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Kann das Schalldämmmaß von Gebäuden auch bei tiefen Frequenzen angewendet werden?

16.06.2014

Lärm bei tiefen Frequenzen nimmt zu. Aber die Kenngröße zum Schutz gegen Lärm – das Schalldämmmaß – ist für diesen Bereich nicht definiert. Es wurde untersucht, ob es bei tiefen Frequenzen trotzdem noch anwendbar ist.

Zunehmender Straßenverkehr, die verbesserte Audio-Ausrüstung unserer Wohnungsnachbarn sowie an uns heranrückende Aggregate zur effizienten Energieerzeugung bis hin zu Windenergieanlagen bringen verstärkt Lärm mit sich, der bis zu sehr tiefen Frequenzen (1 Hz) reicht. Somit besteht ein Bedarf, Schallschutz von Gebäuden auch bei niedrigen Frequenzen zu beschreiben. Die hierfür bauaufsichtlich vorgeschriebene Kenngröße ist das Schalldämmmaß. Dieses  ist jedoch erst ab Frequenzen oberhalb 100 Hz anwendbar  – als unvermeidliche Folge des  Wunsches, die Schalldämmmaße der Elemente eines Gebäudes oder überhaupt einer Bauweise wie eine Materialeigenschaft zu behandeln, die vorab im Labor bestimmt werden kann und sich dann in einem hinsichtlich der Abmessungen beliebigen Bau genauso wiederfindet. Soweit dieser Wunsch überhaupt erfüllbar ist, erfordert er eine gleichmäßige Verteilung der Schallfelder in den Räumen (sog. "diffuse" Schallfelder), die aber nur gegeben ist, solange die beteiligten Wellenlängen viel kleiner als die relevanten geometrischen Abmessungen sind, d.h. eben frühestens von 100 Hz an aufwärts. Dem menschlichen Schutzbedürfnis wäre allerdings angesichts der zunehmenden Belastung mit einer schlichten  Nichtberücksichtigung  der tiefen Frequenzen nicht gedient.  Daher wurde untersucht, wie sich das Schalldämmmaß außerhalb seines Definitionsbereichs  bis zur Frequenz null herab verhält. Hierfür wurde eine Anordnung aus zwei Räumen und einer dämmenden Wand dazwischen angenommen. Berechnet wurden einerseits die Schalleistungen, die auf die Wand auftreffen bzw. von ihr durchgelassen werden, um daraus das Schalldämmmaß zu bilden, und andererseits die Schalldrücke in den Räumen, da sie es sind, die vom menschlichen Gehör wahrgenommen werden. Mit dem Modell sollte gezeigt werden, welchen Einfluss die mit abnehmender Frequenz immer deutlicher hervortretenden einzelnen Raum-Schwingungsmoden scheinbar auf das Schalldämmmaß der Wand ausüben und es damit in jedem Einzelfall schwer vorhersagbar und hinsichtlich einzuhaltender Anforderungen unsicher machen. Es wurde außerdem untersucht, wieweit "Schwachstellen" der Schalldämmung der Bauteile durch die modalen Raumschallfelder bei tiefen Frequenzen modifiziert werden. Hierzu wurde neben einer homogenen Einfachwand als trennendes Element auch eine Doppelwand mit einer Dickenresonanz von 50 Hz untersucht. Das verwendete Rechenmodell war eindimensional – Effekte in Querrichtung, wie zum Beispiel die Spuranpassung von Luft und Körperschallfeldern, sind bisher nicht berücksichtigt. Die Berechnungen ergaben Folgendes: Die Eigenschaften des "Senderaums" (in dem sich die Schallquelle befindet) beeinflussen die Schalldämmung nicht, da nur die auf die Wand auftreffende Leistung zu werten ist. Die Luftschall-Moden des Empfangsraumen sind als starke Einbrüche in der Schalldämmung erkennbar (siehe Bild 1), wobei es sich um tatsächliche Änderungen der Schalldämmung handelt, und nicht, wie bisher vermutet, um eine Unsicherheit der Messung einer an sich unveränderten Schalldämmung der Wand aufgrund der sehr ungleichmäßig verteilten Schalldrücke bei tiefen Frequenzen. Bei sehr niedrigen Frequenzen – in Bild 1 bei ca. 5 Hz – gibt es eine bisher nicht beachtete Resonanz aus der Trennwand-Masse und der Steife der Luftfeder des Empfangsraums. In diesem Frequenzbereich kann der Schalldruck im Empfangsraum höher werden als im Senderaum, obwohl das exakt errechnete Leistungsverhältnis positive Schalldämmwerte liefert.

Bild 1: Schalldämmmaß R einer Einfachwand, flächenbezogene Masse 40 kg/m².
Gestrichelt: Theoretischer Verlauf für unendliche Wand ohne angrenzende Räume.
Senderaumlänge: 3 m.  Empfangsraumlänge: 3 m.

Schließlich zeigt das Bild 2 – in dem das Schalldämmspektrum einer Doppelwand für Empfangsraumtiefen von 2,5 bis 15 m dargestellt ist – dass die angrenzenden Räume den Einbruch bei der Resonanzfrequenz praktisch nicht beeinflussen.  Die Untersuchungen geben einen ersten Anhalt, welche Effekte zu beachten sind, wenn künftig ein Konzept für ein Schalldämmmaß entwickelt wird, dass auch bei tiefsten Frequenzen sinnvolle, d.h. wahrnehmungsgerechte Werte liefert. Die Frage, wie sehr niedrige Frequenzen durch dem Menschen wahrgenommen werden, ist zur Zeit selbst noch Forschungsgegenstand.

Bild 2: Schalldämmmaß R einer Doppelwand (Resonanzfrequenz 50 Hz) bei Empfangsraumlängen von 2,5 bis 15 m.
Rote Linie = gemittelte Kurve.
Dünne grüne Linien = theoretischer Verlauf nach L. CREMER für unendliche Wände ohne Räume.

Ansprechpartner:

Werner Scholl, FB 1.7, E-Mail: werner.scholl@ptb.de