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Personengefährdung in elektrostatischen Applikationsanlagen

04.12.2017

Elektrostatische Applikationsanlagen müssen auf eine Personengefährdung durch elektrischen Schlag beurteilt werden. Für stationäre elektrostatische Applikationsanlagen nach DIN EN 50176:2010 [1], DIN EN 50177:2010+A1:2013 [2], DIN EN 50223:2015 [3] und DIN EN 50348:2010 [4] erfolgt diese Beurteilung auf Grundlage des Grenzwertes der Entladeenergie von 350 mJ. Für die Bestimmung der Entladeenergie wird die Kapazität der elektrostatischen Applikationsanlage benötigt. Diese zu messen unterliegt einem hohen Fehlerpotential und die gemessenen Werte sind bei näherer Betrachtung oft unglaubwürdig. Des Weiteren sind die 350 mJ als Grenze der Personengefährdung anzuzweifeln, da beispielsweise Elektrozaungeräte mit Entladeenergien von mehreren Joule arbeiten und von diesen Geräten keine Personengefährdung durch elektrischen Schlag ausgeht [5]. Die neu veröffentliche Mess- und Beurteilungsmethode der FprEN 50059:2017 [6] für handgeführte elektrostatische Applikationsanlagen, in denen eine Beurteilung durch die Basisgrößen Körperstrom und Pulsdauer erfolgt, wird aus diesen Gründen zunächst verifiziert und eine Übertragung auf die Normen der stationären elektrostatischen Applikationsanlagen und anderer Regelwerke der Elektrostatik angestrebt.

Messungen erfolgten an einem Elektrozaungerät, an einem Versuchsstand innerhalb der PTB zur Simulation einer elektrostatischen Applikationsanlage und an realen elektrostatischen Applikationsanlagen.
Die für die Entladeenergie notwendigen Kapazitätsmessungen (siehe Tabelle) liefern zu kritische Werte und entsprechen dabei nicht den tatsächlich vorliegenden Gegebenheiten der in Betrieb befindlichen Anlagen. Dadurch ergeben sich Werte der Entladeenergien im Joule-Bereich. Zur Gewährleistung der Grenze von 350 mJ müssten die Anlagen in ihrer Spannung begrenzt werden, wodurch ihre Effizienz und Funktionalität reduziert wird.

Tabelle: Beurteilung auf Grundlage des Grenzwertes der Entladeenergie von 350 mJ

Durch Messungen nach der neu veröffentlichten Mess- und Beurteilungsmethode der FprEN 50059:2017 [6] mit Stromwandler, Spannungsteiler und Oszilloskop, konnte keine Überschreitung der Grenzlinie C1 im Diagramm „Pulsdauer – Körperstrom, Risiko von Herzkammerflimmern“ festgestellt werden (siehe Abbildung).

Abbildung: Beurteilung durch die Basisgrößen Körperstrom und Pulsdauer im Diagramm „Pulsdauer – Körperstrom, Risiko von Herzkammerflimmern“ der FprEN 50059:2017

Die Anlagen sind daher als sicher einzustufen und eine Reduzierung der Spannung wird nicht gefordert. Weitere Schutzmaßnahmen bezogen auf eine Personengefährdung, zur Vermeidung der Gefahr von Herzkammerflimmern, die über die PSA der Mitarbeiter hinausgehen, müssen nicht getroffen und die Anlagen in ihrer Effizienz und Funktionalität nicht eingeschränkt werden.

Um die wahrheitsgetreuen Gegebenheiten kapazitiver Entladungen anhand von Basisgrößen (Körperstrom und Pulsdauer) zu bestimmen, ist die Mess- und Beurteilungsmethode der FprEN 50059:2017 [6], unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse der Verifizierung, sicher anwendbar. Eine Übertragung dieser Methodik auf die Normen der stationären elektrostatischen Applikationsanlagen und anderer Regelwerke der Elektrostatik ist anzustreben, um eine maximale Effizienz und Funktionalität, bei bestehender Sicherheit, zu gewährleisten. 

Literatur

[1] DIN EN 50176:2010 Stationäre Ausrüstung zum elektrostatischen Beschichten mit entzündbaren flüssigen Beschichtungsstoffen - Sicherheitsanforderungen.
[2] DIN EN 50177:2010+A1:2013 Stationäre Ausrüstung zum elektrostatischen Beschichten mit entzündbaren Beschichtungspulvern - Sicherheitsanforderungen.
[3] DIN EN 50223:2015 Stationäre elektrostatische Flockanlagen für entzündbaren Flock - Sicherheitsanforderungen.
[4] DIN EN 50348:2010 Stationäre Ausrüstung zum elektrostatischen Beschichten mit nichtentzündbaren flüssigen Beschichtungsstoffen - Sicherheitsanforderungen.
[5] DIN EN 60335-2-76:2015 Sicherheit elektrischer Geräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke - Teil 2-76: Besondere Anforderungen für Elektrozaungeräte.
[6] FprEN 50059:2017, Electrostatic hand-held spraying equipment – Safety requirements – Hand held spraying equipment for non-ignitable coating materials.