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Audiometrie mit reinen Tönen und schmalbandigen Testsignalen: Kalibrierung und Messunsicherheiten

15.10.2012

Die Bestimmung der Hörschwelle mit Tönen ist das gebräuchlichste und grundlegendste audiometrische Verfahren. Wie bei allen Messverfahren ist dabei die korrekte Kalibrierung eine entscheidende Voraussetzung für die Verlässlichkeit der Ergebnisse. In der Neufassung der Norm DIN EN ISO 8253-1 (Akustik – Audiometrische Prüfverfahren Teil 1: Grundlegende Verfahren der Luft- und Knochenleitungs Schwellenaudiometrie mit reinen Tönen) werden zusätzlich Angaben zur Berechnung eines Messunsicherheitsbudgets gemacht, um den im "Guide to the expression of uncertainty in measurement" (GUM) geforderten Umgang mit Messunsicherheiten gerecht zu werden. Unsere Forschungsarbeiten haben ergeben, dass die interindividuellen Streuungen der Gehörgangsgeometrie zu einer mit der Frequenz ansteigenden Unsicherheit der Hörschwellenbestimmung führen. Ein Bezug der individuellen Hörschwelle auf den individuellen Trommelfellschalldruck (und nicht auf mittlere Bezugshörschwellen) würde eine genauere Bestimmung der Hörschwelle erlauben.

Für die Kalibrierung eines Audiometers und eines bestimmten Wandlers (wie z. B. der Kopfhörer Sennheiser HDA 200, Telephonics TDH-39, des Einsteckhörers Etyomitc Research ER-3A oder für die Darbietung im freien oder diffusen Schallfeld) werden sogenannte äquivalente Bezugs-Schwellenschalldruckpegel (Reference Equivalent Threshold Sound Pressure Level (RETSPL)) benötigt, die in der Normenreihe DIN EN ISO 389 definiert sind. Diese Bezugs-Schwellenschalldruckpegel beschreiben die mittlere Hörschwelle eines Kontingents an normalhörenden Versuchspersonen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, die unter Laborbedingungen ermittelt wurde. DIN EN ISO 8253-1 spezifiziert sowohl Anforderungen an die Messgeräte und die Messumgebung als auch den prinzipiellen Ablauf einer audiometrischen Messung. Im Anhang A der DIN EN ISO 8253-1 werden zudem insgesamt acht Einflussgrößen auf die Gesamtunsicherheit der Hörschwelle bei Bestimmung mit reinen Tönen angeben. Bezüglich des Luftschallhörschwellenpegels sind die vier wichtigsten davon:

  • L'HT - der ermittelte Hörschwellenpegel. Wird die Messung unter identischen Bedingungen wiederholt, so ist aufgrund von Erfahrungswerten mit einer Standard-Unsicherheit von 2,5 dB (bis 4 kHz) bzw. 4 dB (ab 4 kHz) zu rechnen.
  • δeq - Abweichungen der benutzten audiometrischen Geräte vom Sollverhalten. Bei Geräten der Klassen 1 oder 2 entsprechend IEC 60645-1 (Audiometer – Teil1: Reintonaudiometer) wird hier eine Standard-Unsicherheit von 1,7 dB (bis 4 kHz) bzw. 2,3 dB (ab 4 kHz) angenommen. Diese Unsicherheiten erhöhen sich auf 2,3 dB bzw. 2,7 dB, wenn die Schrittweite der Hörpegelsteuerung 5 dB beträgt. Es wird außerdem davon ausgegangen, dass es keinen systematischen Fehler gibt, d.h. der Erwartungswert für δeq beträgt 0 dB.
  • δtrAbweichungen aufgrund nicht vollständig äquivalenter RETSPL-Werte in ISO 389, sowie Abweichungen, die durch den Sitz des Kopfhörers und individuelle anatomische und physiologische Merkmale des Probanden verursacht sind. Hierfür wird eine Standard-Unsicherheit von 2,9 dB (bis 4 kHz) bzw. 3,9 dB (ab 4 kHz) angenommen. Auch hier geht man davon aus, dass es keinen systematischen Fehler gibt.
  • δnEinfluss von Hintergrundgeräuschen. Für Probanden mit sehr gutem Gehör wird hierfür eine Standard-Unsicherheit von 2 dB angenommen. Bei Probanden mit erhöhter Hörschwelle oder bei sehr ruhigen Messumgebungen kann δn vernachlässigt werden.

Vergleicht man diese Schätzung mit gemessenen Streuungen des Hörschwellenpegels bei 20 normalhörenden jungen Versuchspersonen aus Schmidt et al. (2011) [1], kann man eine befriedigende Übereinstimmung konstatieren. Tatsächlich ist die experimentell beobachtete Streuung für Frequenzen unterhalb 4 kHz etwas höher, für Frequenzen zwischen 4 kHz und 9 kHz etwas niedriger als die Schätzung nach DIN EN ISO 8253-1, siehe Abbildung 1. Ein wesentlicher Beitrag zur Unsicherheit bei hohen Frequenzen ab etwa 6 kHz wird durch individuelle anatomische und physiologische Merkmale des Probanden verursacht. Diesen Teil der Unsicherheit könnte man verringern, wenn es gelänge, die Hörschwelle mit Bezug auf den Schalldruck am individuellen Trommelfell zuverlässig zu bestimmen, siehe Schmidt et al. (2011) [1]. Aufgrund der hohen Empfindlichkeit des Gehörgangs und des Trommelfells ist eine Messung direkt am Trommelfell unpraktikabel. Eine Messung des Schalldrucks am Anfang des Gehörgangs und anschließende Schätzung des Schalldrucks am Trommelfell unter Anwendung bestimmter Modelle erscheint dahingegen sinnvoller, ist jedoch bis heute noch Forschungsgegenstand.

Bild 1:  Geschätzte interindividuelle Standardabweichung (gestrichelt) für Hörschwellenpegel, die mit einem automatisch registrierenden Audiometer mit durchstimmbarer Frequenz ermittelt wurden, für 20 linke Ohren (grau gestrichelt) und 20 rechte Ohren (schwarz gestrichelt). Die sich aus Anhang A von DIN EN ISO 8253-1 ergebende kombinierte Unsicherheit ist als durchgezogene schwarze Linie dargestellt.

Literatur:

[1]  Schmidt J.-H., Mauermann M., Blau M. (2011): "Streuung der Hörschwelle von Normalhörenden für Frequenzen oberhalb 1 kHz bei Bezug auf den Schalldruck im Ohrsimulator, im Freifeld und am Trommelfell". DAGA 2011 Düsseldorf.

Ansprechpartner:

Jan-Henning Schmidt, FB 1.7, AG 1.72, E-Mail: jan-henning.schmidt@ptb.de
Thomas Fedtke, FB 1.6, AG 1.61, E-Mail: thomas.fedtke@ptb.de