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Ballistische Experimente an Glasrepliken 300.000 Jahre alter, steinzeitlicher Levallois-Pfeilspitzen für die Archäologie

26.11.2012

In Kooperation mit dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) in Neuwied wurde im Rahmen eines DFG-Projektes ein Verfahren für reproduzierbare ballistische Experimente mit steinzeitlichen Speerspitzen entwickelt. Die Originale aus der Altsteinzeit waren zum einen individuell unterschiedlich, zum anderen war eine Zerstörung der Originale zu vermeiden. Daher dienten entsprechende identische Glasrepliken als reproduzierbare Versuchsobjekte. Die Speerspitzen wurden an einem kurzen Schaft befestigt, mit einer Druckluftbeschleunigungsanlage auf definierte Geschwindigkeiten gebracht und auf ein simuliertes Ziel gerichtet. Mit den Experimenten wurde dann ein systematischer Zusammenhang zwischen den Bruchspuren an den Pfeilspitzen und den ballistischen Parametern bzw. dem Jagdverhalten hergestellt.

In der Arbeitsgruppe „Dynamische Druckmessung“ der PTB wurde der zugehörige Versuchsaufbau entwickelt und zur Verfügung gestellt. Mit diesem Aufbau war es erstmals möglich, Einflussfaktoren wie Geschwindigkeit, kinetische Energie und Eindringwinkel systematisch und reproduzierbar voneinander zu untersuchen. Die zentrale Fragestellung hierbei war, ob Untersuchungen an den Bruchkanten prähistorischer bzw. reproduzierter Speerspitzen Hinweise auf deren Verwendung als Wurf oder Stoßwaffen zulassen. Bild 1 zeigt den Versuchsaufbau.

Bild 1: Luftdruckkanone zum Pfeilabschuss nebst geschwindigkeitsmessender Lichtschranke und einstellbarem Ziel

Das Ziel sollte möglichst realistisch und dennoch reproduzierbar einen Tierkörper mit Decke bzw. Schwarte, Muskelgewebe und Knochen simulieren. Die Deckschicht bestand aus Lederlappen, gefolgt von ca. drei Zentimetern ballistischer Gelatine, einer sechs Millimeter dicken Platte aus PU-Kunstknochen und weiteren acht Zentimetern Gelatine. Die auf diese Weise erzeugten Spuren an den gläsernen Duplikaten entsprachen oftmals tatsächlich denen auf originalen Fundstücken. Es konnte in einem ersten Ergebnis gezeigt werden, dass sich realistische Jagdspuren im Labor unter kontrollierten Bedingungen nachbilden lassen. Die Auswertung der Absplitterungen der Spitzen, siehe Bild 2, bezog die Suche nach sogenannten Wallner-Linien – mikroskopischen Brüchen, die sich auf einer starren Oberfläche ausbreiten – mit ein. Anhand dieser Wallner-Linien scheint es möglich, die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der eine Fläche gesprungen ist, und daraus auf die Aufprallgeschwindigkeit zurückzuschließen.

Bild 2: Replika- und Originalspitze, charakteristische Arten von Brüchen an Glasspitzen, die mit Originalfeuersteinfunden verglichen wurden konnten

Bereits in früheren Veröffentlichungen der archäologischen Fachwelt wurde darauf hingewiesen, dass sich bestimmte Absplitterungen an Speerspitzen konkreten Geschwindigkeiten zuordnen lassen. Sie zeigen an, ob die Waffe eher langsam aber kraftvoll gestoßen, geworfen oder mit hoher Geschwindigkeit unter Verwendung eines Hilfsmittels geschleudert wurde. Doch überzeugend wissenschaftlich belegt waren diese Annahmen bisher nicht. Reale Fluggeschwindigkeiten der Speere wurden in Vorversuchen bestimmt und mittels Literaturangaben verifiziert.
An den durch das RGZM zur Verfügung gestellten Abbildungen verschiedenartig gebrochener Glas- und Feuersteinspitzen konnten die Absplitterungen von Kopien und Originalen, anhand der Bereiche „dorsal“ (rückseitig) und „ventral“ (vorderseitig) der Artefakte, anschaulich gezeigt und gegenübergestellt werden. Der wesentliche Vorteil der durchgeführten Experimente besteht darin, dass jeweils die Historie des Geschosses (Fluggeschwindigkeit bzw. Auftreffenergie sowie Auftreffwinkel) genau bekannt war.

Ansprechpartner:

Holger Schönekeß, FB 1.3, AG 1.33, E-Mail: holger.schoenekess@ptb.de
Radu Iovita, Forschungsbereich Altsteinzeit des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Neuwied, E-Mail: iovita@rgzm.de