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Panoramablick in die Uhrenhalle der PTB mit den vier Caesiumuhren CS1, CS2, CSF1 und CSF2.

Zeitnormale

Arbeitsgruppe 4.41

Die Zeiteinheit bis 1956

Das für den Menschen natürliche Zeitmaß ist der durch die Erdrotation definierte Tag. Der wahre Sonnentag (von einem Sonnenhöchststand bis zum nächstfolgenden am gleichen Ort) hat wegen der Schiefe der Ekliptik und der Ellipsenform der Erdbahn eine recht ungleichmäßige Dauer. Dem Drehwinkel der Erde proportional und daher eher gleichförmig ist die mittlere Sonnenzeit an einem festen Ort. Das entsprechende Zeitmaß ist der mittlere Sonnentag dm. Mit Hilfe von Uhren wird dm weiter aufgeteilt in 24 Stunden zu je 60 Minuten zu je 60 Sekunden. Die Festlegung der Dauer der Sekunde als dem 86400-ten Teil des mittleren Sonnentages war im Grunde willkürlich, ein Teil unserer tradierten Kultur. Eine formale Definition dieser Sekunde als verbindliches Zeitmaß im Sinne des Internationalen Einheitensystems SI hat es nie gegeben. Die auf den Nullmeridian bezogene mittlere Sonnenzeit wird Weltzeit UT (Universal Time) genannt, die ursprüngliche und heute noch populäre Bezeichnung war GMT (Greenwich Mean Time).

Aus dem Vergleich der Erdrotation mit den Umläufen von Planeten sowie des Mondes erkannte man, dass sich die Dauer des mittleren Sonnentages fortlaufend ändert. Es gibt einerseits eine allmähliche Abbremsung der Erdrotation durch Gezeitenreibung (vor 400 Millionen Jahren hatte das Jahr 400 Tage) und andererseits nicht vorhersehbare Schwankungen der Rotationsgeschwindigkeit (relativ um mehrere 10-8), die man auf Massenverlagerungen im Erdkörper zurückführt. Erste Hinweise hierauf stammen noch vom ausgehenden 19. Jahrhundert, gesichert war diese Tatsache etwa Mitte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Etwa zur selben Zeit gelang Scheibe und Adelsberger an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt mit Hilfe ihrer Quarzuhren der Nachweis, dass es auch jahreszeitliche Rotationsschwankungen der Erde gibt. Heute werden Beobachtungen der Erdrotation mit verschiedenen modernen Techniken und Atomuhren als Zeitreferenzen fortgesetzt. Die Ergebnisse werden vom International Earth Rotation Service dokumentiert.

Die SI-Sekunde zwischen 1956 und 1967

1956 definierte das Internationale Komitee für Maß und Gewicht, einem von Astronomen eingebrachten Vorschlag folgend, die SI-Sekunde als einen bestimmten Bruchteil des tropischen Jahres. Das tropische Jahr ist die Zeitdauer zwischen zwei aufeinander folgenden Durchgängen der "mittleren Sonne" durch den "mittleren Frühlingspunkt". Wegen der Veränderlichkeit des tropischen Jahres wurde der Definition ein bestimmtes tropisches Jahr zugrunde gelegt, und zwar das differenzielle tropische Jahr für den 31. Dezember 1899 etwa zwölf Uhr Weltzeit. Der gewählte Bruchteil des tropischen Jahres entstammt einer Berechnung von Simon Newcomb aus dem Jahre 1895, der astronomische Beobachtungen mehrerer Jahrhunderte ausgewertet und dabei das mittlere Periodenverhältnis zwischen der Erdrotation und dem Erdumlauf ermittelt hat. Da die Erde sich während dieser zurückliegenden Zeit noch etwas schneller gedreht hatte als heute, ist die 1956 definierte "Ephemeridensekunde" kürzer als die heutige Weltzeitsekunde, und zwar um rund 3·10-8 s. Der mittlere Sonnentag dauert also heute fast 3 ms länger als 86400 Ephemeridensekunden.

Weil aus dem Erdumlauf Zeitpunkte nur recht ungenau abgelesen werden können, sollte die Ephemeridensekunde in der Praxis mit Hilfe der Mondposition ermittelt werden. Der Mondumlauf wurde auf Grund langfristiger Vergleiche mit dem Erdumlauf als "kalibriertes sekundäres Normal" angesehen, mit dessen Hilfe Zeitpunkte genauer festgestellt werden können als mit Hilfe des Erdumlaufs. Aufgrund von Mängeln der Theorie der Mondbewegung und in Anbetracht der Überlegenheit atomarer Zeitnormale - der geringeren Unsicherheit und der unproblematischen Verfügbarkeit der atomar definierten Sekunde - hat man das Konzept der Ephemeridensekunde schließlich fallen lassen.

Die Sekundendefinition von 1967

"Die Sekunde ist das 9 192 631 770fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung."

Die Verwendung der Hyperfeinstruktur-Übergangsfrequenz im Grundzustand des Caesiumatoms (nicht radioaktives Caesium-Isotop mit der Massenzahl 133, 133Cs) für die Neudefinition der Sekunde war bereits im Jahre 1955 von dem englischen Physiker Essen vorgeschlagen worden. In den nachfolgenden Jahren wurden insbesondere der Ammoniakstrahlmaser und der Wasserstoffmaser auf ihre Eignung als Frequenznormal untersucht, doch erwies sich schließlich der von Essen vorgeschlagene Übergang im Cs-Atom für die Neudefinition der Sekunde als besonders gut geeignet. Die Übergangsfrequenz wurde durch einen Vergleich des atomaren Frequenznormals des National Physical Laboratory (UK) mit Quarzuhren bestimmt, deren Sekunden in mehreren Schritten mit der oben definierten Ephemeridensekunde verglichen wurden. Hierzu arbeiteten das NPL und das United States Naval Observatory zusammen. Eine Ephemeridensekunde hat danach die Dauer von (9192631770 ± 20) Perioden der Strahlung, die beim Übergang zwischen den zwei Grundzustandsniveaus des Atoms 133Cs auftritt. Die tatsächliche Unsicherheit dieser Messung wird wohl wesentlich größer gewesen sein, denn die Dauer einer Ephemeridensekunde lässt sich, wie oben dargelegt, gar nicht so genau angeben. Dessen ungeachtet wurde das Messergebnis zur Grundlage der neuen Sekundendefinition. Die von der 13. Generalkonferenz für Maß und Gewicht beschlossene und noch heute gültige Definition der SI-Sekunde wurde oben in der deutschen Übersetzung wiedergegeben.

Die in der Definition der SI-Sekunde gewählte Periodenanzahl entspricht also genau dem oben genannten ursprünglichen Messergebnis. So wurde erreicht, dass die SI-Sekunde etwa die Dauer der Ephemeridensekunde erhielt.