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Genaue Aktivitätsmessungen an Cl-36-Proben widerlegen eine Abhängigkeit der Zerfallsrate vom Abstand zwischen Erde und Sonne

02.07.2014

In der PTB wurde die Aktivität von Chlor-36 mittels der TDCR-Methode über einen Zeitraum von mehr als 3 Jahren gemessen, um mögliche jahreszeitliche Abhängigkeiten zu erkennen. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass der Abstand zur Sonne keinen signifikanten Einfluss auf die Zerfallsrate hat. Veröffentlichungen anderer Autoren, die über eine solche Abhängigkeit berichten, werden damit widerlegt.

Eine Gruppe US-amerikanischer Wissenschaftler veröffentlichte kürzlich Messdaten des radioaktiven Isotops Chlor-36 [1]. Die Messwerte zeigen jahreszeitliche Schwankungen, die die Forscher mit entsprechenden Änderungen der Zerfallsrate des Nuklids erklären. Nach Interpretation der Gruppe hängen die Zerfallsraten von Chlor-36 wie auch die einiger andere Isotope vom Abstand zwischen Erde und Sonne ab. Mit diesem Abstand ändert sich auch der Fluss solarer Neutrinos auf der Erdoberfläche, was, nach Meinung der Wissenschaftler, die Zerfallsraten beeinflusse.

Zuvor hatte die Gruppe Daten von Langzeitmessungen anderer Radionuklide, welche u.a. aus der PTB stammen, verwendet, um die umstrittene Theorie zu belegen. Messungen der Zerfallsraten von langlebigen Radionukliden werden oft über viele Jahre vorgenommen. Die entsprechenden Daten werden z. B. zur Bestimmung der Halbwertszeit der entsprechenden Radionuklide verwendet oder sie dienen der Stabilitätsprüfung des jeweiligen Detektorsystems. Langlebige Referenzquellen werden sogar dazu genutzt, um Änderungen des Ansprechvermögens von Detektoren zu kompensieren. Bei den Langzeitmessungen treten, je nach Detektortyp, deutliche Schwankungen auf, die in einigen Fällen mit der Jahreszeit korreliert zu sein scheinen. Die Wissenschaftler um Ephraim Fischbach und Jere Jenkins interpretieren die Korrelation als Beleg für eine Abhängigkeit der Zerfallsraten vom Abstand zwischen Erde und Sonne. Die Tatsache, dass die Extrema der Schwankungen zeitlich nicht mit Perihel und Aphel zusammenfallen, führen sie auf Effekte innerhalb der Sonne zurück, welche ebenfalls Neutrinoflussänderungen verursachen. Den Publikationen von Fischbach, Jenkins et al. ist gemeinsam, dass die Theorie sich auf experimentelle Daten stützt, die mit Detektortypen gewonnen wurden, die für eine hohe Empfindlichkeit auf Umweltparameter bekannt sind. So basieren z. B. die Messungen an Silizium-32, Chlor-36 und Radium-226 auf Gasdetektoren.

Die Ergebnisse der Autoren sind daher äußerst umstritten. Einige Forscher untersuchten andere Isotope und fanden keine jahreszeitliche Abhängigkeit. Dies hält die amerikanische Gruppe nicht davon ab, an ihrer Theorie festzuhalten. Die Abhängigkeit der Zerfallsraten sei nach ihrer Meinung nur für bestimmte Isotope gegeben.

In einem kürzlich erschienen Artikel nutzen die Amerikaner nun Messergebnisse von Chlor-36, welche mit einem Geiger-Müller-Zähler am Ohio State University Research Reactor (OSURR) gewonnen wurden. Auch hier zeigen sich deutliche Schwankungen, die von den Autoren als weiterer Beleg interpretiert werden.

In der PTB wurde Chlor-36 ebenfalls untersucht [2]. Die Messungen wurden 2009 begonnen und nach einiger Zeit wurde entschieden, weitere Wiederholmessungen durchzuführen, um eine mögliche jahreszeitliche Abhängigkeit zu untersuchen. Als Detektor wurde in der PTB jedoch ein Flüssigszintillationszähler verwendet. Dabei wird eine kleine Menge des radioaktiven Materials direkt in den organischen flüssigen Szintillator gegeben, wodurch mögliche Probleme mit Selbstabsorption der in Folge des radioaktiven Zerfalls ausgehenden Strahlung innerhalb der Quelle entfallen. Außerdem wurde das TDCR-Verfahren angewendet, mit dem die Nachweiswahrscheinlichkeit ohne zusätzliche Referenzquelle bestimmt werden kann [3]. Damit werden Schwankungen der Nachweiswahrscheinlichkeit durch Änderungen der Quell- oder Detektoreigenschaften sowie durch Umwelteinflüsse weitgehend kompensiert. Somit stellen die TDCR-Flüssigszintillationsmessungen einen deutlichen Vorteil gegenüber einfachen Zählratenbestimmungen mit Gasdetektoren dar.

Die Ergebnisse der PTB sind in der Abbildung 1 dargestellt, in der sie mit den Resultaten aus [1] verglichen werden. Dabei wird deutlich, dass die TDCR-LSC-Ergebnisse deutlich weniger schwanken. Einen Hinweis auf eine jahreszeitliche Abhängigkeit gibt es nicht. Sofern ein Einfluss solarer Neutrinos auf die Zerfallsrate vorliegt, sollte dieser durch die PTB-Messungen nachgewiesen werden können. Da dies nicht gegeben ist, ist der Beweis erbracht, dass die in [1] beobachteten Schwankungen andere Ursachen haben müssen. Naheliegend sind Einflüsse von Parametern wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, und Luftdruck auf das empfindliche Detektor-Quelle-System. Zu beachten ist, dass bei dem neuen PTB-Experiment das gleiche Isotop wie am OSURR gemessen wurde und es eine zeitliche Überlappung der Messungen beider Institute gibt.

Abb. 1:
Die normierte Aktivität als Funktion der Zeit zeigt bei den PTB-Daten keine jahreszeitliche Abhängigkeit wie bei den am Ohio State University Research Reactor (OSURR) gewonnen Daten. Die blaue Kurve stellt das reziproke Quadrat des Abstands zwischenSonne und Erde in der astronomischen Einheit (AE) dar.

Ein Einfluss solarer Neutrinos auf die Zerfallsraten kann auch durch die PTB-Messungen nicht völlig ausgeschlossen werden. Sofern ein solcher Effekt vorliegt, ist er aber um mehr als eine Größenordnung kleiner, als von den Autoren in [1] angeben.

Seit April 2013 werden in der PTB zusätzliche Langzeitmessungen mit Strontium-90/Yttrium-90 durchgeführt. Nach mehr als einem halben Jahr zeigen auch diese Daten keine jahreszeitliche Abhängigkeit und widerlegen damit die in [4] und [5] publizierten Ergebnisse, welche erneut auf Messungen mit einem Gasdetektor basieren.

Literatur

  1. Jenkins, J. H., Herminghuysen, K. R., Blue, T. E., Fischbach, E., Javorsek II, D., Kauffman, A. C., Mundy, D. W., Sturrock, P. A., Talnagi, J. W.:
    Additional experimental evidence for a solar influence on nuclear decay rates.
    Astroparticle Physics 37, 81-88, 2012.

  2. Kossert, K., Nähle, O.J.:
    Long-term measurements of 36Cl to investigate potential solar influence on the decay rate.
    Astroparticle Physics 55 (2014) 33-26, 2014,
    dx.doi.org/10.1016/j.astropartphys.2014.02.001.

  3. Broda, R., Cassette, P., Kossert, K.:
    Radionuclide Metrology using Liquid Scintillation Counting.
    Metrologia 44, S36-S52 (Special issue on radionuclide metrology), 2007.

  4. Parkhomov, A. G.:
    Deviations from beta radioactivity exponential drop.
    Journal of Modern Physics 2, 1310-1317, 2011.

  5. Sturrock, P. A., Parkhomov, A. G., Fischbach, E., Jenkins, J. H.:
    Power spectrum analysis of LMSU (Lomonosov Moscow State University) nuclear decay-rate data: Further indication of r-mode oscillations in an inner solar tachocline.
    Astroparticle Physics 35, 755-758, 2012.