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Fertigungskette von Si-Kugeln und interferometrische Bestimmung des Kugelvolumens

Thermische Ausdehnung von Siliziumeinkristallen von 7 K bis 293 K

01.12.2014


Die hochgenaue Kenntnis der thermischen Ausdehnung von Materialien ist Voraussetzung für die Herstellung und Charakterisierung ultrastabiler Materialien wie Carbid- oder Nitridkeramiken, die beispielsweise in der Halbleiterindustrie oder in der Luft- und Raumfahrt Anwendung finden. Das Verhalten von Materialien im Bereich kryogener Temperaturen ist besonders entscheidend für Weltraumteleskope wie Herschel oder SPICA, in denen Spiegel mit großen Durchmessern zum Einsatz kommen. Zur Kalibrierung entsprechend genauer Messapparaturen sind Referenzmaterialien erforderlich, deren thermischer Ausdehnungskoeffizient (coefficient of thermal expansion (CTE)) mit hoher Genauigkeit bekannt sein muss. Einkristallines Silizium eignet sich besonders gut als Referenzmaterial für die thermische Ausdehnung da es routinemäßig mit hoher Reinheit hergestellt wird, langzeitstabil ist und produktionsbedingte Unterschiede vernachlässigbar klein sind.

In einer 2011 durchgeführten Studie [1] der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) konnten nur zwei Institute ausfindig gemacht werden, die bei CTE-Messungen im Temperaturbereich von 5 K bis 300 K Unsicherheiten unterhalb von 1×10-8 /K erreichten. Beide Institute, das Jet Propulsion Laboratory (JPL, USA) und das National Metrology Institute of Japan (NMIJ), standen jedoch nicht für Messungen zur Verfügung und kommerzielle Messungen mit der angestrebten Genauigkeit waren nicht erhältlich, insbesondere nicht in Europa. Deshalb wurde im Rahmen eines ESA-Projekts zur Charakterisierung ultrastabiler Materialien bei kryogenen Temperaturen das Ultrapräzisionsinterferometer der PTB mit einem erweiterten Messpfad ausgestattet, sodass nun die Länge von Materialproben mit einer absoluten Genauigkeit von ca. 1 nm im Bereich von 7 K bis 323 K gemessen werden kann [2].

Im Rahmen dieses Projektes wurde auch die Länge prismatischer Proben aus einkristallinem Silizium bei Temperaturen unterhalb der Raumtemperatur (293 K) bis hin zu wenigen Kelvin gemessen. Um basierend auf diesen Längenmessungen den thermischen Ausdehnungskoeffizienten (CTE) zu bestimmen, wurden bisher Polynome in mehreren Intervallen an die Längendaten angepasst und aus deren Ableitung die thermische Ausdehnung bestimmt. Die in diesem Jahr erzielte Neuerung besteht darin, dass nun erstmals eine Modellfunktion verwendet wird, die von der Festkörperphysik her motiviert ist und mit vergleichsweise wenigen Fitparametern die Probenlänge im gesamten betrachteten Temperaturbereich hinreichend genau beschreibt. Diese ist dabei nicht nur für Silizium geeignet, sondern kann auch für andere isotrope Materialien, wie z.B. Siliziumcarbid oder Siliziumnitrid, angewendet werden.

Es wurden Messungen an drei unterschiedlichen Siliziumproben mit Reproduzierbarkeiten von < 1 × 10-9 /K (Standardabweichung der Abweichungen zweier Messreihen) durchgeführt. In der in Bild 1 dargestellten Messreihe lag die Unsicherheit im Bereich von 14 K bis 262 K unter 2,5 × 10-9 /K.

Bild 1: Thermischer Ausdehnungskoeffizient (CTE) α (T) einer einkristallinen Siliziumprobe im Temperaturbereich von wenigen Kelvin bis Raumtemperatur.

In Bild 2 wird die in Bild 1 dargestellte Messreihe mit Messungen anderer Institute verglichen. Gegenüber den am japanischen NMIJ durchgeführten Messungen [3] konnte in den hier vorgestellten Messungen die Unsicherheit in einem weiten Temperaturbereich halbiert werden. Beide Messreihen stimmen innerhalb ihrer Unsicherheiten sehr gut überein. Auch die am US-amerikanischen JPL durchgeführten Messungen [4] weichen nicht signifikant von den hier vorgestellten Messungen ab. Anders die 1977 am Ames Laboratory und der Iowa State University (beide USA) gemessenen [5] und von CODATA empfohlenen Werte [6]. Diese unterscheiden sich in einem weiten Temperaturbereich (90 K bis 200 K) um das drei- bis vierfache der Unsicherheit von den nun an der PTB durchgeführten Messungen.

Bild 2: Vergleich hochgenauer CTE-Messungen an Silizium-Proben als Differenz zu den hier vorgestellten Messungen.

Anzumerken ist, dass in den Messungen am JPL und am NMIJ ebenfalls Proben aus einkristallinem Silizium untersucht wurden, während den von CODATA empfohlenen Werten [5] Messungen an einer polykristallinen Probe zugrunde liegen.

Literatur:

[1] S. Roose and S. Heltzel. “High-precision measurements of thermal expansion at cryogenic temperature on stable materials”. In MacroScale 2011 – Recent developments in traceable dimensional measurements, dx.doi.org/10.7795/810.20130822t (2011).

[2] R. Schödel, A. Walkov, M. Zenker, G. Bartl, R. Meeß, D. Hagedorn, C. Gaiser, G. Thummes and S. Heltzel, “A new Ultra Precision Interferometer for absolute length measurements down to cryogenic temperatures”, Meas. Sci. Technol., 23, 094004 (2012).

[3] Reference Material Certificate NMIJ CRM 5803-a, National Metrology Institute of Japan (2011)

[4] P. B. Karlmann, K. J. Klein, P. G. Halverson, R. D. Peters, M. B. Levine, D. van Buren, and M. J. Dudik, “Linear thermal expansion measurements of single crystal silicon for validation of interferometer based cryogenic dilatometer”, Advances in Cryogenic Engineering, AIP Conference Proceedings, 824, 35 (2006).

[5] K. G. Lyon, G. L. Salinger, C. A. Swenson, and G. K. White. Linear thermal expansion measurements on silicon from 6 to 340 k. J. Appl. Phys., 48(3), 865 (1977).

[6] C. A. Swenson. Recommended values for the thermal expansivity of silicon from 0 to 1000 K. J. Phys. Chem. Ref. Data, 12(2), 179 (1983).

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