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EMRP-Projekt SIB52 „Thermo“: Metrologie für Hochtemperatur-Wärmedämmstoffe

10.03.2016

Jüngste Entwicklungen von Hochtemperatur-Wärmedämmstoffen auf Basis von Polymer-, Aerogel- und Faser-Verbundwerkstoffen zeigen deren Potential, eine deutlich bessere Wärmedämmung zu ermöglichen als herkömmliche Materialien. Allerdings fehlt bislang ein zuverlässiger metrologischer Rahmen, um ihr thermisches Leistungsvermögen (inklusive ihrer Brandschutztauglichkeit) zu bewerten: Untersuchungen mit industriellen Messgeräten zeigen gegenseitige Abweichungen von teils über 100 % für die neuartigen Wärmedämmstoffe, und selbst die Messergebnisse von Referenzlaboratorien weichen um bis zu 15 % voneinander ab. Mithilfe des EMRP-Forschungsprojektes „Thermo“ soll eine Infrastruktur geschaffen werden, die vollständig rückführbare Wärmeleitfähigkeitsmessungen bei Temperaturen bis zu 650 °C erlaubt. Das Projekt wurde im Juni 2013 begonnen und endet im Mai 2016. Beteiligt waren fünf europäische Metrologie-Institute: NPL (National Physical Laboratory, Großbritannien), CMI (Český Metrologický Institut, Tschechien), LNE (Laboratoire national de métrologie et d’essais, Frankreich), MKEH (Magyar Kereskedelmi Engedélyezési Hivatal, Ungarn) und PTB (Arbeitsgruppe 1.01)

Der aktuelle Stand in der thermischen Metrologie ist nicht ausreichend, um die signifikanten Fortschritte zu bewerten, die die Entwicklung neuartiger Wärmedämmstoffe bereits erreicht hat und noch weiterhin verspricht. Die großen Abweichungen in den Messergebnissen der Wärmeleitfähigkeit bei höheren Temperaturen erschweren die Auswahl geeigneter Materialien, die zugleich effizient und sicher sind. Weiterhin führt das Fehlen verlässlicher und präziser thermophysikalischer Daten zu hohen Mehrkosten in der Entwicklung von Wärmedämmstoffen, da so aufwändige experimentelle Tests nicht durch deutlich kostengünstigere, thermische Modellierungen ersetzt werden können.

Das EMRP-Projekt „Thermo“ hat sich einige ambitionierte Ziele gesetzt, um rückführbare Wärmeleitfähigkeitsmessungen und die Charakterisierung moderner Wärmedämmstoffe gerade auch bei hohen Temperaturen zu ermöglichen. Damit soll eine Reduzierung der Abweichungen von Messergebnissen zwischen den Referenzlaboratorien von bisher 15 % auf höchstens 5 % erreicht werden, was es europäischen Herstellern erleichtern würde, die erforderlichen CE-Anforderungen für Hochtemperatur-Dämmstoffe zu erfüllen

Das erste Ziel des Vorhabens „Thermo“ ist die Entwicklung der nächsten Generation nationaler Standard-Messgeräte (geschütztes Plattengerät). Damit wollen europäische nationale Metrologie-Institute der Industrie langfristig Zugang zu umfassenden Messeinrichtungen für die genaue Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit bieten. Im Rahmen dieses Arbeitspakets wurde recherchiert und getestet, welche neuen Materialien sich für die Heizplatten der Plattengeräte eignen. Es wurde mit verschiedenen Oberflächen-Beschichtungen für die Heizplatten experimentiert, um solche zu identifizieren, die sowohl einen hohen Emissionsgrad aufweisen als auch vielfaches thermisches Zyklieren sicher überstehen. Es wurden Erkenntnisse eines anderen EMRP-Projektes (IND01 „HiTeMS“) genutzt, um hochtemperaturbeständige langzeitstabile Temperatursensoren auszuwählen. Auch der Einfluss des thermischen Kontaktwiderstands zwischen Heizplatten und Proben auf die Messungen wurde untersucht, wobei noch wesentlich die Möglichkeiten zu seiner Verringerung, Kompensation oder Korrektion erforscht wurden. Alle aus den oben genannten Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse sollen helfen, Verzerrungen des Wärmeflusses innerhalb der Messfläche weiter zu minimieren und repräsentative Temperaturen an den Probenoberflächen mit geringer Messunsicherheit zu ermitteln. Neben der Verbesserung bestehender Messgeräte wurden neue Geräte konzipiert und aufgebaut, die sich etwa auch für die Wärmeleitfähigkeitsmessung an dünnen Polymer- und Verbundwerkstoffproben eignen. Außerdem wird an der Überarbeitung des gesamten  Messunsicherheitsbudgets von Plattengeräten gearbeitet. Insbesondere solche Messabweichungen werden berücksichtigt, die bei hohen Arbeitstemperaturen unproportional anwachsen.

Ein zweites Ziel ist die Identifizierung und Entwicklung von Referenzmaterialien für die Wärmeleitfähigkeit im Bereich von
0,02 W.m-1.K-1 bis 1 W.m-1.K-1 bei Temperaturen bis zu 650 °C. Ein solches Hochtemperatur-Referenzmaterial soll helfen, die gegenseitigen Abweichungen von Messergebnissen der Referenzlaboratorien aufzuklären. In ersten Voruntersuchungen ergab sich eine Liste von vier möglichen Materialien. Von diesen erwiesen sich in weiteren Tests (bezüglich ihrer Materialzusammensetzung und Mikrostruktur, sowie ihrer geometrischen, mechanischen und chemischen Stabilität und ihrer Homogenität) zwei Materialien als besonders aussichtsreich. Es handelt sich hierbei um zwei Kalzium-Silikate mit unterschiedlichen Dichten
(240 kg.m-3 und 800 kg.m-3), die nachfolgend weiteren Untersuchungen unterzogen wurden. Beide Materialien können allerdings vom Hersteller nicht in hinreichender, struktureller Gleichförmigkeit produziert werden, so dass ihrer Verwendung als mögliches Referenzmaterial ein recht aufwändiger Auswahlprozess vorausgehen muss. Hierbei kommt auch ein neues, akustisches und zerstörungsfreies Verfahren zur Messung der Dichteverteilung zur Anwendung. Weiterhin muss das Material einer langwierigen Wärmebehandlung unterzogen werden. Aus Zeitgründen muss man sich bei der noch ausstehenden Vergleichsmessung der Wärmeleitfähigkeit auf eines der beiden potentiellen Referenzmaterialien beschränken. An dieser Vergleichsmessung nehmen vier der Projekt-Partner teil, während die Arbeitsgruppe der PTB, die selbst kein für hohe Temperaturen geeignetes Plattengerät besitzt, als neutraler Partner die Auswertung übernehmen wird.

Als drittes Ziel werden transiente Verfahren und andere Messtechniken untersucht, die im industriellen Bereich zur Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit zum Einsatz kommen. Hier geht es darum, die Messbereichsgrenzen und die Messunsicherheiten verschiedener einschlägiger Techniken für deren Verwendungsmöglichkeit an fortschrittlichen Wärmedämmstoffen zu ermitteln und zu verifizieren. Unter anderem wurde die Anwendung der sogenannten Laser Flash-Methode auf anisotrope Materialien analysiert. Diese Untersuchungen sollen den potentiellen industriellen und universitären Nutzern eine Grundlage liefern, auf deren Basis sie leichter die für ihren jeweiligen Anwendungsbereich geeigneten Messverfahren finden, sowie deren jeweilige Messunsicherheiten besser gegeneinander abwägen können. Bei einer weiteren Vergleichsmessung an dem potentiellen Referenzmaterial werden auch kommerzielle Messgeräte mit einbezogen.

Das vierte Ziel des Projekts liegt, unter Leitung der PTB-Arbeitsgruppe, auf der Untersuchung der systematischen Messabweichung durch Strahlungswärmetransport während einer Wärmeleitfähigkeitsmessung bei hohen Temperaturen. Hierzu wurden verschiedene theoretische, numerische und experimentelle Studien durchgeführt. Ein intensives Studium der einschlägigen Literatur ermöglichte die Identifizierung geeigneter einfacher analytischer Ausdrücke für das komplexe Zusammenspiel aus Leitungs- und Strahlungstransport in hochporösen, semitransparenten Materialien. Zusätzlich wurde ein FEM-Modell entwickelt, um den Beitrag der Wärmestrahlung zum Gesamtwärmetransport durch poröse, semitransparente Materialien abschätzen zu können. Die Ergebnisse zeigen vorerst eine gute Übereinstimmung zu den analytischen Modellen, die experimentelle Bestätigung in Form der zuvor erwähnten Vergleichsmessungen steht allerdings noch aus. Weitere numerische Modelle dienen der Einschätzung von Toleranzgrenzen in der Heizplatten-Ebenheit und des Emissionsgrades der Heizplatten-Oberflächen im Hinblick auf deren Einfluss auf die Messunsicherheit. Experimentell wurde der Einsatz von Strahlungsschirmen zur Verringerung des unvermeidbaren radialen Wärmestromes über den Spalt zwischen Heizplatte und Schutzring im Plattengerät untersucht. Außerdem wurden nützliche Strahlungsmessdaten (normaler hemisphärischer spektraler Transmissionsgrad und quasi-normaler hemisphärischer Reflexionsgrad) zu mehreren Hochtemperatur-Wärmedämmstoffen ermittelt.

Die fachlichen Ergebnisse des EMRP-Vorhabens „Thermo“ sollen einem breiten Publikum – von Referenzlaboratorien über Normengremien bis zu Anwendern und Geräteherstellern – bekannt gemacht werden. Hierzu werden sie in Fachzeitschriften publiziert, in Normenkomitees eingebracht sowie auf Konferenzen und Workshops vorgestellt.

 

Ansprechpartner:

Dr. Ulf Hammerschmidt, SeSc 1.01, E-Mail: Opens window for sending emailulf.hammerschmidt(at)ptb.de