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Modellierung aktiver Flüssigkeiten

Besonders interessant für:
  • Grundlagenforschung
  • Materialwissenschaften

Eine aktive Flüssigkeit besteht aus einer großen Menge mikroskopischer Schwimmer (etwa Bakterien), die sich im Wasser fortbewegen. Eine solche Flüssigkeit zeigt ein sehr spezielles Fließverhalten. Die PTB hat zusammen mit der Universität Cambridge, UK, ein theoretisches Modell entwickelt, mit dem sich solche Bewegungen berechnen lassen.

Geschwindigkeitsfeld der aktiven Flüssigkeit, dargestellt als zweidimensionaler Schnitt aus einem dreidimensionalen Volumen. Die Farbkodierung zeigt die Stärke und Richtung der Wirbel.

Eine aktive Flüssigkeit verhält sich erstaunlich anders als eine gewöhnliche Flüssigkeit: Dort, wo diese laminar, also störungsfrei fließt, zeigen sich in der Bakterienflüssigkeit chaotische Strömungen und Wirbel – also eine ganz andere Fließdynamik. Denn während eine normale Flüssigkeit durch Einflüsse von außen bewegt wird, stammt bei der Bakterienflüssigkeit der Antrieb aus ihrem Inneren, nämlich von den Geißeln oder Flagellen der Bakterien.

Zur Modellierung einer derartigen Flüssigkeit wurde die Navier-Stokes-Gleichung um eine Instabilität erweitert, die aus der Musterbildung bekannt ist. Dann beschreibt die Gleichung Strömungsmuster bei nicht vorhandenem äußeren Antrieb. Direkte numerische Simulationen wurden in einer detaillierten Turbulenzanalyse mit Strömungsstrukturen aus in Cambridge durchgeführten Experimenten mit Bacillus-subtilis-Bakterien verglichen. Obwohl die vorgeschlagene Gleichung eine relativ einfache Struktur aufweist, stimmen die Ergebnisse quantitativ sehr gut überein. Von denen in gewöhnlicher Turbulenz unterscheiden sich die gefundenen chaotischen Strukturen allerdings qualitativ dadurch, dass Wirbel mit einer charakteristischen Größe auftreten. Für die Simulationen wurde an der PTB ein Pseudospektral- Algorithmus mit Anti- Aliasing entwickelt, der die partiellen Differenzialgleichungen in ein System gewöhnlicher nichtlinearer Differenzialgleichungen überführt. Dieses wurde mithilfe einer Operatorsplitting- Methode gelöst, die den linearen Anteil exakt behandelt. Das Strömungsfeld der Bakterien wurde für jede Messung eine Minute lang aufgezeichnet, während die dazugehörige Simulation auf dem PTB-Computercluster einige Tage benötigte.

So konnte erstmals ein Modell für die Turbulenz in einer Bakterienflüssigkeit existiedirekt mit experimentellen Daten verglichen und Modellparameter bestimmt werden. Mithilfe des neuen Modells lassen sich auch schwer messbare Größen wie z. B. die Elastizität oder anisotrope Viskosität dieser aktiven Flüssigkeit ermitteln.

Wissenschaftliche Veröffentlichung:

J. Dunkel, S. Heidenreich, K. Drescher, H. H. Wensink, M. Bär, R. E. Goldstein: Fluid dynamics of bacterial turbulence. Phys. Rev. Lett. 110, 228102 (2013)