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Heft 2: Metrologie für die Energiewende

PTB-Mitteilungen 2/2022

Inhaltsverzeichnis/Abstract

Einleitung

Fabian Plag

Mit der Energiewende hat Deutschland sich das Ziel gesetzt, innerhalb weniger Jahrzehnte ein grundlegend neues, nachhaltiges, dezentrales Energiesystem zu schaffen, das nahezu ohne CO2-Emissionen auskommt. Diese Transformation vor dem Hintergrund aktueller geopolitischer Entwicklungen und seiner Auswirkung auf die Energiesicherheit in Deutschland und Europa ist eine Mammutaufgabe. Als nationales Metrologieinstitut will die PTB alle Akteure – von der Industrie über die Politik bis zum Verbraucher – dabei unterstützen. Denn verlässliche Messungen sind die Voraussetzung für Sicherheit, Effizienz und Verbraucherschutz.

Metrologie für die Windenergie: Das neue PTB-Kompetenzzentrum für Windenergie (CCW)

Julia Hornig, Karin Kniel, Rolf Kumme, Frank Härtig

Einen zentralen Wendepunkt in der deutschen Energiepolitik des 21. Jahrhunderts stellt die Nuklearkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi („Fukushima I“) im März 2011 dar. Beschloss doch der Deutsche Bundestag als Konsequenz aus dieser Katastrophe am 30. Juni 2011 mit der Verabschiedung des dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes [1] den sukzessiven Atomausstieg bis 2022 und verlieh damit der deutschen Energiewende eine neue Dynamik. Ziel der Energiewende ist die grundlegende Transformation des Energiesystems weg von der auf Kernenergie und fossilen Energieträgern beruhenden Energieerzeugung hin zu einer nachhaltigen und effizienten, auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung. So sollen auf Grundlage des im Juni 2020 verabschiedeten „Integrierten Nationalen Energie- und Klimaplans“ (National Energy and Climate Plan (NECP)) [2] bis zum Jahr 2030 u. a. die Treibhausgasemissionen Deutschlands um mindestens 55 % gegenüber 1990 gesenkt sowie der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch auf 30 % und am Bruttostromverbrauch auf 65 % ausgebaut werden. Als langfristiges europäisches Ziel soll bis zum Jahr 2050 die Treibhausgasneutralität erreicht werden („Dekarbonisierung“).

Untersuchungen zur Wechselwirkung von Windkraftanlagen mit terrestrischen Navigationssystemen

Thomas Kleine-Ostmann, Thorsten Schrader

Flugsicherheit vs. Energiewende

Die Energiewende in Deutschland erfordert den Bau zahlreicher neuer Windkraftanlagen. Neben dem Ausbau von Windparks vor der Küste gewinnt auch das sogenannte Repowering an Bedeutung, bei dem alte, kleinere Windkraftanlagen durch neue, große ersetzt werden. Im Jahr 2019 wurden trotz des riesigen Bedarfs in Deutschland nur 35 neue Windkraftanlagen genehmigt. Die geringe Anzahl an Baugenehmigungen resultierte dabei nicht nur aus der Berücksichtigung von Umweltaspekten (z. B. Vogelschutz) und Akzeptanzproblemen bei der Bevölkerung (Mindestabstände zur Wohnbebauung, Infraschall) sondern vor allem aus den Schutzanforderungen für terrestrische Navigationssysteme und Radaranlagen der Luftfahrt.

Insbesondere die 59 in Deutschland betriebenen Drehfunkfeuer verhindern oftmals die Genehmigung der Bauanträge. Die Drehfunkfeuer (engl. Very High Frequency Omnidirectional Radio Range – VOR) strahlen Funksignale im Frequenzbereich zwischen 108 MHz und 117,95 MHz ab, aus deren Empfang das Luftfahrzeug den Richtungswinkel zur Sendeanlage ableiten kann. Beim Standard-VOR (engl. Conventional VOR – CVOR) ist die Richtungsinformation in der Differenzphase zwischen einem mit 30 Hz frequenzmoduliertem omnidirektional abgestrahlten Referenzsignal und einem mit 30 Hz auf einem Antennenkreis umlaufend abgestrahlten Signal kodiert. Beim Doppler- VOR (engl. Doppler VOR – DVOR) ist das 30 Hz Referenzsignal amplitudenmoduliert und das auf dem Antennenkreis umlaufend abgestrahlte Signal erzeugt durch den Doppler-Effekt eine Frequenzmodulation, deren Phase von der Richtung des Empfängers im Flugzeug zum Standort des DVOR abhängt.

Metrologie für die Photovoltaik

Stefan Winter, Ingo Kröger, Stefan Riechelmann

Die Photovoltaik wird eine tragende Säule der zukünftigen Energieversorgung Deutschlands und der Welt sein [1]. Derzeit werden jedes Jahr weltweit rund 120 Mrd. in photovoltaische Einrichtungen investiert [2], jedes Prozent Messunsicherheit in der Bestimmung der Modulleistung resultiert daher in einer finanziellen Unsicherheit von rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Finanzielle Unsicherheiten stellen jedoch ein Hemmnis bei Investitionen dar, denn aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks bei Ausschreibungen für große Solarparks liegt deren Gewinnmarge im unteren einstelligen Prozentbereich. Eine Rückführungskette mit möglichst niedrigen Messunsicherheiten führt daher zu einer geringeren finanziellen Unsicherheit beim Aufbau von solaren Kraftwerken. Zur metrologischen Absicherung dieses Teils der Energiewende sowie zur Unterstützung der in den Bereichen Kalibrierdienstleistung und PV-Messtechnik auf dem Weltmarkt weiterhin führenden deutsche Firmen baut die PTB daher ein Kompetenzzentrum PV-Metrologie auf. Es erweitert den seit den 80er Jahren an der PTB ansässigen und seit Jahren weltweit führenden Bereich der Solarzellenkalibrierung um umfassende Kalibrierdienstleistungen für ertragsrelevante Größen von Solarmodulen. Perspektivisch soll mit einer Erweiterung auf Solarparks die gesamte Kalibrierkette von der Solarzelle über das Solarmodul zum PV-System metrologisch abgedeckt werden.

Metrologie für die Integration erneuerbarer Energie in elektrische Energienetze

Enrico Mohns, Johann Meisner, Stephan Passon, Matthias Schmidt, Florian Schilling, Jannes Langemann, Christoph Leicht

Auf das Elektrizitätsnetz mit seinen derzeitigen, noch überwiegend fossilen oder nuklearen Kraftwerken, aber auch den bisher installierten erneuerbaren Energiequellen, wie Windkraft, Photovoltaik, Biomasse oder im geringeren Umfang auch der Wasserkraft, kommt im Rahmen der Energiewende eine neue zentrale Rolle zu. Getrieben von den Erfordernissen den CO2-Ausstoß zukünftig über alle Sektoren stark zu reduzieren und ab 2045 Klimaneutralität zu erreichen, werden erzeugerseitig zentrale Großkraftwerke auf Basis fossiler oder nuklearer Energieträger durch eine Vielzahl kleinerer dezentraler Erzeuger auf Basis erneuerbarer CO2-neutraler Energien ersetzt werden. Die größte Rolle bei den erneuerbaren Energiequellen spielen Windkraftanlagen und Photovoltaik. Auf der Verbraucherseite sind ebenfalls größere Änderungen zu erwarten. Die stark vorangetriebene Elektrifizierung der Mobilität wird perspektivisch dafür sorgen, dass der Energieverbrauch steigt. Auch ist zu erwarten, dass beispielsweise für die Erzeugung von Wärme zunehmend Wärmepumpen zum Einsatz kommen, um den Verbrauch von Öl und Gas weiter verringern zu können.

Metrologie und Sicherheit für Batterien

Burkhard Beckhoff, Stefan Essmann, Thomas Horn, Frank Lienesch, Steffen Seitz, Stefan M. Sarge, Claudia Zech

Batterien werden in Deutschland und weltweit milliardenfach genutzt. Im Bereich der portablen elektrischen Geräte haben sich Lithium-Ionen- Batterien aufgrund ihrer hohen Energiedichte und der großen nutzbaren Zyklenanzahl vorerst durchgesetzt. Durch das Ziel der Europäischen Union, die Treibhausgasemissionen stark zu reduzieren [1], wird die Elektromobilität weiter an Bedeutung gewinnen [2]. So hat die Europäische Kommission im Juli 2021 im Rahmen des „Fit-for-55“-Pakets zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen beschlossen, dass Neuwagen ab 2035 emissionsfrei sein müssen [3]. Das Ziel der Null-Emissionen im gesamten Energiemix kann nur erreicht werden durch einen massiven Ausbau an regenerativen Energien. In einem intelligenten Energienetz der Zukunft mit einer großen Menge an fluktuierenden Stromproduzenten werden stationäre Batteriespeicher eine wichtige Rolle spielen. Insgesamt wird damit der Bedarf an Batterien weiter steigen. In diesem Zusammenhang sieht die Europäische Kommission einen großen Bedarf an Forschung und Standardisierung zur Verbesserung der Leistung, Sicherheit und Nachhaltigkeit von Batterien [4]. Dies wird sich auch in der Neufassung der Batterie- Richtlinie der EU widerspiegeln [5]. Zusätzlich wird strategisch der Auf- und Ausbau einer europäischen Batterieproduktion gefördert [6]. Hier ist verlässliche Messtechnik notwendig, um die knappen Ressourcen für Batterien bestmöglich zu nutzen und hochqualitative Produkte auf dem Markt anzubieten. Die Bundesregierung fördert außerdem Grundlagenforschung für die Batterien der Zukunft, die wahrscheinlich auf eine andere Zellchemie setzen werden als Lithium-Ionen-Batterien [7]. Die politischen Vorgaben werden von der europäischen Forschungsgemeinschaft in einer Vielzahl von Projekten umgesetzt [8].

Renewable and alternative fuels for a future energy system

Sumit Agarwal, Bert Anders, Stefan Essmann, Ravi Fernandes, Holger Grosshans, Detlev Markus, Kai Moshammer, Solmaz Nadiri, Bo Shu

The Paris Climate Agreement of 2015 specifies a global framework to combat climate change. Global warming is to be kept well below 2 °C; the temperature rise is to be limited to 1.5 °C through further measures. The nearly 190 parties to the Paris Agreement include the EU and its member states. In June 2021, Germany raised its climate targets and adopted binding emissions targets for the years up to 2045 – instead of 2050 as previously planned. To achieve these climate targets, a significant reduction in CO2 emissions is necessary. Much has already been achieved in the energy sector as a result of the decarbonization of power generation through greater expansion of capacities for renewable primary energy sources and the accelerated phase-out of coal-fired power generation. Thus, in contrast to the heat supply, mobility or industry sectors, the energy sector is making a disproportionate contribution to the reduction of greenhouse gas emissions to date. To achieve this in the other sectors as well, a further increase in the share of renewable primary energy sources and the integration of the sectors are required. For storage and transport of the electrical power generated by energy conversion, various utilization paths within the different sectors are possible, taking advantage of the existing electricity and gas grids. The necessary coupling of the sectors can be achieved by various technologies, whereby the conversion of electrical energy to hydrogen will be of particular importance in the future. On the one hand, surplus primary energy can thus be stored in the medium and long term. Furthermore, hydrogen offers various utilization paths. Hydrogen can be distributed as an admixture via the existing gas infrastructure and stored in salt caverns. The direct use of hydrogen in the industrial sector can help achieve climate targets, particularly in the steel, cement, and chemical industry.

Mengenmessung von Wasserstoff und Wasserstoff-Erdgas-Gemischen

Helmut Többen, Rainer Kramer, Bodo Mickan, Hans-Benjamin Böckler

Nationale und internationale Bestrebungen zielen auf eine deutliche Reduzierung der Emissionen des bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehenden klimaschädlichen Kohlenstoffdioxids ab. So sehen die Nationale Wasserstoffstrategie [1] und der European Green Deal [2] im Zentrum eines Maßnahmenpaketes zur Umgestaltung der nationalen und europäischen Energiesysteme die stoffliche und energetische Nutzung von grünem Wasserstoff mit seinen vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten in der Energieversorgung, der Industrie und der Mobilität.

Eichrechtskonforme Abrechnung von wasserstoffhaltigem Erdgas

Stefan M. Sarge

Eine ungeregelte Einspeisung von Wasserstoff in ein Verteilnetz führt zu Problemen bei der eichrechtskonformen Bestimmung der dem Endverbraucher gelieferten Energiemenge. Dies betrifft insbes. die Bestimmung des Brennwertes, da die derzeit geltenden Technischen Regeln für reines Erdgas entwickelt wurden und für stark wasserstoffangereichertes Erdgas nur beschränkt anwendbar sind. Gasbeschaffenheits- und Brennwertmessgeräte für einen Wasserstoffanteil bis 20 % sind Stand der Technik. In Verteilnetzen mit Mehrseiteneinspeisung, in denen eine Brennwertmessung wirtschaftlich unzumutbar ist, führt die Beschränkung der Bandbreite für den Brennwert der eingespeisten Gase auf 4 % (sog. 2%-Grenze) zu einer Begrenzung der einzuspeisenden Menge Wasserstoff auf ca. 5 %. Es besteht zusätzlicher Forschungsbedarf, um den Einsatzbereich von Gasbeschaffenheitsverfolgungs- und ähnlichen Verfahren auf stark vermaschte, bei geringem Druck betriebene Verteilnetze auszudehnen.