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Dynamische Drehmomentkalibrierung durch Modellparameter-Identifikation

24.09.2014

Im Rahmen des europäischen Metrologieforschungsprogrammes EMRP wurden im gemeinsamen Forschungsprojekt IND09 „Rückführbares dynamisches Messen mechanischer Größen“ Methoden zur dynamischen Kalibrierung von Drehmomentaufnehmern entwickelt [1]. Ziel der Forschung ist ein Verfahren zur Bestimmung des dynamischen Verhaltens der untersuchten Drehmomentaufnehmer mit Hilfe eines mechanischen Modells, einer sogenannten modellbasierten Kalibrierung.

Die Parameter des Modells beschreiben hierbei die dynamischen Eigenschaften des Aufnehmers und sollen auf Basis von Messdaten identifiziert werden. Dynamische Messungen werden dazu mit einer eigens hierfür entwickelten dynamischen Drehmoment-Messeinrichtung durchgeführt, die in Bild 1 dargestellt ist.

Bild 1: Dynamische Drehmomentmesseinrichtung mit Drehmomentaufnehmer.

Für die Bestimmung der Modellparameter des Drehmomentaufnehmers muss das Modell des Aufnehmers um die Messeinrichtung erweitert werden. Drehmomentaufnehmer sind immer an beiden Enden mechanisch mit der Umgebung gekoppelt. Daher kann die Ankopplung das Verhalten des Aufnehmers beeinflussen und muss, wie hier im Fall der Kalibrierung, mit einbezogen werden. Die verschiedenen Modellkomponenten der Messeinrichtung und des Aufnehmers sind Bild 2 dargestellt.

Bild 2: Modell mit zugeordneten Komponenten der Messeinrichtung (blau) und Aufnehmer (orange). Die erfassten Winkelpositionen \(\varphi_{\text{i}}\) sind links dargestellt.

Das Modell von Aufnehmer und Messeinrichtung besteht aus einer Reihenschaltung von gekoppelten  Massenträgheitsmomenten \(J\), die mittels Torsionsfeder-/Dämpferkombinationen (\(c\), \(d\)) verbunden sind.
Für eine Identifikation der unbekannten Parameter des Drehmomentaufnehmer ist es unerlässlich, dass die Modelleigenschaften der Messeinrichtung bekannt sind, weshalb diese Parameter zuvor mit eigens dafür entwickelten Einrichtungen bestimmt wurden [2, 3].

Das Modell für Aufnehmer und Messeinrichtung ist linear und zeitinvariant. Mathematisch wird es als inhomogenes Differentialgleichungssystem beschrieben, und es gilt:

 

 $$ J\ddot{\varphi}+D \dot{\varphi}+C \varphi=M\text{.}$$

Hierbei kennzeichnet  \(J\) die Massenträgheitsmomentsmatrix,  \(C\) die Steifigkeitsmatrix,  \(D\) die Dämpfungsmatrix,  \(\varphi\), \(\dot{\varphi}\), \(\ddot{\varphi}\)  die Winkel-, Winkelgeschwindigkeits- und Winkelbeschleunigungsvektoren, sowie \(M\) die erzwungenen Schwingungen des Rotationserregers.

Für die Modellparameteridentifikation werden zwei Übertragungsfunktionen bestimmt, die jeweils aus den Messdaten ermittelt werden. Diese Übertragungsfunktionen beschreiben das dynamische Verhalten des oberen und unteren Teils der Messeinrichtung. Mit dem Differentialgleichungssystem lassen sich aus den Übertragungsfunktionen die zugehörigen Modellparameter errechnen.

Die Winkelpositionen oberhalb und unterhalb des Aufnehmers \(\varphi_{\text{H}}\), \(\varphi_{\text{B}}\) lassen sich nicht direkt messen, können aber unter der Annahme der Proportionalität von Aufnehmersignals \( u_{\text{DUT}}(t)\) zur Torsion \(\varphi_{\text{H}}\) - \(\varphi_{\text{B}}\) mit Hilfe eines Proportionalitätsfaktors \(\rho\) beschrieben werden.

$$ u_{\text{DUT}}(t)=\rho\cdot(\varphi_{\text{H}}(t)-\varphi_{\text{B}}(t))=\rho\cdot\triangle_{\text{HB}}(t)\text{.}$$

Bild 3: Übetragungsfunktionen für die Modellparameteridentifikation.

Mit den Messergebnissen \(u_{\text{DUT}}(t)\), \(\varphi_{\text{M}}\), \(\varphi_{\text{E}}\) lassen sich durch nichtlineare Approximation die Modellparameter identifizieren.
Für eine Analyse der Empfindlichkeit der zwei Übertragungsfunktionen auf Änderungen der Aufnehmerparameter wurden zwei typische Aufnehmer simuliert. Es zeigte sich, dass abhängig vom Aufnehmer manche Parameter schwer bestimmbar sein können, wenn sie die Übertragungsfunktion kaum beeinflussen. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass die Parameteränderungen keinen nennenswerten Einfluss auf das dynamische Verhalten der Messeinrichtung haben.

Detailliert wird das Verfahren in [4] beschrieben.

Literatur:

[1] C. Bartoli et al., "Traceable Dynamic Measurement of Mechanical Quantities: Objectives and First Results of this European Project" in International Journal of Metrology and Quality Engineering; 3, 127–135 (2012)
DOI: 10.1051/ijmqe/2012020

[2] L. Klaus, Th. Bruns, M. Kobusch, "Modelling of a Dynamic Torque Calibration Device and Determination of Model Parameters" in ACTA IMEKO Vol. 3, No. 2 (2014), pp. 14-18,  online unter:
http://acta.imeko.org/index.php/acta-imeko/article/view/IMEKO-ACTA-03%20%282014%29-02-05/253

[3] L. Klaus, M. Kobusch, "Experimental Method for the Non-Contact Measurement of Rotational Damping" in Proc. of Joint IMEKO International TC3, TC5 and TC22 Conference, 2014, Cape Town, South Africa, online unter:
http://www.imeko.org/publications/tc22-2014/IMEKO-TC3-TC22-2014-003.pdf

[4] L. Klaus, B. Arendacká, M. Kobusch, Th. Bruns, “Model Parameter Identification from Measurement Data for Dynamic Torque Calibration” in Proc. of Joint IMEKO International TC3, TC5 and TC22 Conference, 2014, Cape Town, South Africa, online unter:
http://www.imeko.org/publications/tc3-2014/IMEKO-TC3-2014-018.pdf

Ansprechpartner:

Leonard Klaus, FB 1.7, AG 1.73, E-Mail: Opens window for sending emailleonard.klaus(at)ptb.de
Michael Kobusch, FB 1.7, AG 1.73, E-Mail: Opens window for sending emailmichael.kobusch(at)ptb.de