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Spurensuche: Messung von Radionukliden in der bodennahen Luft

Spurensuche: Messung von Radionukliden in der bodennahen Luft

Mit "Spurensuche" ist allgemein die Messung von Spuren radioaktiver Stoffe gemeint. In der Praxis bedeutet das oft die Messung der Aktivität eines bestimmten Radionuklids, die nur wenig über der Empfindlichkeitsgrenze ("Nachweisgrenze") der heutigen technisch‑analytischen Möglichkeiten liegt.

Unter der "Spurenmessung" (oder "Spurenanalyse") von Radioaktivität in der bodennahen Luft im Sinne des Integrierten Mess- und Informatiossystems (IMIS) zur Überwachung der Umweltradioaktivität versteht man die sehr empfindliche Messung kleinster Aktivitäten, um zum Beispiel einen Eintrag von Radionukliden aus Unfällen oder unerlaubten Freisetzungen noch in sehr großen Entfernungen nachweisen zu können. Die Spurenmessstelle der PTB ist seit Oktober 1963 in Betrieb und ist seit 1989 eine der insgesamt 14 deutschen Spurenmessstationen zur Überwachung der radioaktiven Stoffe in der bodennahen Luft, die im Rahmen des Opens external link in new windowIntegrierten Mess- und Informationssystems IMIS betrieben werden.

Im Oktober 2013 konnte die Spurenmesstelle der PTB auf 50 Jahre regelmäßiger Messungen radioaktiver Stoffe in der Luft zurück blicken. Aus diesem Anlass erschien im Heft 1/2014 der PTB-Mitteilungen eine zusammenfassende Darstellung der Spurenmessungen in Deutschland, die elektronisch abrufbar ist.

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Analysen-Ablauf

Luftstaubsammler im Grünen.
Bild 1: Luftstaubsammler.

Mit einem Luftstaubsammler (Bild 1), der einen Volumenstrom von ca. 1000 m3/h erreicht, wird der in der Luft enthaltene Staub auf speziellen Filtermaterialien gesammelt. Für eine optimale Vergleichbarkeit von verschiedenen Probenentnahmeorten, wären an allen Sammlerstandorten ideale Standortbedingungen erforderlich. Diese sind jedoch in der Realität meist nicht gegeben. Ideal wäre eine freie Anströmung der Luft aus allen Richtungen, keine Wälder oder Gebäude in der näheren Umgebung, eine Entnahmehöhe der Aerosole in ca. 1,5 m bis 1,8 m über dem Erdboden. Wegen der notwendigen Energieversorgung, der Bedienung durch Fachpersonal, des Schutzes vor unbefugtem Zugriff oder gar Vandalismus stehen die Aerosolsammler jedoch auf umzäunten Geländen von Instituten oder Behörden.

Zudem müssten alle Aerosolsammler technisch absolut gleich sein und die gleichen Abscheideeigenschaften für den Luftstaub besitzen. Nicht zuletzt sind diese Abscheideeigenschaften auch noch von der Probe selbst abhängig, weil die Strömungsgeschwindigkeit der Luft durch den Filter mit wachsender Staubmenge im Verlauf der Probenentnahme abnimmt. Trotz der angesprochenen Einschränkungen ist die Vergleichbarkeit der Messergebnisse für die Zwecke des IMIS mehr als ausreichend. Für weiter gehende wissenschaftliche oder radioökologische Untersuchungen müssten standortspezifische Unterschiede jedoch eventuell berücksichtigt werden.

Das Bild 2 zeigt den Standort der Aerosolsammler am Rand des PTB-Geländes auf einer halbkreisförmigen Lichtung, die von der anströmenden Luft aus östlicher Richtung über freie Felder erreichbar ist. Im Westen ist die Wiese von einem niedrigen Wald umgeben, der aus Umweltschutzgründen nicht weiter gerodet werden darf.

IMIS-einheitlich werden die Aerosolproben von Montag bis Montag als Wochen-Mischproben gesammelt. Die Vorbehandlung der Luftstaubproben vor der Messung ist je nach den messtechnischen Vorgaben oder den angewandten analytischen Verfahren bei den einzelnen deutschen Spurenmessstellen unterschiedlich.

Zwei Aerosolsammler auf einer Wiese.
Bild 2: Standort der Aerosolsammler.

In der PTB wird zunächst eine gammaspektrometrische Messung zur Prüfung auf Anwesenheit von in der Wärme leichtflüchtigen Jod-Isotopen ("Leitnuklid" ist das 131I) durchgeführt. Anschließend werden die Aerosolproben bei etwa 400°C bis 450°C verascht, wodurch Verluste bei den übrigen Radionukliden vermieden werden. Die erhaltene Asche wird zu Tabletten gepresst, die anschließend in einem Bohrloch-Reinstgermaniumspektrometer gammaspektrometrisch gemessen werden. Nach Messzeiten von etwa drei Tagen bis zu einer Woche erreichen wir mit dieser Methode Nachweisgrenzen von unter 5•10-8 Bq/m3 für die meisten Gammastrahler.

Für die Bestimmung des reinen Betastrahlers Strontium-90 (90Sr) oder Alphastrahlern (Uran- und Plutonium-Isotope) im Luftstaub werden in der PTB die wöchentlichen Luftstaubaschen zu einer Monats-Mischprobe vereinigt und einer aufwändigen radiochemischen Abtrennung und Reinigung für die betreffenden Radionuklide unterzogen. Für Uran und Plutonium-Isotope lassen sich mit einer alphaspektrometrischen Messung in Monats-Mischproben Nachweisgrenzen von weniger als 5•10-10 Bq/m3 erreichen.

Hier sind zwei Beispiele für typische Messreihen gezeigt, weitere aktuelle Messreihen gibt es hier.

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Beispiel 1: Kurzzeit-Messreihen

Als typisches Ergebnis der regelmäßigen wöchentlichen Messungen ist die Kurzzeit-Messreihe der Aktivitätskonzentration des natürlichen Radionuklids Kalium-40 (40K) sowie des künstlichen Caesium-137 (137Cs) in der Luft in Braunschweig aus dem Jahr Initiates file download2004 gezeigt. 40K ist ein "primordiales Radionuklid", das heißt es ist seit seiner Entstehung (gemeinsamen mit den übrigen chemischen Elementen) vor etwa 4 Milliarden bis 5 Milliarden Jahren, bis heute noch nicht zerfallen, weil seine Halbwertszeit ca. 1,3 Milliarden Jahre beträgt. 40K ist als Alkalimetall überall in der unbelebten und belebten Natur enthalten. Das heute in der Luft noch regelmäßig messbare 137Cs ist ein Spaltprodukt und stammt aus dem Kernwaffenfallout aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und vom Reaktorunfall in Tschernobyl (April 1986). Der Anteil aus dem Reaktorunfall in Fukushima, Japan, im April 2011 trägt nur unwesentlich zu dieser Kontamination bei.

Der Verlauf der beiden Kurven ist charakteristisch für die jährlichen Änderungen sowohl in der Aktivitätskonzentration der einzelnen Radionuklide als auch im Aktivitätsverhältnis von 137Cs zu 40K. Die an den Luftstaub gebundenen Radionuklide werden gemeinsam mit dem Staub transportiert. Daher hängen die gemessenen Aktivitätskonzentrationen von den ständig wechselnden Wind- und Wetterverhältnissen (Herkunft des Staubes, Auswaschung durch Regen) und von der Jahreszeit (Sommerhalbjahr: landwirtschaftliche Aktivitäten, Winterhalbjahr: Heizungen in Betrieb) ab. Durch den Vergleich der Aktivitätskonzentration des 137Cs mit der des 40K lassen sich Rückschlüsse ziehen, ob "zusätzliches" 137Cs in der Probe vorliegt, zum Beispiel wenn bei trockenen Ostwind-Wetterlagen vermehrt Bodenstaub aus Osteuropa eingetragen wird, der stärker mit 137Cs aus dem Reaktorunfall in Tschernobyl vom April 1986 kontaminiert ist. Andererseits ist je nach Wetterlage in der Luftstaubprobe, die den Staub der Silvesternacht enthält, ein mehr oder weniger deutlicher Anstieg der Aktivitätskonzentration des 40K zu erkennen. Dieser zu Silvester 2003/2004 besonders markante Anstieg ist auf die in den Treibsätzen der Silvesterraketen enthaltenen Kalium‑Chemikalien zurückzuführen, die dieses Radionuklid zwangsläufig enthalten.

Die entsprechenden Diagramme der Jahre 1998 bis 2023 der Spurenmessstelle finden sich hier.

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Beispiel 2: Langzeit-Messreihen

Als typisches Ergebnis der langjährigen regelmäßigen Messungen zeigt die Abbildung aus den Langzeit-Messreihen der PTB hier die zeitliche Änderung der Aktivitätskonzentration des natürlichen Radionuklids Beryllium-7 (7Be) sowie des künstlichen Caesium-137 (137Cs) in der Luft in Braunschweig. 7Be entsteht in der Stratosphäre durch die Reaktion der kosmischen Strahlung mit den Gasatomen der Lufthülle der Erde. Das heute in der bodennahen Luft noch messbare 137Cs ist ein Spaltprodukt und stammt aus dem Kernwaffenfallout aus der Mitte des letzten Jahrhunderts sowie vom Reaktorunfall in Tschernobyl (April 1986). Der linke Pfeil markiert den Einfluss des bisher letzten atmosphärischen Kernwaffentests, der am 16.10.1980 in China durchgeführt und im Sommer 1981 in Braunschweig messbar wurde. Den Einfluss des nach dem Reaktorunfall in Fukushima freigesetzten 137Cs zeigt der rechte Pfeil.

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