentherapie wird der Patienten bzw. der Tumor von außen bestrahlt. Nicht zu vermeiden ist hierbei, dass neben dem tiefer liegenden Tumor auch das darüber liegende gesunde Gewebe exponiert wird. In der Routine wird in der externen Strahlentherapie aufgrund der höheren Eindringtiefe überwiegend hochenergetische Photonenstrahlung, die mit klinischen Elektronen-Linearbeschleunigern erzeugt werden, verwendet. Ziel aller Entwicklungen in der Strahlentherapie ist, eine ausreichend hohe und gleichmäßig verteilte Dosis im Tumorvolumen zu erreichen und gleichzeitig im umliegenden gesunden Gewebe nur eine kleine Dosis zu applizieren, um hier möglichst keine Schädigungen hervorzurufen. Das Schlagwort ist xtumour matched dose distributionx. Eine der neuesten Entwicklungen in der externen Strahlentherapie ist die Intensity Modulated Radiation Therapy (IMRT), bei der der Patient aus verschiedenen Einfallsrichtungen mit einer Vielzahl von schmalen, auf die entsprechende Tumorgeometrie angepassten, irregulär geformten Strahlungsfeldern bestrahlt wird.

Bei der Anwendung ionisierender Strahlung in der Medizin spielt die Höhe der Dosis, und deren Unsicherheit eine wichtige Rolle. Es gilt das sog. ALARA-Prinzip: so viel wie nötig so wenig wie möglich. In der Diagnostik ist die Herausforderung, so wenig Dosis wie möglich dem zu untersuchenden Patienten zu applizieren, aber dennoch so viel, dass eine aussagekräftige Bildgebung und damit verlässliche Diagnose möglich ist. Bei der Strahlentherapie soll eine ausreichend hohe Dosis im Tumor deponiert werden, so dass die Krebszellen absterben, gleichzeitig darf die Dosis nicht zu hoch sein, um das umliegende gesunde Gewebe nicht unnötig zu schädigen. Kurzgesagt zum Wohle des Patienten ist in der Diagnostik und Strahlentherapie eine verlässliche, rückführbare und qualitätsgesicherte Dosismessung mit entsprechend geringer Messunsicherheit von großer Bedeutung. Im Report 24 der ICRU (International Commission of Radiation Units and Measurements)3 wird für eine optimale Strahlentherapie gefordert, dass im Tumor die Unsicherheit der deponierten Dosis max. +/- 2,5 % (= 1) sein soll. In der Röntgendiagnostik fordert die ICRU im Report 744 eine Gesamt-Unsicherheit der Dosismessung von 7 % (= 2). Beide Forderungen werden heutzutage leider nicht immer erreicht, insbesondere in der Strahlentherapie stellt die Messunsicherheit noch eine große Herausforderung dar. In der Strahlentherapie ist die Dosis-Messgröße die Wasser-Energiedosis, in der Röntgendiagnostik ist die Basis-Messgröße der Dosimetrie die Luftkerma. Beide Messgrößen haben die Einheit Gray (abgkürzt: Gray (Gy); Gy = J/kg).

Für die Darstellung der Einheiten dieser Messgrößen betreibt die PTB verschiedene Primärnormale (AG 6.25 Dosimetrie für die Röntgendiagnostik). Durch Kalibrierung von Sekundärnormalen werden die Einheiten weitergegeben und damit eine Rückführbarkeit in der Dosismessung sichergestellt. In der Röntgendiagnostik wird für die Qualitätssicherung für bestimmte Messzwecke die Verwendung von bauartgeprüften Dosimetern vorgeschrieben. Im Bereich der Dosimetrie in der Strahlentherapie gelten die Regelungen des Medizinproduktegesetzes (MPG) und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBV).

In der Röntgendiagnostik und Strahlentherapie werden als Sekundärnormale fast ausschließlich Ionisationskammern (AG 6.21 Hochenergetische Photonen- und Elektronenstrahlung) verwendet. Diese zeigen eine hohe messtechnische Stabilität und Zuverlässigkeit, gute Mess-Charaktistika (z.B. geringe Energieabhängigkeit des Ansprechvermögens) und deren Eigenschaften lassen sich sehr gut mit Simulationsrechnungen beschreiben. Es werden Ionisationskammern unterschiedlichster Bauform (zylinderförmige, kugelförmige oder flache, planparallele Kammern) und Luftvolumina (Volumina von 0,015 cm3 bis 0,6 cm3 in der Strahlentherapie und bis ca. 100 cm3 in der Röntgendiagnostik) entsprechend den Messanforderungen eingesetzt.

Neben der direkten Dosismessung sind Strahlungstransportrechnungen auf der Basis von Monte-Carlo-Simulationen ein wichtiges Werkzeug zur Ermittlung von Dosiswerten, -verteilungen, Korrektionsfaktoren, Ansprechvermögen etc. Derartige Rechnungen können zum einen dazu dienen, Messergebnisse zu verstehen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, und zum anderen ist es möglich Parameter zu bestimmen, die messtechnisch nicht ermittelt werden können. Strahlungstransportrechnungen sind immer als Ergänzung zu Messungen zu sehen.

Die technischen Weiterentwicklungen in der Strahlentherapie und Röntgendiagnostik stellen ständig neue Herausforderungen an die Dosismessung. Beispiel ist in der Strahlentherapie die Messung der Dosis in kleinen Feldern und in der Röntgendiagnostik die Dosimetrie im breiten Strahlungsfeld der modernen Computertomographen. Eine wichtige Rolle spielt die Forschung und Entwicklung von neuen Detektoren, Messprozeduren etc. für die Realisierung einer rückführbaren Dosimetrie in diesen neuartigen Feldern. Aufgrund der kleinen Größe, der geringen Abhängigkeit des Ansprechvermögens von der Strahlungsqualität und der Materialeigenschaften ist das Alanin-Dosimeter für derartige Untersuchungen ein wichtiges Messmittel (Opens internal link in current windowAG 6.21 Hochenergetische Photonen- und Elektronenstrahlung). National und international wird eng mit Medizinphysikern in den Kliniken sowie mit Experten in anderen nationalen Metrologieinstituten, Kalibrierlaboratorien und der Industrie zusammengearbeitet. Die Forschungsergebnisse werden von der PTB in die nationale und internationale Normung sowie in international verwendete technische Dokumente (z.B. IAEA-Reports) eingebracht.


1 BMU-2005-660: Erfassung der Häufigkeit bildgebender Diagnostik, insbesondere strahlendiagnostischer Massnahmen und der Altersverteilung der Patienten, Schriftenreihe Reaktorsicherheit und Strahlenschutz, Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit, 2005

2 Die blauen Ratgeber: Strahlentherapie, Antworten, Hilfen, Perspektiven, Band 53, Deutsche Krebshilfe e.V.

3 International Commission on Radiation Units and Measurements, Determination of Absorbed Dose in a Patient Irradiated by Beams of X or gamma Rays in radiotherapy Procedures, ICRU Report 24, 1991

4 International Commission on Radiation Units and Measurements, Patient Dosimetry for X-rays used in Medical Imaging, ICRU Report 74, Journal of the ICRU, Vol. 5, No.2 (2005), Oxford University Press