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Überwachung nach dem Schlag

Neues PTB-Messgerät vereinfacht die Kontrolle bei Schlaganfall-Patienten

21.09.2010

Der Schlaganfall ist die zweithäufigste Todesursache in den Industrienationen. Ein Drittel der Überlebenden muss schwere, andauernde Behinderungen hinnehmen. Allein in Deutschland erleiden jährlich etwa eine Viertelmillion Menschen einen Schlaganfall. Sowohl die persönlichen Auswirkungen als auch die volkswirtschaftlichen Folgekosten sind enorm. Je schneller die Erkrankten in ein geeignetes Krankenhaus mit Schlaganfall-Spezialstation gebracht werden, umso besser ist ihre Prognose. Dort sollte der Zustand der Patienten in den ersten Stunden und Tagen möglichst permanent überwacht werden. Ein neues kompaktes, mobiles Messgerät, das Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zusammen mit Kooperationspartnern entwickelt haben, kann nun direkt am Krankenbett eingesetzt werden und für einfachere und häufigere Messung der Hirndurchblutung sorgen. Damit ist erstmals eine Überwachung der Patienten direkt auf der Intensivstation möglich. Das Messverfahren könnte die Messungen an den "Stroke Units" optimal ergänzen.

Direkt nach einem Schlaganfall muss die Hirndurchblutung möglichst permanent überwacht werden.

Vier von fünf Schlaganfällen sind ischämische Infarkte. Dabei verengt sich eine Schlagader oder verschließt sich ganz. Die Folge: Die Durchblutung im Gehirn wird verringert, im schlimmsten Fall sterben Hirnareale ab. Für die Therapie ist es entscheidend, die Hirndurchblutung (Perfusion) möglichst gründlich zu beobachten - vor allem früh nach der Diagnose und während der kritischen Zeit auf der Intensivstation. An speziellen Schlaganfallstationen, auch "Stroke Units" genannt, lässt sich bereits heute die Hirndurchblutung gut messen. Dabei wird meist eine kleine Menge eines Kontrastmittels einmalig intravenös verabreicht und die Wanderung dieses Kontrastmittel-Bolus durch das Gehirn mit Hilfe bildgebender Verfahren verfolgt, etwa mit der perfusionsgewichteten Magnetresonanztomographie ("Perfusions-MRT") oder der Perfusions-Computertomographie. Diese Verfahren liefern erstklassige Bilder, anhand derer Neurologen und Neuroradiologen geeignete Therapien festlegen. Leider sind die benötigten Geräte groß und die Untersuchungen teuer, sodass oftmals nur wenige Messungen pro Patient vorgenommen werden können. Zudem müssen die Betroffenen in spezielle Untersuchungsräume gebracht und auf spezielle Liegen umgebettet werden - ein für Patienten unangenehmes und für das medizinische Personal umständliches Verfahren.

Daher hat die PTB zusammen mit dem Centrum für Schlaganfallforschung Berlin (das maßgeblich auch an der Aufklärungskampagne "Berlin gegen den Schlaganfall" beteilig ist) und mit Kollegen vom Institut für Biokybernetik und Biomedizinische Technik der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau ein Verfahren entwickelt, das die kontinuierliche Überwachung am Krankenbett wesentlich vereinfacht. Das in der PTB entwickelte optische Perfusions-Messgerät nutzt die zeitaufgelöste Nahinfrarot-Reflektometrie. Dabei werden kurze, völlig harmlose Laserimpulse über Lichtleiter-Kabel an einer speziellen Kappe in den Kopf des Patienten eingestrahlt. Das optische Kontrastmittel Indocyanin-Grün wird intravenös verabreicht. Dieser Farbstoff wird seit Jahren in der Augenheilkunde oder der Leberfunktionsdiagnostik eingesetzt, ist ungefährlich und wird nach einigen Minuten vollständig abgebaut und später ausgeschieden. Er verändert während seiner Verweildauer im Blut die optischen Eigenschaften des beleuchteten Gewebes und damit auch die reflektierten Lichtimpulse. Aus diesen Veränderungen lassen sich Informationen zur Wanderung des Bolus und damit zur Hirnperfusion ableiten.

In einer Pilotstudie in der Schlaganfallstation an der Neurologischen Klinik der Charité konnten bei mehreren Patienten erfolgreich Untersuchungen mit einem zugelassenen Funktionsmuster der PTB durchgeführt werden. Die Messungen lieferten sehr gute Ergebnisse im Vergleich mit klinischen Befunden und mit den etablierten bildgebenden Verfahren. Durch Wiederholungsmessungen konnte der Verlauf der Erkrankung und der Erfolg eines gefäßchirurgischen Eingriffs zur Beseitigung einer Gefäßverengung effektiv verfolgt werden.

Das entwickelte Messverfahren kann sich zwar in puncto räumlicher Auflösung nicht mit den etablierten stationären Verfahren messen, ist dafür aber deutlich billiger und, dank des kompakten mobilen Messgerätes, direkt am Patientenbett einsetzbar. Die einzelnen Messungen können daher vergleichsweise häufig, beispielsweise halbstündlich, erfolgen und nicht nur im Abstand von Tagen, wie bislang. Damit könnte die positive Bilanz der Überwachung von Schlaganfallpatienten mit Hilfe der Stroke Units noch weiter verbessert werden.

Ansprechpartner
Prof. Dr. Rainer Macdonald, PTB-Fachbereich 8.3 Biomedizinische Optik,
Telefon: (030) 3481-7542,
E-Mail: rainer.macdonald(at)ptb.de

Dr. Oliver Steinkellner, PTB-Arbeitsgruppe 8.31 Gewebeoptik und molekulare Bildgebung,
Telefon: (030) 3481-7603,
E-Mail: oliver.steinkellner(at)ptb.de

Aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichung
Steinkellner, O.; Gruber, C.; Wabnitz, H.; Jelzow, A.; Steinbrink, J.; Fiebach, J. B.; Macdonald, R.; Obrig, H.: Optical Bedside Monitoring of Cerebral Perfusion: Technological and Methodological Advances Applied in a Study on Acute Ischemic Stroke. J. Biomed. Opt. 15. Im Druck.