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Ein neuer Weg zur Auslösung otoakustischer Emissionen

14.01.2011

Das menschliche Ohr ist kein passives Sinnesorgan: Wird ein gesundes Ohr mit zwei reinen Tönen stimuliert, die eine kleine musikalische Terz auseinander liegen, reagiert es darauf, indem es den zugehörigen Grundton des Dur-Dreiklangs erzeugt. Dieser, aus dem Innenohr stammende, unhörbar leise Ton wird Distorsionsprodukt-Otoakustische Emission, abgekürzt „DPOAE”, genannt und kann über eine im Gehörgang platzierte Sonde ausgelöst und gemessen werden. Üblicherweise werden zur Auslösung von DPOAEs zwei Miniaturlautsprecher in der Ohrsonde verwendet. In einer innovativen Studie haben wir eine kombinierte Stimulation von otoakustischen Emissionen untersucht, bei der ein Ton wie üblich über einen Miniaturlautsprecher dargeboten und ein zweiter Ton über einen auf den Schädel gesetzten Schwingungserreger appliziert wurde. Diese kombinierte Stimulation erzeugte nachweisbare DPOAEs.

Ein früher Nachweis von Hörbeeinträchtigungen ist unerlässlich, um deren negative Folgen auf die Entwicklung der Kommunikations- und Lernfähigkeiten des Menschen möglichst gering zu halten. Ein etablierter objektiver Hörtest zur Beurteilung der Innenohrfunktionalität ist der Nachweis von otoakustischen Emissionen. Ein solcher Test erfordert keine Mitarbeit des Patienten und eignet sich daher auch zur Untersuchung des Hörvermögens von Neugeborenen oder Kleinkindern.

Distorsionsprodukt-Otoakustische Emissionen (DPOAEs) stellen eine Antwort des Innenohres auf zwei reine Töne (Stimuli) dar, deren Frequenzverhältnis einer musikalischen kleinen Terz entspricht (d.h. f2/f1 = 1,2). Diese Reintöne werden dem Ohr über zwei Miniaturlautsprecher dargeboten, die sich in einer Ohrsonde befinden. Das Vorhandensein von DPOAEs weist auf ein gut funktionierendes Innenohr hin. Allerdings kann die Aussagekraft dieser Tests dadurch beeinträchtigt werden, dass auf Grund einer ungenauen Einstellung (Kalibrierung) der Stimuli trotz intakten Innenohres keine DPOAEs nachgewiesen werden können.

In unserer Studie [1] wurden DPOAEs über Luft- und Knochenleitung in einer bisher noch nicht angewendeten „kombinierten” Prozedur stimuliert. Der Ton (f1) wurde mit einem Sondenlautsprecher und der Ton (f2) mittels eines hinter demselben Ohr einer Testperson aufgesetzten Schwingungserregers (sog. Knochenleitungshörer) dargeboten (siehe Bild 1). Der über Lautsprecher gegebene Ton (f1) wird durch den Gehörgang und über die Mittelohrkette zum Innenohr geführt. Dagegen gelangt der über Knochenleitungshörer präsentierte Ton (f2) direkt zum Innenohr und unterliegt nicht den Kalibrierfehlern, die im Gehörgang auftreten.

Prozedur zur Registrierung von otoakustischen Emissionen, ausgelöst durch die kombinierte Stimulation mit zwei Reintönen (f1, f2). Der erste Ton f1 wird über Luftleitung (über einen Sondenlautsprecher) und der zweite Ton f2 über Knochenleitung (mit einem auf das Mastoid gesetzten Knochenleitungshörer) dargeboten. Die otoakustischen Distorsionsprodukte (Pegel: LDP) werden mit dem Sondenmikrofon gemessen und in einem sog. „DP-Gramm“ über der Frequenz f2 dargestellt.

Bild 1: Prozedur zur Registrierung von otoakustischen Emissionen, ausgelöst durch die kombinierte Stimulation mit zwei Reintönen (f1, f2). Der erste Ton f1 wird über Luftleitung (über einen Sondenlautsprecher) und der zweite Ton f2 über Knochenleitung (mit einem auf das Mastoid gesetzten Knochenleitungshörer) dargeboten. Die otoakustischen Distorsionsprodukte (Pegel: LDP) werden mit dem Sondenmikrofon gemessen und in einem sog. „DP-Gramm“ über der Frequenz f2 dargestellt.

Die kombinierte Stimulation von DPOAEs bietet die Möglichkeit, die beiden Reintöne (f1 und f2 in Bild 1) über den jeweils anderen akustischen Übertragungsweg (Knochen- bzw. Luftleitung) erneut darzubieten und die Messung in derselben Sondenposition zu wiederholen. Damit kann auf einfache Weise die Einstellung der im Innenohr wirksamen Stimuluspegel beurteilt werden. Das Vorhandensein einer DPOAE in einer Konfiguration und deren Abwesenheit in der anderen (nach Vertauschen der Signalübertragungswege) ist kein Zeichen für ein pathologisches Innenohr, sondern vielmehr ein Beleg für eine ungünstige Einstellung der Stimuluspegel, die dazu geführt hatte, dass trotz eines funktionierenden Innenohres keine DPOAE ausgelöst wurde.

Literatur:

[1] M. Zebian, J. Hensel and T. Fedtke, "Estimulación combinada de otoemisiones acústicas por vía aérea y vía ósea", 41º Congreso Nacional de Acústica | 6º Congreso Ibérico de Acústica, vol. León, 2010. Download (auf Spanisch): www.sea-acustica.es/Leon10/AFP%20002.pdf

Ansprechpartner:

Makram Zebian, FB 1.6, AG 1.61, E-mail: makram.zebian@ptb.de